4Ob64/22y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. PD Dr. Rassi sowie MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* s.r.o., *, Tschechische Republik, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. DDr. A*, vertreten durch die ZFZ Zeiler Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. Mag.Dr. M*, und 3. JUDr. V*, Tschechische Republik, vertreten durch Mag. Ralf Kilches, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.319.252,33 CZK, 91.781,34 EUR und 1.309,04 GBP sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 24. Februar 2022, GZ 12 R 56/21z 60, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] 1. Gemäß § 594 Abs 4 ZPO (idFd SchiedsRÄG 2006, BGBl I 2006/7; entspricht § 584 Abs 2 ZPO aF), haftet der Schiedsrichter, welcher die durch Annahme der Bestellung übernommene Verpflichtung gar nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, den Parteien für allen durch seine schuldhafte Weigerung oder Verzögerung verursachten Schaden. Dies ist zwar keine abschließende Haftungsregelung, doch ist daraus für das alte wie das unverändert übernommene neue Recht abzuleiten, dass dem Gesetzgeber eine Begrenzung der sonst unbegrenzten Vertragshaftung ein Anliegen war und ist, weil diese Bestimmung sonst funktionslos wäre (vgl 9 Ob 126/04a).
[2] Nach herrschender Ansicht und ständiger Rechtsprechung kann ein Schiedsrichter wegen seiner schiedsrichterlichen Tätigkeit – außer im (hier unstrittig nicht gegebenen) Fall der Verweigerung oder Verzögerung – nur nach erfolgreicher Anfechtung des Schiedsspruchs iSd § 611 ZPO schadenersatzrechtlich in Anspruch genommen werden (vgl 5 Ob 30/16z mwN; RS0119996).
[3] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat am 15. 5. 2019 zu 18 OCg 1/19z die Klage der (hier wie dort) Klägerin, den Schiedsspruch des Schiedsgerichts (samt dessen Berichtigung vom 7. 1. 2019) bestehend aus den drei hier Beklagten als Schiedsrichtern, von diesen unterfertigt am 15. 10. 2018, in der Schiedsrechtssache des Schiedsklägers J* gegen die Schiedsbeklagte (hier Klägerin) in seinem Spruch (ii) [„Respondent is ordered to pay to Claimant CZK 10,727,589.90 plus statutory interest amounting to 9,2 % per annum above the base rate of the European Central Bank since 1 January 2017;“] aufzuheben, abgewiesen.
[4] Dies wurde damit begründet, dass die Klägerin keinen ihr nach § 610 Abs 1 Z 2 ZPO iVm Art 35 Abs 1 UNCITRAL Schiedsordnung 1976 möglichen Erläuterungsantrag gestellt hatte, sodass kein Begründungsmangel nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO vorlag, die Annahme einer Verletzung rechtlichen Gehörs wegen willkürlich lücken- oder mangelhaften Sachverhaltsermittlung iSd § 611 Abs 2 Z 2 ZPO als nicht gerechtfertigt erachtet wurde, sowie Kompetenzüberschreitung iSd § 611 Abs 2 Z 3 ZPO und ein Widerspruch zu Grundwertungen der Rechtsordnung iSd § 611 Abs 2 Z 8 ZPO verneint wurden.
[5] 2.2. Die Klägerin behauptet mit ihrer nunmehrigen gegen die drei Beklagten als Schiedsrichter gerichteten Schadenersatzklage, dem Schiedsspruch hafte – aus denselben Gründen wie in der Klage nach § 611 ZPO bereits ins Treffen geführt – ein offensichtlicher, unberichtigt gebliebener Kalkulationsirrtum an; durch diesen hätten ihr die Beklagten einen Schaden in Höhe der Differenz des Schiedsspruchs mit Kalkulationsirrtum und einem Schiedsspruch ohne Kalkulationsirrtum, der dem Schiedskläger bezahlten Zinsen, der verbleibenden Kosten des Schiedsverfahrens und der frustrierten Aufwendungen des Aufhebungsverfahrens unter dem bedingten Vorsatz nahekommenden Umständen, zumindest grob fahrlässig zugefügt. Die schwerwiegenden Verfehlungen der Beklagten würden im vorliegenden Fall die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs auch ohne erfolgreiche Aufhebung des Schiedsspruchs rechtfertigen.
[6] 3. Die Revisionswerberin zeigt jedoch weder eine erhebliche Rechtsfrage noch eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die sich an der herrschender Ansicht orientierenden und mit der ständigen Rechtsprechung im Einklang stehenden klagsabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen auf.
Rechtliche Beurteilung
[7] 3.1. Wie bereits das Berufungsgericht erkannte, hat der Oberste Gerichtshof schon zu 5 Ob 30/16z aufgezeigt, dass die schadenersatzrechtliche Haftung des Schiedsrichters in Fällen, in denen die angebliche, dem Schiedsspruch vorangehende Pflichtverletzung von Schiedsrichtern unter einen Anfechtungstatbestand des § 611 Abs 2 ZPO fällt und auch als solcher geltend gemacht wird, mit der Aufhebung des Schiedsspruchs zu verknüpfen und dadurch die Zweigleisigkeit von Schadenersatz und Anfechtungsverfahren mit im Kern identischem Sachverhaltsvorbringen zu vermeiden ist.
[8] Die Klägerin zeigt keine Umstände auf, die zu einem Abgehen von dieser Rechtsprechung veranlassen könnten, zumal es für die darin zum Ausdruck gebrachte Wertung nicht darauf ankommt, ob der Schiedsvertrag eine ausdrückliche Regelung enthält, dass die Haftung der Schiedsrichter nur für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird oder nicht. Das in der Revision ins Treffen geführte Schrifttum hat der Oberste Gerichtshof bereits in der erwähnten Entscheidung bedacht; er wurde auch durch teils kritische Einzelstimmen (insb zu 4 Ob 197/13v ) nicht zu einer Änderung der ständigen Rechtsprechung veranlasst.
[9] 3.2. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die von der Revision und dem von ihr zitierten Rechtsgutachten Klickas gesehene Rechtsschutzlücke, einem Geschädigten könnte das „krass vorsätzliche“ schädigende Handeln des Schiedsrichters bis nach Ablauf der Klagsfrist nach § 611 Abs 4 ZPO verborgen bleiben, für den vorliegenden Fall irrelevant wäre, weil die Klägerin alle ihrer Ansicht nach schadenersatzbegründenden Fehler bereits in ihrer Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs – allerdings erfolglos – ins Treffen führen konnte und führte. Die Beantwortung letztlich bloß abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0111271 [T2]).
[10] Die von der Revision in diesem Zusammenhang angesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken hatte die Klägerin im Übrigen auch an den Verfassungsgerichtshof herangetragen, veranlassten diesen aber nicht zur Behandlung ihres auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B VG gestützten Gesetzesprüfungsantrags ( G 178/2021 ).
[11] 3.3. Mit dem Haftungsregime des AHG ist die für das Schiedsverfahren geltende Rechtslage schon deshalb nicht vergleichbar, weil jenes die Haftung von Rechtsträgern (Gebietskörperschaften und der sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts) für in Vollziehung der Gesetze zugefügte Schäden betrifft, nicht jedoch die persönliche Haftung der für sie handelnden Organe.
[12] 3.4. Rechtliche Feststellungsmängel liegen nicht vor.
[13] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).