1Ob59/22s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J* P*, vertreten durch die Glawitsch Sutter Rechtsanwälte GmbH, Linz, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Dr. Markus Kroner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 500.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2021, GZ 11 R 24/21k 185, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 19. August 2021, GZ 57 Cg 71/20z 179, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.365,20 EUR (darin 394,20 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.
Rechtliche Beurteilung
[2] 1. Die Revisionswerberin nimmt zu den vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfragen, insbesondere zum (grundsätzlichen) Umfang ihrer Haftung aus der Übernahme der örtlichen Bauaufsicht, nicht Stellung.
2. „Frustrierte Kosten Rohbau“
[3] 2.1. Dass sich die von den Vorinstanzen unter diesem Titel berücksichtigten Kosten von 470.027,15 EUR, von denen sie dem Kläger (entsprechend seinem Begehren) ein Sechstel, somit 78.377,86 EUR sA, – zusätzlich zu (nicht mehr strittigen) 147.155 EUR (als ein Sechstel der Kosten für „Sanierung des Bodengefüges“) – zuerkannt haben, aus mehreren Teilbeträgen zusammensetzen und darin auch Kosten enthalten sind, die zusätzlich für die Baufertigstellung – Sanierung des bereits erstellten Kellers und Hochbaus – aufzuwenden sind, hat bereits das Erstgericht festgestellt. Der Kläger selbst hatte diese beiden Positionen zusammengefasst und für „Rohbau und Wiederherstellung“ (als Sechstel des Gesamtbetrags) 225.492,85 EUR begehrt.
[4] Ergänzend wurde vom Berufungsgericht die Feststellung getroffen, dass von den 470.027,15 EUR auch Kosten umfasst sind, die bei Baufertigstellung nochmals anfallen (Verfüllung und neuerlicher Aushub der Baugrube; zu erneuernde Bauteile infolge Herstellung einer Dichtsohle durch Düsenstrahlinjektionen).
[5] Grundlage der Feststellungen des Erstgerichts zu diesen zusätzlichen Fertigstellungskosten des Projekts war das schriftliche Bausachverständigengutachten, das inso weit nicht Gegenstand der mündlichen Gutachtenserörterung mit dem Sachverständigen war. War Grundlage der erstgerichtlichen Entscheidung betreffend so bezeichnete „frustrierte“ Kosten nur eine mittelbare Beweisaufnahme – hier die Verwertung eines schriftlichen Gutachtens –, dann haben die Parteien im Berufungsverfahren auch nur ein Recht auf Wiederholung dieser mittelbaren Beweisaufnahme. Das Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung, die nur den Zweck hätte, die mittelbar aufgenommenen Beweise (neuerlich) zu verlesen, kann dann keinen relevanten Verfahrensmangel bilden , auch wenn das Berufungsgericht ergänzende Feststellungen aus diesen mittelbar aufgenommenen Beweisen trifft (RIS Justiz RS0042533 [T2]; RS0118509).
[6] Darüber hinaus muss ein Verfahrensmangel in jedem Fall auch „relevant“, also abstrakt geeignet sein, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RS0043027). Der Rechtsmittelwerber muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar aufzeigen, in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (vgl RS0043039 [T5]). Diesem Erfordernis genügt die Revision nicht, weil darin nicht ausgeführt wird, zu welchen abweichenden, für den Prozessstandpunkt der Beklagten günstigen Tatsachenfeststellungen das Berufungsgericht im Fall der Durchführung einer Berufungsverhandlung – und allenfalls einer Erörterung des Sachverständigengutachtens – gelangt wäre.
[7] Der behauptete Verfahrensmangel nach § 503 Z 2 ZPO liegt daher nicht vor.
[8] 2.2. Fragen der Verjährung wurden in der Berufung der Beklagten ausschließlich zu den (durch Abweisung bereits rechtskräftig erledigten) Finanzierungskosten releviert und können in der Revision zu anderen Teilansprüchen nicht nachgetragen werden (RS0034743; RS0043573 [T4, T40 bis T43]).
[9] 2.3. Der behauptete Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 405 ZPO, weil es die Kosten für die Sanierung des Baugrundes bzw die Sanierung des Bodengefüges aus dem Titel der „frustrierten Rohbaukosten“ zugesprochen habe, trifft nicht zu.
[10] Bei der Frage eines Verstoßes gegen § 405 ZPO ist nicht nur der Wortlaut des Begehrens, sondern auch der Inhalt des Sachantrags, also das Tatsachenvorbringen, aus dem der Antrag abgeleitet wird, zu berücksichtigen. Damit ist im Allgemeinen nur eine Bindung an die vorgebrachten rechtserheblichen Tatsachen, nicht jedoch an die rechtliche Qualifikation gemeint (6 Ob 114/17h mwN; RS0037610 [T34]). Nach ständiger Rechtsprechung ist das Tatsachenvorbringen vom Gericht nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Nur dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich und ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt ist, ist es dem Gericht verwehrt, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben (RS0037610 [T43]). Im Zweifel ist eine derartige Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen aber nicht anzunehmen (RS0037610 [T36]).
[11] Der Kläger machte als ein Sechstel der „Kosten für Rohbau und Wiederherstellung“ 225.492,85 EUR geltend, worin auch die von den Vorinstanzen als „frustrierte Kosten Rohbau“ zuerkannten 78.377,86 EUR (ein Sechstel von 470.027,15 EUR) enthalten waren. Dem Klagevorbringen ist keine Beschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund zu entnehmen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht „frustrierte Aufwendungen“ im engsten Wortsinn (vgl dazu RS0125779) begehrte, sondern – entsprechend seinem Sachvortrag, mit dem er sich ersichtlich auf das bereits vorliegende Gutachten bezog – verschiedene Aufwendungen , die zur Beseitigung der vorliegenden Schäden erforderlich seien , die aus einem am Grundstück des Klägers infolge eines nicht fachgerecht durchgeführten Aushubs eingetretenen hydraulischen Grundbruch resultierten und die die Beklagte durch die Verletzung der sie aus der Übernahme der Bauaufsicht treffenden Verpflichtungen mitverursacht habe, ist nicht zu beanstanden.
[12] 2.4. Selbst wenn der zuerkannte Schadenersatzbetrag teilweise eher der vom Kläger (bereits ursprünglich) begehrten Schadensposition „Sanierung des Baugrundes“ bzw „Sanierung des Bodengefüges“ zuzuordnen wäre, nennt die Beklagte – abgesehen vom nicht mehr beachtlichen Verjährungseinwand (siehe oben 2.2.) – keine Gründe , warum sie dafür infolge Verletzung ihrer Verpflichtungen aus der Übernahme der örtlichen Bauaufsicht nicht einzustehen hätte. Sie behauptet auch nicht, dass etwa bestimmte Schadenspositionen doppelt berücksichtigt worden wären. Warum der Kläger durch seine ursprüngliche, aber später modifizierte Aufschlüsselung der Schadenspositionen beschränkt sein sollte, ist nicht zu erkennen.
3. Feststellungsbegehren
[13] 3.1. Das Berufungsgericht bejahte mangels einer Bestimmbarkeit des von der Beklagten zu vertretenden Anteils am Schaden (vgl § 1302 ABGB) – neben einer Haftung des bau ausführenden Unternehmens – die unbeschränkte Stattgabe des Feststellungsbegehrens.
[14] Zwar hat der Kläger im Leistungsbegehren von der Beklagten nur den Ersatz eines Sechstels des auf seiner Baustelle bisher eingetretenen Gesamtschadens verlangt , er hat das Feststellungsbegehren aber gerade nicht auf eine anteilige Haftung beschränkt. Wenn die Anteile – wie hier – nicht bestimmbar sind, tritt nach § 1302 Satz 2 ABGB solidarische Haftung der Schädiger ein. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass mangels Bestimmbarkeit des von der Beklagten zu vertretenden Anteils an der Schadenszufügung die vollumfängliche Stattgabe des Feststellungsbegehrens berechtigt ist, bildet daher nicht den von ihr behaupteten Verstoß gegen § 405 ZPO.
[15] 3.2. Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen kann bei planmäßiger Fertigstellung des Projekts nicht ausgeschlossen werden, dass es zu weiteren Schäden und Kosten, auch wenn bereits Kosten für „unvorhergesehene“ Setzungen berücksichtigt sind, eintreten werden. Über die bereits in der Position „Unvorhergesehenes“ – als sehr wahrscheinlich – berücksichtigten Setzungsschäden hinausgehende Nachteile können daher nicht ausgeschlossen werden. Auf dieser Grundlage erkannte auch das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren unter konkreter Bezugnahme auf das haftungsbegründende schädigende Verhalten der Beklagten – die Verletzung ihrer Verpflichtungen aus der örtlichen Bauaufsicht – für berechtigt.
[16] Die Auslegung einer gerichtlichen Entscheidung ist aufgrund des Wortlauts des Spruchs und den Gründen der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewandten Gesetz vorzunehmen (RS0008802 [T3]; vgl zur Heranziehung der Entscheidungsgründe für die Auslegung der Tragweite des Spruchs auch RS0000300). Der Spruch des Feststellungsbegehrens ist daher im Zusammenhang mit der Entscheidungsbegründung des Berufungsgerichts zu lesen, dass die Beklagte für (künftige bzw noch nicht bezifferbare) Schäden durch weitere Setzungen und Senkungen resultierend aus der Verletzung ihrer Verpflichtungen aus der örtlichen Bauaufsicht des Bauvorhabens zu haften hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten bedarf es keiner weiteren Präzisierung des Feststellungs ausspruchs .
[17] 3.3. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur vor, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen nicht festgestellt wurden (RS0053317 [T5]). Die von der Beklagten ergänzend begehrte Feststellung zur gerichtlichen Inanspruchnahme der gründungstechnischen Gutachterin durch den Kläger im Umfang eines Sechstels aller künftigen Schäden am Bauvorhaben ist für das gegenständliche Verfahren nicht entscheidungsrelevant. In welchem Ausmaß der Kläger andere (potentielle) Schädiger in Anspruch genommen hat, spielt rechtlich keine Rolle.
[18] Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang – unter Hinweis auf Ausführungen des Sachverständigen – die Feststellung vermisst, wonach „qualitativ festgestellt werden kann, dass die zusätzlichen [zukünftigen] Setzungen jedenfalls nicht größer sind als jene, die bei einer von vornherein fach und sachgemäßen Baugrubenherstellung unvermeidlich aufgetreten wären“, stehen diesem Anliegen die dazu getroffenen, unbekämpften Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen entgegen, dass weitere Kosten für (die Behebung von) Setzungsschäden nicht ausgeschlossen werden können (siehe RS0043320 [T16, T18]; RS0053317 [T1]).
[19] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[20] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO. Da der Kläger in der Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, dient der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (vgl RS0035962; RS0035979). Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 3 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (RS0129365 [T2, T3]). Ein ERV Zuschlag gemäß § 23a Satz 1 RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für weitere Schriftsätze, zu denen nicht nur Rechtsmittel, sondern auch Rechtsmittelbeantwortungen gehören (RS0126594; daher nur 2,10 EUR).