JudikaturOGH

8ObA36/22k – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johannes Graf (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B* R*, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in Melk, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Pepelnik Karl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 3.645,06 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2022, GZ 7 Ra 5/22i 21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Im Revisionsverfahren können die Sachverhaltsfeststellungen der Tatsacheninstanzen nicht mehr bekämpft werden (RIS Justiz RS0123663 [T2]).

[2] 2. Soweit die Revision die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zu r Verwirklichung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit in Frage stellt, greift sie in unzulässiger Weise selektiv ein beurteiltes Sachverhaltselement heraus (Verstoß gegen eine Dienstanweisung, wie mit von Kunden vergessenem Geld umzugehen ist) und übergeht die wesentlichen übrigen Feststellungen.

[3] Danach hat die als Kassierin beschäftigte Klägerin einer Kundin, die an der Kasse einen Geldschein verloren hatte, wider besseres Wissen vorgespielt, ihn nicht gefunden zu haben. Anstatt das Geld zurückzugeben, steckte die Klägerin es in ihre eigene Hosentasche und legte den Schein erst während der Nachschau der Filialleiterin heimlich wieder zurück. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dieses Verhalten den gerechtfertigten Interessen des Arbeitgebers zuwiderlief und zu einem Vertrauensverlust führen musste, ist nicht zu beanstanden.

[4] 3. Die Beurteilung, ob der Ausspruch der Entlassung verspätet erfolgt ist und der Dienstnehmer berechtigt davon ausgehen durfte, der Dienstgeber hätte auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts verzichtet, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0029249 [T17]).

[5] Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet. Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen solchen Verzicht geschlossen werden (RS0029249 [T11, T12]; RS0029267). Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern (RS0028987; jüngst 9 ObA 109/20z).

[6] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der die Revision nur Rechtsbehauptungen unter Außerachtlassung der wesentlichen Sachverhaltselemente entgegenhält, entspricht diesen Grundsätzen.

[7] Die Klägerin wurde noch am Vorfallstag, einem Freitag, dienstfrei gestellt und die Polizei verständigt. Obwohl der Vorgesetzte am folgenden Montag durch andere Termine verhindert war, sodass die Entlassung der Klägerin, die im Krankenstand war, nach seinem Gespräch letztlich erst am Dienstag ausgesprochen wurde, ist es ohne weiters vertretbar, dass die suspendierte Klägerin deswegen noch nicht davon ausgehen konnte, dass die Beklagte auf ihr Auflösungsrecht verzichten würde.

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