7Ob159/21i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei K*, Niederlande, vertreten durch die Wijnkamp Advokatuur/Advokat GmbH in Imst, wegen 65.000 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. Juni 2021, GZ 2 R 78/21k 54, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit von Sachverständigengutachten bzw die Notwendigkeit einer allfälligen Ergänzung fallen ebenso in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (vgl RS0113643 ) wie etwa die Frage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (vgl RS0043320). Behauptete Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[2] 2.1. Angehörigen eines Getöteten gebührt für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schadenersatz, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Für die dadurch erlittenen seelischen Schmerzen mit Krankheitswert gebührt ihnen aus einer in der Regel an die Feststellung von Schmerzperioden (als Orientierungshilfe) anknüpfenden, aber nicht darauf beschränkten Gesamtbetrachtung auch Schmerzengeld. Auch für den Seelenschmerz über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, kann Schmerzengeld gebühren. Ein Ersatz dieses „bloßen Trauerschadens“ ohne Krankheitswert kommt jedoch nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers in Betracht, woran der Oberste Gerichtshof ausdrücklich festgehalten hat (2 Ob 109/19x mwN).
[3] 2.2. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt, und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar ist, wenn ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, oder unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedermann hätte einleuchten müssen. Grobe Fahrlässigkeit ist ein objektiv besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß, der bei Bedachtnahme auf alle Umstände auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030644, RS0085373, RS0030272).
[4] Die Beurteilung, ob ein Verhalten zum groben Verschulden zu rechnen ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0062591 [T5]).
[5] 2.3. Auch die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet, es sei denn es läge eine eklatante, aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fallende Fehlbemessung vor (vgl RS0042887 [T10]; RS0031075 ).
[6] 3. D er vom Beklagten verschuldete Unfalltod der Ehefrau des Klägers führte bei diesem zu einer akuten krankheitswertigen, in abnehmender Intensität ein bis zwei Wochen anhaltenden und (komprimiert) ein bis zwei Tage mittelstarke Schmerzen und vier bis fünf Tage leichte Schmerzen verursachenden Belastungsreaktion; in der Folge litt der Kläger zwar an Beeinträchtigungen, die jedoch nicht krankheitswertig waren.
[7] 4.1. Der Revisionswerber stellt die Einschätzung der Vorinstanzen, den Beklagten treffe am für die Frau des Klägers tödlichen Schiunfall kein grobes Verschulden, gar nicht mehr in Frage.
[8] Er zeigt damit nicht auf, warum den Vorinstanzen, die ihm – im Einklang mit der dargelegten Recht sprechung – deshalb Schmerzengeld für n icht krankheitswertige Trauer versagten, eine Fehlbeurteilung unterlaufen sein sollte. Er übersieht die Voraussetzung eines den Schmerzengeldanspruch erhöhenden Zusammentreffens von seelischen Schmerzen mit und ohne Krankheitswert: Es müssen nämlich die Anspruchsvoraussetzungen sowohl für den Ersatz von krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigungen als auch jene für den Ersatz des „bloßen Trauerschadens“ vorliegen, also eine unfallkausale psychische Beeinträchtigung des Angehörigen mit Krankheitswert und auch – anders als hier – das qualifizierte (zumindest grobe) Verschulden des Schädigers am Tod oder der schweren Verletzung des nahen Angehörigen ( 8 Ob 98/20z mwN).
[9] 4.2. Eine – grundsätzlich zwar gebotene – Globalbemessung des Schmerzengeldes kann dann nicht vorgenommen werden, wenn die Folgen der Körperschädigung noch nicht voraussehbar sind oder wenn das Ausmaß der Schmerzen nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine globale Beurteilung möglich ist. In diesem Fall kann der Geschädigte Schmerzengeld aufgrund der von ihm bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz erlittenen Schmerzen begehren; zukünftige Schmerzen sind in diesem Fall auch bei Vorhersehbarkeit nicht einzubeziehen (keine „Teil-Globalbemessung“; vgl 2 Ob 60/20t mwN).
[10] Dass die Vorinstanzen nicht absehbare, sondern allenfalls mögliche in der Zukunft liegende krankheitswertige trauerbedingte Beeinträchtigungen in die Globalbemessung nicht einbezogen haben, hält sich somit im Rahmen der Rechtsprechung. Die Revision macht insofern keine erhebliche Rechtsfrage geltend.
[11] 4.3. Die Bemessung des dem Kläger selbst zustehenden Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen hält sich vor dem Hintergrund seiner festgestellten – auch bei der Ausmittlung des zur Abgeltung psychischer Schäden zuzuerkennenden Schmerzengeldes als Berechnungshilfe heranzuziehenden (vgl RS0118172 ; RS0122794 [T4]; RS0030792 [T10]) – Schmerzperioden im Rahmen des den Gerichten hierbei im Einzelfall zukommenden weiten Ermessensspielraums; eine aufzugreifende Fehlbeurteilung wird von der Revision nicht aufgezeigt.
[12] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).