JudikaturOGH

1Ob76/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI F*, vertreten durch Dr. Gunther Huber und Mag. Nikolaus Huber, Rechtsanwälte in Traun, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde A*, vertreten durch Dr. Günther Klepp ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert insgesamt 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. März 2022, GZ 3 R 25/22z 15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. Dezember 2021, GZ 29 Cg 28/21w 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger ist Eigentümer eines an ein Straßengrundstück der Beklagten angrenzenden Grundstücks. Auf ihrem Grundstück befindet sich eine Anfang des 20. Jahrhunderts von den damaligen Anrainern errichtete Brücke, die 1986 von der Beklagten in das öffentliche Gut übernommen und von ihr 2019/2020 saniert wurde.

[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob das auf Beseitigung bestimmter auf das Grundstück des Klägers reichender Bauteile der Brücke sowie auf Unterlassung künftiger solcher Störungen gerichtete Klagebegehren rechtsmissbräuchlich ist.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, das einen solchen Rechtsmissbrauch annahm. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands zweiter Instanz 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[6] 2. Die Rechte des Grundstückseigentümers werden durch das Verbot schikanöser Rechtsausübung beschränkt (vgl RIS Justiz RS0010395). Rechtsmissbrauch (Schikane) iSd § 1295 Abs 2 ABGB liegt nicht erst dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern bereits dann, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund steht und andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv also eindeutig überwiegt bzw zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (vgl RS0026265; RS0025230 [insb T7] ua). Bei der Beurteilung des Einwands der Schikane kommt auch der subjektiven Seite des Bauführers erhebliche Bedeutung zu (RS0115858 [T3]). Erfolgte nur ein geringfügiger Eingriff in fremdes Grundeigentum, kann der Einwand des Bauführers berechtigt sein, wenn eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliegt, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus dem Eigentum ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RS0115858).

[7] 3. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist jeweils aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]). Der Oberste Gerichtshof sah etwa das Hineinragen von Betonfundamenten (von Zaunstehern) auf den Nachbargrund um 15 bis 20 cm (8 Ob 39/09g) bzw um bis zu 11 cm (4 Ob 2/16x), einer Mauerunterfangung um 30 cm (5 Ob 165/19d; dort erfolgte außerdem eine „Überbauung“ des klägerischen Grundstücks im Umfang von 0,25 x 0,2 m in drei Meter Höhe über dem Bodenniveau) oder von sonstigen Gebäudeteilen im „Luftraum“ um ca 16 cm (1 Ob 62/19b) als bloß geringfügige Eigentumsverletzungen an und billigte den Beklagten in diesen Fällen jeweils den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu (vgl auch 3 Ob 216/15h; 2 Ob 1587/95; 9 Ob 32/02z).

[8] 4. Im vorliegenden Fall steht fest, dass eine zur Sanierung des Brückenfundaments verwendete Schalungstafel mit einer Länge von einem Meter (im Übrigen konnten die Ausmaße der Tafel nicht festgestellt werden) etwa 16 cm von der Grundstücksgrenze entfernt – unter dem Fundament des Einfahrtstors des Klägers – auf dessen Grundstück im Boden (vergraben) verblieb; ebenso ein in diesem Bereich „eingeschlagener Pflock“ mit nicht näher feststellbaren Ausmaßen. In welchem Umfang sich auf dem Grund des Klägers – insbesondere in dem maximal 16 cm breiten Bereich zwischen der Schalungstafel und der Grundstücksgrenze – auch Teile des betonierten Brückenfundaments befinden, konnte nicht festgestellt werden. Zwar steht fest, dass dieses Fundament auf den Grund des Klägers (unter das Fundament seines Einfahrtstors) reicht, es konnte aber nicht geklärt werden, ob dies bereits ursprünglich (also bei Errichtung der Brücke) der Fall war oder ob es sich dabei um einen im Zuge der Brückensanierung durch die Beklagte neu errichteten Teil eines „ausgeweiteten“ Fundaments handelt. Eine 2021 von der Beklagten im Anschluss an das Brückengeländer angebrachte Absturzsicherung ragt über eine Länge von rund 50 cm bis zu 12 cm über die Grundstückgrenze in den „Luftraum“ des Klägers.

[9] 5. Dass das Berufungsgericht auf Basis dieser Feststellungen unter Zugrundelegung der dargestellten Rechtsprechung bei der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung das Interesse der Beklagten am Belassen sowohl der Absturzsicherung als auch der Schalungstafel (samt „Pflock“) höher bewertete als das Interesse des Klägers an der Ausübung seiner Eigentümerbefugnisse, begründet keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall zu korrigierende Fehlbeurteilung. Es erfolgte hier nur ein geringfügiger Eingriff in das Grundeigentum des Klägers, der mit keiner nennenswerten Einschränkung der Nutzung seines Grundstücks verbunden ist. Der Eigentumseingriff erfolgte durch die Beklagte nicht wissentlich, vielmehr nahm sie während der Bauarbeiten eine Vermessung der Grundstücksgrenze vor und sie zog dabei – um eine Überbauung des Grundstücks des Klägers zu verhindern – auch einen Geometer bei. Dass die Grenze dennoch – aus ungeklärten Gründen – überschritten wurde, ändert nichts daran, dass die Beklagte dies nach den erstinstanzlichen Feststellungen gerade verhindern wollte. Soweit der Revisionswerber Gegenteiliges behauptet, ist seine Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043603). Dass eine Entfernung der unter dem Fundament des Einfahrtstors des Klägers im Boden verbliebenen Schalungstafel für die Beklagte mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre, liegt ebenso auf der Hand, wie ein solcher Aufwand für den Abbruch und die Neuerrichtung der Absturzsicherung. Da dem auch keine ersichtlichen Vorteile des Klägers gegenüber stünden (außer der „formalen“ Freiheit seines Grundeigentums von jeglichen Beeinträchtigungen), begegnet die angefochtene Entscheidung insgesamt keinen im Revisionsverfahren aufzugreifenden Bedenken.

[10] 6. Der Revisionswerber weist zwar auf die Feststellung hin, wonach das Hineinragen eines Teils der Absturzsicherung in sein Grundstück die allfällige Errichtung künftiger Baulichkeiten „im Ausmaß der Überragung“ behindere. Dass in diesem Bereich bauliche Veränderungen beabsichtigt wären, behauptet er jedoch nicht. Soweit er auch daraus eine maßgebliche Beeinträchtigung ableiten will, dass – wie das Erstgericht feststellte – das Fundament der Brücke unter das Fundament seines Einfahrtstors reicht und dies eine künftige „Tieferlegung“ der Einfahrt erschwere (auch in diesem Zusammenhang behauptet er nicht, dass solche Arbeiten geplant wären), steht nicht fest, ob das Brückenfundament durch die Arbeiten der Beklagten vergrößert wurde oder ob sich dieses schon ursprünglich teilweise auf dem Grundstück des Klägers befand. Im letztgenannten Fall wäre schon ein Eigentumseingriff durch die Beklagte zu verneinen. Aus der unterbliebenen Entfernung der Schalungstafel (sowie des „Pflocks“) leitet der Rechtsmittelwerber keine konkreten Nutzungsbeschränkungen ab. Darauf, dass die für die Brückensanierung erforderlichen behördlichen Bewilligungen nicht erteilt worden wären, hat der Kläger sein Begehren in zweiter Instanz nicht mehr gestützt; die Revision lässt im Übrigen nicht erkennen, inwieweit dies für die Beurteilung der schikanösen Rechtsausübung relevant wäre.

[11] 7. Dem Argument des Revisionswerbers, dem Eigentümer einer Liegenschaft könne eine schikanöse Rechtsausübung bei Inanspruchnahme seines Grundeigentums durch Dritte schon deshalb regelmäßig (und auch im vorliegenden Fall) nicht vorgeworfen werden, weil bei Gewährenlassen des Nachbarn eine Dienstbarkeit ersessen werden könnte (RS0010395 [T2]), ist zu entgegnen, dass die Ersitzung einer Servitut durch die Beklagte (der Revisionswerber bezieht sich auf das Recht, auf einem fremden Grund „Teile eines Bauwerks zu halten“; vgl RS0011557) schon an ihrer mangelnden Redlichheit scheitern müsste.

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