JudikaturOGH

12Os140/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Strafsache gegen * A* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * A* gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 14. Juli 2021, GZ 36 Hv 19/21b 67, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Angeklagten * A* und seiner Verteidigerin Mag. Sagel zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und insoweit in der Sache selbst erkannt:

Für die * A* nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich d ie Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I./1./ und I./2./) sowie das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (III./) wird er unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 16. März 2021, AZ 36 Hv 90/20t, nach § 142 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

20 (zwanzig) Monaten

verurteilt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Übrigen wird verworfen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird er auf die Strafneubemessung verwiesen.

Der Berufung gegen den Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche wird keine Folge gegeben.

* A* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A* zweier Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I./1./ und 2./) sowie eines Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in H*

I./ am 2. September 2020 in einverständlichem Zusammenwirken mit weiteren Mittätern anderen Personen mit Gewalt fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, und zwar:

1./ * S*, indem * A* ihn am Hals erfasste und von der Sitzbank auf den Boden warf und andere Mittäter ihn am Boden festhielten und auf ihn einschlugen;

2./ * Un*, indem sie ihm einen Tritt gegen die Kniekehle versetzten, mehrere Mittäter ihn am Boden festhielten und schlugen;

III./ am 3. August 2020 eine fremde Sache, nämlich einen Autobus der In*, verunstaltet, indem er den Innenraum mit einer Sprühdose besprühte.

[3] Über die ebenfalls gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 14. Juli 2021, GZ 36 Hv 19/21b 67, gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * D*, * L* und * U* sowie über die Beschwerden der Angeklagten * D* und * L* gegen zugleich gefasste Beschlüsse auf Widerruf bedingter Strafnachsichten hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 28. April 2022 , GZ 12 Os 140/21m 4, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden.

[4] Dabei hat der Oberste Gerichtshof die vorliegend getroffenen Entscheidungen einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vorbehalten.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die gegen dieses Urteil aus Z 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A* ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise berechtigt.

[6] Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall, nominell auch Z 5 zweiter und dritter Fall) zuwider ist es unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, dass die Tatrichter das arbeitsteilige Zusammenwirken (vgl dazu Eder Rieder in WK 2 StGB § 142 Rz 53) aus dem (in der Hauptverhandlung verlesenen – vgl ON 66 S 17) Amtsvermerk des ermittelnden Beamten betreffend die Identifikation der Täterschaft der Angeklagten durch die Opfer (ON 3 S 8) ableiteten.

[7] Soweit der Beschwerdeführer (der Sache nach aus Z 5 vierter Fall) Beweisergebnisse hinsichtlich ihm zurechenbarer Ausführungshandlungen zum Nachteil des * S* und * Un* vermisst , übergeht er, dass sich das Erstgericht insoweit auf die Angaben sämtlicher Opfer stützte, die vor der Polizei die Angeklagten als Täter identifizierten (vgl US 16 f iVm ON 3 S 8 f, 37). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war der Schöffensenat auch nicht verpflichtet, sämtliche Details dieser Zeugenaussagen zu erörtern. Dies gilt im Besonderen für die isolierte Hervorhebung einer einzelnen Deposition des Zeugen Un* in der Hauptverhandlung (vgl RIS-Justiz RS0116504), wonach er „damals keinen Gegner erkannt“ habe (vgl ON 66 S 12).

[8] Entgegen der weiteren Beschwerde stellt der aus dem äußeren Geschehen gezogene Schluss auf die innere Tatseite keinen Begründungsmangel dar (vgl RIS Justiz RS0116882). Vielmehr bekämpft das Rechtsmittel mit seiner dagegen erhobenen Kritik bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[9] Die Tatsachenrüge (Z 5a) vernachlässigt, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind (RIS Justiz RS0100183, RS0115902). Mit dem bloßen Verweis auf die Ausführungen zur Mängelrüge erweckt die Beschwerde keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.

[10] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) wendet aber zutreffend ein, dass die gemäß § 31 Abs 1 StGB erforderliche Bedachtnahme auf das Vor Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 16. März 2021, AZ 36 Hv 90/20t, zu Unrecht unterblieben ist (vgl RIS Justiz RS0108409), was zur Kassation des Strafausspruchs führen musste.

[11] Die Bedachtnahme auf ein Vor Urteil gemäß § 31 StGB ist geboten, wenn sämtliche der nachträglichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten vor dem Vor-Urteil erster Instanz verübt wurden ( Ratz in WK 2 StGB § 31 Rz 2). Dies ist in Bezug auf das angeführte Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 16. März 2021 der Fall, weil die gegenständlichen Taten nach den Urteilskonstatierungen am 2. September 2020 und am 3. August 2020 (US 11 und 14), somit vor dem genannten Zeitpunkt, gesetzt wurden.

[12] Durch das Unterlassen der Verhängung einer Zusatzstrafe trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Abs 1 StGB hat daher das Erstgericht, das solcherart von einem zu weiten Strafrahmen ausgegangen ist, seine Strafbefugnis überschritten. Dies bewirkt unabhängig davon, dass die konkret verhängte Strafe innerhalb des richtigen Strafrahmens liegt, Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (vgl RIS Justiz RS0108409).

[13] Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und zur Neubemessung der Strafe durch den Obersten Gerichtshof (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

[14] Dabei war gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das rechtskräftige Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 16. März 2021, AZ 36 Hv 90/20t, Bedacht zu nehmen und die im Vor-Urteil verhängte Strafe (in Form der nach § 19 Abs 3 letzter Satz StGB errechneten Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen) zu berücksichtigen (§ 40 StGB).

[15] Erschwerend waren das Zusammentreffen der vorliegenden und der im vorangegangenen Verfahren abgeurteilten strafbaren Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) das Vorliegen einschlägiger Vorverurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) zu werten, mildernd hingegen die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), der Umstand, dass die Raubtaten beim Versuch geblieben sind (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) sowie die teilweise geständige Verantwortung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB).

[16] Bei Bestimmung des Strafrahmens (§ 28 Abs 1 StGB) ging der Oberste Gerichtshof von der Strafuntergrenze des § 142 Abs 1 StGB und somit nicht von der Anwendbarkeit des § 19 Abs 1 zweiter Satz iVm § 5 Z 4 JGG aus, weil Raub in der Begehungsform der „Gewalt gegen eine Person“ eine „strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ im Sinn der durch das GewaltschutzG 2019 (BGBl I 2019/105) geschaffenen Bestimmung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG darstellt (im Ergebnis anders 15 Os 122/21m). In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber nämlich den Katalog der erfassten strafbaren Handlungen – anders als bei § 33 Abs 2 StGB und auch im Gegensatz zu § 19 Abs 4 Z 3 JGG – gerade nicht in ausdrückliche Beziehung zu bestimmten Abschnitten des Besonderen Teils des StGB gesetzt, womit eine rechtsgutsbezogene Betrachtung anzustellen ist. Ein gegenteiliger Ansatz (dafür Schroll in WK 2 JGG § 19 Rz 3/4 f unter Berufung auf den Einführungserlass des BMVDRJ zum GewaltschutzG 2019, eJABl 2018/24.2.3.) kann dem Gesetz im Hinblick auf diese Differenzierung nicht entnommen werden und würde auch zu einer Reihe von Wertungswidersprüchen im Sanktionensystem führen, die den Intentionen des GewaltschutzG 2019 (vgl IA 970/A XXVI. GP, 24: „Härtere Strafen für Sexual- und Gewaltverbrecher“) diametral zuwiderlaufen würden. Während nämlich die einjährige Mindeststrafe bei einem von einem jungen Erwachsenen als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verübten schweren Raub (§ 143 Abs 1 erster Fall StGB) unverändert bestehen bleibt (vgl § 19 Abs 4 Z 4 JGG; so auch Schroll in WK 2 JGG Rz 3/7), entfiele dieses Mindeststrafmaß bei einem Raub mit schweren Verletzungsfolgen (§ 143 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB). Hat das Raubgeschehen eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs 1 StGB) nach sich gezogen (§ 143 Abs 2 zweiter Fall StGB), betrüge die Strafuntergrenze nur die Hälfte jener des § 143 Abs 1 erster Fall StGB iVm § 19 Abs 4 Z 4 JGG (vgl § 19 Abs 1 zweiter Satz iVm § 5 Z 3 JGG). Letzteres Mindeststrafmaß würde erst bei einem Raub mit Todesfolge (§ 143 Abs 2 dritter Fall StGB) erreicht werden (vgl § 19 Abs 1 zweiter Satz iVm § 5 Z 2 lit a JGG). Darüber hinaus wäre § 19 Abs 4 Z 2 JGG bei Straftaten iSd § 107b Abs 3a Z 3 StGB unanwendbar, obwohl sich diese Vorschrift ausschließlich auf Angriffe gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität bezieht.

[17] Auf dieser Basis erachtete der Oberste Gerichtshof eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten als tat- und schuldangemessen. Dazu ist anzumerken, dass (der Ansicht des Erstgerichts zuwider – vgl US 22) von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) nicht auszugehen ist. Denn einerseits war ein umfangreiches Verfahren gegen mehrere Personen zu führen, andererseits lagen Phasen behördlicher Inaktivität während der knapp eineinhalbjährigen Verfahrensdauer nicht vor (vgl RIS-Justiz RS0116663).

[18] Eine auch nur teilbedingte Strafnachsicht kommt im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafenbelastung des Angeklagten nicht mehr in Betracht.

[19] Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[20] Der gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung war keine Folge zu geben, findet doch der der Privatbeteiligten Inn* als Folge der zu III./ abgeurteilten Tat zuerkannte Schadenersatzbetrag in den Feststellungen sowie in der Aktenlage Deckung (vgl US 20 iVm ON 56).

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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