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5Ob11/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U* GmbH, *, vertreten durch Saxinger, Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen 155.175,09 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2021, GZ 1 R 113/21a 73, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das unterbrochene Verfahren über die außerordentliche Revision wird fortgesetzt.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

[1] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, mit dem die Abweisung seiner Klage durch das Erstgericht im Anlassverfahren bestätigt worden war, erhob der Kläger außerordentliche Revision. Zugleich lehnte er die Mitglieder des Berufungssenats als befangen ab. Diese Ablehnung wurde zwischenzeitig rechtskräftig zurückgewiesen. Das mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 3. 2. 2022 unterbrochene Verfahren über die Revision des Klägers ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

[2] Der Kläger wurde bei der Beklagten zahnärztlich behandelt. Im Revisionsverfahren beruft er sich zur Haftung der Beklagten nur mehr auf eine Aufklärungspflichtverletzung durch den behandelnden Arzt, der ih n vor dem Eingriff am 26. 11. 2015 nicht über den Entzündungsherd an der Position 34 aufgeklärt habe.

[3] 1.1 Grundlage für eine Haftung des Arztes wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch d ie ärztliche Behandlung eingegriffen wird. Der Patient kann nur dann wirksam einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS Justiz RS0026499). Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (5 Ob 28/21k mwN).

[4] 1.2 Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, der Arzt behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte ( RS0038485 ). Die Haftung des Arztes ist aber auch bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung desjenigen Risikos beschränkt, auf das er hinweisen hätte müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben (5 Ob 28/21k mwN; RS0026783 [T4; T9; T11]).

[5] 2.1 Ausgehend von diesen, in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen kann der Kläger mit seiner Argumentation keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzeigen, die im Einzelfall (dazu RS0026763 [T5]) aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (dazu RS0021095 ).

[6] 2.2 Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt setzte der behandelnde Arzt am 26. 11. 2015 an den Zahnpositionen 35, 36 und 37 jeweils bukkale Auflagerungen (eine wangenseitige Auflagerung zur Verstärkung des vorhandenen Knochens) und ein Implantat. In der Zahnposition 34 nahm er lediglich einen bukkalen Aufbau vor, nachdem er in dieser Position eine Entzündung wahr genommen und entfernt hatte. Die Auflagerungen zur Verstärkung des Knochens erfolgten mit einer Mischung aus Knochen des Klägers und Knochenersatzmaterial – ein der menschlichen Knochenstruktur ähnliches Material aus Rinderknochen (Bio Oss); zur Fixierung wurden Titan Pins verwendet. Mit diesen Materialien gehen keine besonderen Risiken einher. Die Implantatsetzung vom 26. 11. 2015 erfolgte lege artis. Die in Regio 34 bestehende Entzündung war, weil das Entzündungsgewebe entfernt worden war, keine Kontraindikation gegen das Setzen der Implantate und/oder die Vornahme eines bukkalen Aufbaus unter Verwendung von Bio Oss.

[7] 2.3 Damit mag es zwar zutreffen, dass der Kläger vor dem Eingriff nicht über den Entzündungsherd an der Position 34 aufgeklärt worden war. Das Entzündungsgewebe war aber vor dem Anbringen des Materials zum Knochenaufbau entfernt worden . Ein Risiko, auf das die Ärzte der Beklagten hinweisen hätten müssen, hat sich in diesem Zusammenhang nicht verwirklicht, sodass der Kläger aus der behaupteten Aufklärungspflichtverletzung auch keinen Anspruch auf Schadenersatz ableiten kann (5 Ob 28/21k ua). Ausgehend davon ist es auch nicht mehr von Bedeutung, ob er – wie das Erstgericht von ihm in der Berufung bekämpft feststellte – dem Eingriff auch zugestimmt hätte, wäre er in Kenntnis der Entzündung gewesen. Auf die in der Revision als Ergebnis einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung gerügten Ausführung des Berufungsgerichts zu dieser Frage muss damit nicht mehr eingegangen werden.

[8] 2.4 Ursache für die nach dem Eingriff aufgetretenen Komplikationen und die darauf zurückzuführenden Schmerzen des Klägers war nach den Feststellungen eine Osteonekrose, die für die Ärzte der Beklagten aber erst ab dem 20. 1. 2016 erkennbar war und zur Entfernung der Implantate in den Positionen 34, 35 und 36 führte. Dass der Beklagten in diesem Zusammenhang kein Fehlverhalten angelastet werden kann, zieht der Kläger in seiner Revision zu Recht nicht mehr in Zweifel.

[9] 3. Die von ihm geltend gemachte Befangenheit der Mitglieder des Berufungssenats wurde rechtskräftig zurückgewiesen (siehe dazu 5 Ob 76/22w). Die geltend gemachte Nichtigkeit des Berufungsurteils liegt damit nicht vor.

[10] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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