9Ob22/22h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H*, 2. P*, 3. O*, 4. D*, alle vertreten durch die Pelzmann Gall Größ Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. L*, 2. H*, 3. H*, 4. A*, alle vertreten durch Mag. Alexander Todor-Kostic und Mag. Silke Todor Kostic, Rechtsanwälte in Velden, wegen Abgabe von Willenserklärungen (Streitwert 615.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2022, GZ 2 R 240/21p 16, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist auch nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis beziehungsweise mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RS0043162, RS0040180 [T1]).
[2] Beweise vom Hörensagen (Zeugenaussagen über die Wahrnehmungen eines Dritten) sind nicht generell unzulässig. Welcher Beweiswert derartigen bloß mittelbaren Beweisergebnissen zuzubilligen ist, ist ausschließlich Domäne der im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof keiner weiteren Überprüfung unterliegenden Beweiswürdigung (RS0114723 [T2]).
[3] 2. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936, RS0044358, RS0042776). Das ist vorliegend nicht der Fall.
[4] Richtig weist die Revision zwar darauf hin, dass sich die Bedeutung einer Willenserklärung nach der herrschenden Vertrauenstheorie danach richtet, wie sie unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv verstanden werden muss. Maßgebend ist also weder allein der Wille des Erklärenden noch die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers (vgl RS0014160). Der objektive Erklärungswert verliert allerdings seine Bedeutung, wenn sich die Parteien in der Sache einig sind. Es gilt dann ihr übereinstimmender Wille („natürlicher Konsens“), gleichgültig, ob die Ausdrucksmittel diesen Willen nach objektiven Kriterien zutreffend wiedergeben (RS0014160, [T17, T18]; vgl auch RS0017741, RS0017839). Von einem solchen übereinstimmenden Willen sind die Vorinstanzen vertretbar ausgegangen.
[5] 3. Entgegen der Revision enthält das Ersturteil dem Tatsachenbereich zuordenbare – und damit den Obersten Gerichtshof bindende – konkrete Feststellungen zu der von beiden Parteien mit der getroffenen Vereinbarung verfolgten übereinstimmenden Absicht und handelt es sich bei diesen Ausführungen nicht bloß um eine der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Urkundenauslegung. Dass das Berufungsgericht das ebenfalls so gesehen hat, ergibt sich schon daraus, dass es die Tatsachenrüge gerade zu diesen Feststellungen auch als solche behandelt hat. Der Hinweis des Berufungsgerichts bei Behandlung der Mängelrüge darauf, dass selbst eine falsche Zuordnung durch das Erstgericht keinen Verfahrensmangel begründen könnte, ändert daran nichts.
[6] Nach diesen Feststellungen wollte die Rechtsvorgängerin der Kläger den Beklagten zusammengefasst kein „echtes“ Vorkaufsrecht einräumen, sondern durch die Verbücherung eines solchen Rechts sicherstellen, dass die Beklagten von einer Veräußerung informiert werden, um ihren Anteil am Verkaufserlös lukrieren zu können. Dies wussten die Beklagten. Auch sie gingen nicht davon aus, dass sie durch die Verbücherung eines Vorkaufsrechts ein Recht zur Einlösung der Liegenschaft im Fall einer Veräußerung erhalten.
[7] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass das Recht nach § 1072 ABGB zum bevorzugten Erwerb der Liegenschaft den Beklagten daher nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien nicht zukommen sollte, ist nicht zu beanstanden.
[8] 4. Die „Vereinbarung“ des Vorkaufsrechts stellte daher nur ein Scheingeschäft dar. Ein solches liegt vor, wenn sich der Erklärende und der Erklärungsempfänger darüber einig sind, dass das Erklärte nicht gelten soll, wenn also die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die mit dem betreffenden Rechtsgeschäft verbundene Rechtswirkung nicht eintreten lassen wollen (RS0018149).
[9] Entgegen den Ausführungen in der Revision stellt die getroffene Vereinbarung keine unzulässige Beschränkung eines Vorkaufsrechts dar, sondern war die Formulierung des Vorkaufsrechts die Vortäuschung einer Vereinbarung, zum Zweck eine sonst nicht zulässige Eintragung ins Grundbuch zur Sicherstellung der Zahlungsansprüche der Beklagten zu erreichen.
[10] Ein solches Scheingeschäft ist nach § 916 Abs 1 ABGB nichtig, weil es (so) von den Parteien nicht gewollt war und auch keine der Parteien auf die Wirksamkeit der Erklärungen vertraute (vgl RS0018103). Daran ändert auch die Eintragung im Grundbuch nichts.
[11] 5. Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Kläger einen Anspruch darauf haben, dass das Vorkaufsrecht gelöscht wird, weil von Anfang an den Beklagten ein solches materiell rechtlich nicht eingeräumt werden sollte, oder der Anspruch auf Löschung deshalb berechtigt ist, weil es den nach der Vereinbarung zugrunde liegenden Zweck (der Information über den Verkauf) erfüllt hat.
[12] 6. Wenn die Beklagten geltend machen, dass eine Löschung jedenfalls erst nach Sicherstellung der Zahlung ihres Anteils am Verkaufserlös erfolgen dürfe, ergibt sich eine solche Bedingung weder aus dem Vertragstext noch aus dem festgestellten oder auch nur vorgebrachten Vertragswillen der Parteien. Darüber hinaus wurde den Beklagten ohnehin eine Sicherstellung durch eine Treuhandregelung ausdrücklich angeboten, von ihnen aber abgelehnt und damit vereitelt.
[13] 7. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).