3Ob225/21s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die verpflichtete Partei B* GmbH, *, vertreten durch Dr. Friedrich Helml, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (§ 355 EO), über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. Oktober 2021, GZ 14 R 134/21f, 14 R 135/21b 11, mit dem die Rekurse der verpflichteten Partei gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Urfahr vom 7. Juli 2021, GZ 7 E 821/21s 4, und vom 29. Juli 2021, GZ 7 E 821/21s 6, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über die Rekurse der verpflichteten Partei vom 29. 7. 2021 (ON 7) und vom 18. 8. 2021 (ON 9) unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind als weitere Kosten des Rekursverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom 7. 7. 2021 (ON 4) bewilligte das Erstgericht der Betreibenden gegen die Verpflichtete aufgrund der vollstreckbaren einstweiligen Verf ügung des Landesgerichts Linz vom 19. 5. 2021, AZ 4 Cg 67/21x, die Exekution gemäß § 355 EO zur Erwirkung der Unterlassung, im geschäftlichen Verkehr während des aufrechten Wettbewerbsverbots in * L* ein Fitnessstudio bzw einen Betrieb zu eröffnen und zu betreiben oder sich daran direkt oder indirekt zu beteiligen, das in wesentlichen Bestandteilen auf dem M* System basiert. Gleichzeitig verhängte es wegen behaupteter Zuwiderhandlungen eine Geldstrafe von 1.500 EUR. Mit Beschluss vom 29. 7. 2021 (ON 6) verhängte das Erstgericht aufgrund des behaupteten neuerlichen Zuwiderhandelns der Verpflichteten eine weitere Geldstrafe von 4.000 EUR.
[2] Das Rekursgericht wies die Rekurse der Verpflichteten gegen diese beiden Beschlüsse wegen Verspätung zurück. Der Beschluss ON 4 sei dem Vertreter der Verpflichteten am 13. 7. 2021 und der Beschluss ON 6 am 3. 8. 2021 nachweislich zugestellt worden. Der am 29. 7. 2021 gegen den Beschluss ON 4 und der am 18. 8. 2021 gegen den Beschluss ON 6 eingebrachte Rekurs seien daher verspätet . Der ordentliche Revisionsrekurs sei jeweils nicht zulässig.
[3] In ihrem Revisionsrekurs wegen Mangelhaftigkeit, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung führt die Verpflichtete aus, dass die zurückgewiesenen Rekurse in Wirklichkeit rechtzeitig eingebracht worden seien. Aus den von ihrem Vertreter bei der Post veranlassten Sendungsverfolgungen ergebe sich, dass der Beschluss ON 4 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065091833 tats ächlich am 15. 7. 2021 am Zustellort L* (Beilage ./B) und der Beschluss ON 6 zu Sendungsnummer BB00BBJ456210065514752 tatsächlich am 4. 8. 2021 ebenfalls am Zustellort L* (Beilage ./D) zugestellt worden seien. Aus einem ähnlich gelagerten Fall sei dem Verpflichtetenvertreter bekannt, dass die Post bei Nachsendeaufträgen offenbar teilweise wegen eines EDV Problems ein falsches Zustelldatum im Rückschein ausweise .
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt:
[5] 1.1 Im Anlassfall erfolgte hinsichtlich der beiden Beschlüsse des Erstgerichts ON 4 (Exekutionsbewilligung vom 7. 7. 2021) und ON 6 (Beschluss vom 29. 7. 2021) keine elektronische Zustellung im Rahmen des ERV, sondern eine Zustellung mittels hybriden Rückscheins. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich – seit dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl I 2008/5 – in § 22 Abs 3 ZustG (elektronische Übermittlung einer eingescannten physischen Zustellkarte) und in § 22 Abs 4 ZustG (Übermittlung eines elektronischen Zustellnachweises).
[6] 1.2 In der ursprünglichen Variante des hybriden Rückscheins nach § 22 Abs 3 ZustG (ab 1. 11. 2011) wurde der Zustellnachweis (die Zustellkarte) physisch ausgefüllt und unterschrieben. Der Zustellvorgang wurde somit auf der physischen Zustellkarte festgehalten. Anschließend wurde die Zustellkarte eingescannt und als PDF Dokument an die Zustellbehörde bzw das Gericht übermittelt; zudem wurden die Informationen zum Zustellstatus von der Post elektronisch gemeldet (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 22 ZustG Rz 22).
[7] 1.3 Seit Juni 2016 wird die Zustellkarte im Regelfall nicht mehr eingescannt, sondern unter Verwendung eines Handhelds (PDA) elektronisch erstellt (elektronischer Zustellnachweis nach Abs 4). In diesem Fall „unterschreibt“ der Empfänger nicht auf Papier, sondern – im Rahmen der physischen Zustellung des Schriftstücks – auf einem Handheld des Zustellers. Dabei werden das „Unterschriftzeichen“ und die sonstigen zustellrelevanten Daten elektronisch erfasst sowie der Zustellnachweis (die Zustellkarte) elektronisch generiert und gespeichert. Die elektronisch generierte Zustellkarte sieht ein Feld für ein dem Zusteller zuordenbares Namenszeichen vor, in das (aufgrund der gewählten technischen Umsetzung) die Personalnummer des Zustellers eingespielt wird (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 22 ZustG Rz 23).
[8] 2.1 § 22 Abs 4 ZustG betrifft somit die elektronische Erfassung des Zustellvorgangs und die Generierung einer elektronischen Zustellkarte. Die Erfassung des „Unterschriftzeichens“ des Empfängers über den Touchscreen des Handhelds (PDA) des Zustellers ist keine elektronische Signatur und demnach auch keine „elektronische Unterfertigung des Zustellnachweises“. Dafür bedürfte es gemäß § 4 Abs 1 SVG der Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur ( Brenn , „U Pad Unterschriften“ sind keine Unterschriften, NZ 2010/41, 161; siehe auch 294 RV BlgNR 23. GP 20).
[9] 2.2 Aufgrund der speziellen gesetzlichen Anordnung in § 22 Abs 4 ZustG gilt die Einhaltung der beschriebenen Vorgangsweise aber als „elektronische Beurkundung“ der Zustellung. Damit wird die elektronische Beurkundung (in Bezug auf den elektronischen Zustellnachweis) der Beurkundung der Zustellung auf dem herkömmlichen Papier Zustellnachweis iSd § 22 Abs 1 leg cit gleichgestellt. Da die Beurkundung nur durch ein (hier beliehenes) Organ erfolgen kann, wird die Beurkundungswirkung in der konkreten technischen Umsetzung durch Einspielen der Personalnummer des Zustellers auf der elektronischen Zustellkarte herbeigeführt. Aus der beschriebenen rechtlichen Gleichstellung folgt, dass auch der hybride Rückschein iSd § 22 Abs 4 ZustG eine öffentliche Urkunde ist, auf die § 292 ZPO zur Anwendung gelangt (abw in der Begründung 4 Ob 90/21w EvBl LS 2021/141 [ Brenn ]).
[10] 2.3 Nach § 292 Abs 1 ZPO erbringt ein gemäß § 22 ZustG beurkundeter Zustellnachweis als öffentliche Urkunde – wenn er die gehörige äußere Form aufweist – den vollen Beweis dafür, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Auch wenn § 292 Abs 2 ZPO zur Widerlegung der beurkundeten Tatsachen an sich den Beweis des Gegenteils erfordert, begnügt sich die Rechtsprechung beim Zustellnachweis mit dem Gegenbeweis, was mit dem Gebot der amtswegigen Überprüfung des Zustellvorgangs begründet wird. Für die Annahme der Unwirksamkeit der Zustellung reicht es demnach aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (4 Ob 90/21w mwN). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen des Adressaten zu den beanstandeten Zustellmängeln sowie eines Bescheinigungsangebots, das geeignet ist, diese zumindest glaubhaft zu machen (6 Ob 93/09h).
[11] 3. Ausgehend von dieser Rechtslage wurden über Auftrag des Obersten Gerichtshofs Erhebungen zur Zustellung der Beschlüsse ON 4 und ON 6 durchgeführt, und zwar insbesondere durch Einholung einer Auskunft bei der Post (ON 19), Einvernahme der Mitarbeiterin des Verpflichtetenvertreters (ON 20) sowie die Beischaffung von Urkunden (Nachsendeauftrag ON 18 und Zustellkarten zu ON 4 und ON 6). Daraus ergibt sich zu den beiden in Rede stehenden Zustellvorgängen Folgendes:
[12] Am 24. 9. 2020 erteilte der Verpflichtetenvertreter der Post einen vom 1. 10. 2020 bis 30. 9. 2021 gültigen Nachsendeauftrag vom Kanzleisitz in W* an seine Zweigniederlassung in L*. Am Kanzleisitz in W* wurden in dieser Zeit keine Zustellversuche durchgeführt (ON 18, 19 und 20).
[13] Die Exekutionsbewilligung (ON 4) wurde dem Verpflichtetenvertreter am 15. 7. 2021 sowie der Beschluss vom 29. 7. 2021 (ON 6) am 4. 8. 2021 mittels hybriden Rückscheins iSd § 22 Abs 4 ZustG an der Zweigniederlassung in L* zugestellt und dort von der Mitarbeiterin „M*“ übernommen. Die Zustellkarten wurden dabei elektronisch generiert und mit der jeweiligen Personalnummer des Postzustellers versehen (ON 19 und 20). In der Folge wurde dem Erstgericht der jeweilige Zustellstatus elektronisch zur Verfügung gestellt (ON 19: „exportiert“). Die auf den elektronischen Zustellkarten zu den Beschlüssen ON 4 und ON 6 angeführten Zustelldaten entsprechen nicht den Tatsachen.
[14] 4. Die Rekurse der Verpflichteten vom 29. 7. 2021 (ON 7) zur Exekutionsbewilligung ON 4 sowie vom 18. 8. 2021 (ON 9) zum Beschluss ON 6 waren damit rechtzeitig, weshalb der Zurückweisungsbeschluss durch das Rekursgericht zu Unrecht erfolgte. Das Rekursgericht wird diese Rechtsmittel nunmehr unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu erledigen haben.
[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO.