JudikaturOGH

3Ob69/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin D* SE, *, vertreten durch CHG Czernich Haidlen Gast Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin Tschechische Republik (Ministerium *), vertreten durch HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. April 2020, GZ 46 R 61/20s 11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 12. Dezember 2019, GZ 11 Nc 285/19i 2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das mit Beschluss vom 4. November 2020, 3 Ob 92/20f, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der im Kostenpunkt unberührt bleibt, wird mit der Maßgabe bestätigt, dass er in der Hauptsache wie folgt zu lauten hat:

Der Antrag, das Gericht möge aussprechen, dass die Entscheidung des Tribunal D´Arrondissement de et à Luxembourg vom 7. Juni 2019 zu AZ 2019TALCH10/00094 in Österreich nach § 403 iVm § 415 EO anerkannt werde;

in eventu: das Gericht möge aussprechen, dass hinsichtlich der genannten Entscheidung kein Anerkennungsverweigerungsgrund iSd Art 45 EuGVVO neu vorliege,

wird abgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 38.946,75 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien erging am 4. August 2008 ein Schiedsspruch eines tschechischen Schiedsgerichts, mit dem die Antragsgegnerin zu bestimmten Zahlungen an die Antragstellerin verpflichtet wurde. Dieser Schiedsspruch wurde in Luxemburg in der Folge rechtskräftig für vollstreckbar erklärt.

[2] Bereits vor Rechtskraft dieser Vollstreckbarerklärung erwirkte die Antragstellerin beim Bezirksgericht von und in Luxemburg zur Durchsetzung der ihr mit dem Schiedsspruch zuerkannten Geldforderung die Pfändung der Forderungen der Antragsgegnerin aus Guthaben bei zwei näher bezeichneten Banken mit Sitz in Luxemburg. Die Antragsgegnerin erhob gegen diese Pfändung Widerspruch.

[3] Mit Urteil des Bezirksgerichts von und in Luxemburg vom 7. Juni 2019 wurde die Pfändung (nach Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung des Titels) für rechtmäßig und wirksam erklärt.

[4] In der Folge stellte die Antragstellerin beim Erstgericht mit – offenbar irrig als „Antrag auf Vollstreckbarerklärung“ betiteltem – Schriftsatz vom 5. Dezember 2019 die aus dem Spruch ersichtlichen Anträge.

[5] Das Erstgericht erklärte daraufhin das genannte Urteil in Österreich für vollstreckbar.

[6] Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss über Rekurs der Antragsgegnerin dahin ab, dass es (nur) den (Haupt-)Antrag auf „Vollstreckbarerklärung“ des genannten Urteils abwies. Der Rekurs sei gemäß § 411 EO zulässig und berechtigt, weil der vom Erstgericht für vollstreckbar erklärten Entscheidung, die zunächst die Anerkennung einer Pfändung luxemburgischer Bankkonten zum Gegenstand habe, in Österreich keine Rechtswirkungen verliehen werden könnten. Da es sich nämlich bei den Drittschuldnern um in Luxemburg ansässige Banken handle und sich die gepfändeten Forderungen aus den von der Antragsgegnerin dort gehaltenen Kontoverbindungen ergäben, bestehe mangels gepfändeten Vermögens der Antragstellerin im Inland keine Möglichkeit, die Entscheidung in Österreich – in welcher Form auch immer – zu vollstrecken. Ein Österreich-Bezug sei von der Antragstellerin nur insoweit behauptet worden, als die Antragsgegnerin über Liegenschaftseigentum in Wien verfüge. Da dieses jedoch nicht Gegenstand der luxemburgischen Entscheidung sei, komme eine Vollstreckung der Kontenpfändung in Österreich und damit auch eine Vollstreckbarerklärung nicht in Betracht. Sofern sich der Antrag auf Vollstreckbarerklärung auf die der Antragstellerin im luxemburgischen Urteil zugesprochenen 5.000 EUR an „Verfahrensentschädigung“ beziehe, sei dieser deshalb abzuweisen, weil es hiefür nach Art 39 EuGVVO 2012 keiner Vollstreckbarerklärung mehr bedürfe.

[7] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

[8] Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Antragstellerin die Abänderung des angefochtenen Beschlusses in Richtung der Stattgebung des von ihr gestellten Antrags an.

[9] Die Antragsgegnerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig , aber nicht berechtigt .

[11] 1. Vorauszuschicken ist, dass sich weder aus dem verfahrenseinleitenden Antrag noch aus dem Urteil des luxemburgischen Gerichts mit Sicherheit entnehmen lässt, ob der das luxemburgische Verfahren einleitende Antrag vor oder nach dem 10. Jänner 2015 – dem Stichtag für die Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 (vgl deren Art 81) – eingebracht wurde. Da die Antragstellerin von der Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 ausgeht, dazu eine nach deren Art 53 ausgestellte Bescheinigung des luxemburgischen Gerichts vorlegte und auch die Antragsgegnerin kein gegenteiliges Vorbringen erstattete, ist im Folgenden von der Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 auszugehen.

[12] 2. Beide Vorinstanzen haben übersehen, dass die Antragstellerin nicht die von ihnen allein behandelte Vollstreckbarerklärung des luxemburgischen Urteils, sondern bloß dessen Anerkennung beantragt hat. Insofern geht die Argumentation des Rekursgerichts ins Leere, der Antrag sei, soweit er sich auf die der Antragstellerin zugesprochene „Verfahrensentschädigung“ beziehe, schon deshalb unberechtigt, weil eine Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO 2012 nicht mehr vorgesehen sei.

[13] 3. Streng nach dem Wortlaut des § 415 Z 3 EO sollen nur solche Entscheidungen in einem formellen Verfahren anerkannt werden können, die keiner Vollstreckung zugänglich sind. Diese typischerweise feststellende oder rechtsgestaltende ausländische Entscheidungen erfassende Formulierung ist aber wohl zu eng ( Höllwerth in Burgstaller/Deixler Hübner § 415 EO Rz 7). Dass (nur, aber immerhin) die Kostenentscheidung der luxemburgischen Entscheidung zweifellos einer Vollstreckung zugänglich ist, steht der beantragten Anerkennung daher nicht entgegen.

[14] 4. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann keine Rede davon sein, dass der Antragsgegnerin gegen die erstgerichtliche Entscheidung kein Rekurs offengestanden sei, sondern sie nur die Möglichkeit eines – beim Erstgericht einzubringenden – Einstellungsantrags nach Art 47 Abs 1 EuGVVO 2012 gehabt hätte. Gegen die im vorerst einseitigen erstinstanzlichen Verfahren ergangene Entscheidung kann nämlich gemäß § 411 EO (iVm § 415 EO) sehr wohl Rekurs erhoben werden (vgl Höllwerth in Burgstaller/Deixler Hübner § 415 EO Rz 17). Dass im (hier vorliegenden) Fall eines bloßen Antrags auf Anerkennung einer ausländischen Entscheidung der Antragsgegner nicht gehalten ist, einen Einstellungsantrag gemäß § 418 EO zu stellen, ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung, die auf eine Exekutionsbewilligung abstellt.

[15] 5. Anerkennungsfähig iSd Art 36 EuGVVO 2012 ist nur eine gerichtliche Entscheidung in Zivil und Handelssachen. Dieser Begriff der Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des EuGH weit und autonom auszulegen; darunter fallen alle Entscheidungen, denen im Ursprungsmitgliedstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorangegangen ist oder hätte vorangehen können (vgl EuGH 7. April 2022, C 568/20, H. Limited mwN).

[16] 6. Diese weite Auslegung des EuGH spricht dafür, auch das hier zu beurteilende (exekutionsrechtliche) Urteil als „Entscheidung“ iSd EuGVVO 2012 anzusehen. Letztlich kann diese Frage hier aber offen bleiben, weil der Antrag, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, aus einem anderen Grund jedenfalls abzuweisen ist. Es kommt deshalb auch nicht entscheidend darauf an, ob die vom luxemburgischen (Titel )Gericht ausgestellte Bescheinigung nach Art 53 EuGVVO 2012, wie von der Antragstellerin behauptet, für das Gericht des Zweitstaats insofern bindend ist, als sich daraus das Vorliegen einer Entscheiudng iSd EuGVVO ergebe, weshalb sich die Stellung eines (neuerlichen) Vorabentscheidungsantrags zu dieser (vom EuGH zu, C 568/20, H. Limited nicht mehr zu beantwortenden) Frage erübrigt.

[17] 7. Gemäß Art 45 Nr l lit c EuGVVO 2012 wird die Anerkennung einer Entscheidung auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ergangen ist. Dieser vom Antragsgegner in seinem Rekurs ausdrücklich geltend gemachte Versagungsgrund liegt hier vor:

[18] 7.1. Der von der Antragstellerin (auch) in Österreich gestellte Antrag auf Vollstreckbarerklärung jenes tschechischen Schiedsspruchs, der dem luxemburgischen Urteil zugrunde liegt, wurde in Österreich rechtskräftig abgewiesen (vgl 3 Ob 182/19i).

[19] 7.2. Mit ihrem zwar vor Rechtskraft dieser Entscheidung, aber erst nach der die erstgerichtliche Antragsabweisung bestätigenden Rekursentscheidung gestellten, hier zu behandelnden Anerkennungsantrag verfolgt die Antragstellerin ausschließlich das – mit der Vorentscheidung unvereinbare – Ziel, den tschechischen Schiedsspruch doch noch in Österreich vollstrecken zu können. Wie nämlich bereits das Rekursgericht richtig erkannt hat, ist eine künftige Vollstreckung des luxemburgischen Urteils in Österreich – mit Ausnahme des Kostenzuspruchs von 5.000 EUR, dessen vollständige Begleichung die Antragsgegnerin aber bescheinigt hat – von vornherein ausgeschlossen, weil dieses nur über die Zulässigkeit der Pfändung bestimmter Forderungen gegenüber Banken mit Sitz in Luxemburg abspricht.

[20] 7.3. Der Bejahung des von der Antragsgegnerin geltend gemachten Versagungsgrundes steht auch der Umstand nicht entgegen, dass sich das luxemburgische Urteil vordergründig nicht unmittelbar auf denselben Anspruch bezieht wie der tschechische Schiedsspruch. Die Anerkennung einer fremden Entscheidung bedeutet nämlich, ihr grundsätzlich die einer inländischen Entscheidung zukommenden verfahrensrechtlichen Wirkungen einzuräumen ( Höllwerth in Burgstaller/Deixler Hübner Vor § 403 EO Rz 1 mwN). Mit der rechtskräftigen Abweisung des Antrags, den tschechischen Schiedsspruch in Österreich für vollstreckbar zu erklären, ist die Vollstreckung dieses Titels in Österreich für alle Zukunft ausgeschlossen. Damit wäre aber eine Entscheidung, mit der die Exekutionsführung aufgrund eben dieses Schiedsspruchs für zulässig erklärt wird, unvereinbar.

[21] 8. Die angefochtene Rekursentscheidung ist daher mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der tatsächlich gestellte (Hauptantrag) ebenso wie der – vom Rekursgericht zwar nicht erwähnte, aber implizit ebenfalls als unberechtigt erkannte – Eventualantrag abgewiesen wird.

[22] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 78 EO.

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