JudikaturOGH

1Ob46/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei MMag. D* H*, vertreten durch die Imre Schaffer Rechtsanwälte OG, Gleisdorf, gegen die beklagte Partei A* M*, vertreten durch die Riesemann Rechtsanwalts GmbH, Graz, wegen 138.240 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2022, GZ 2 R 227/21a 39, mit dem das Zwischen und Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Oktober 2021, GZ 41 Cg 10/21s 30, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Ein Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinn oder Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraus. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt (RIS Justiz RS0022681). Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Verletzten steht die Frage im Vordergrund, ob er jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung zu verhindern oder abzuwenden (RS0022681 [T15]).

[2] 1.2. Das Ausmaß eines Mitverschuldens wirft wegen seiner Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0022681 [T8, T10, T11]; RS0087606 [T1, T25]). Das gilt auch für die Frage, ob ein V erschulden des Schädigers so gering ist, dass es gegenüber dem des Geschädigten gänzlich in den Hintergrund tritt und daher vernachlässigt werden kann (vgl RS0087606 [T7]). Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn eine aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht vorliegt (vgl RS0042405). Das ist hier nicht der Fall.

[3] 2.1. Das Berufungsgericht bejahte zwar ein leicht fahrlässiges Verhalten des beklagten Gastwirts, weil durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, dass Kinder oder andere, nicht die nötige Einsichtsfähigkeit aufweisende Personen (etwa schwer Betrunkene) durch das Begehen des ungesicherten und unbeleuchteten Treppenabgangs geschädigt werden, sodass dagegen Vorkehrungen getroffen hätten werden müssen. Es stufte jedoch das Verschulden des Klägers als weitaus höher ein. Diesem sei die Örtlichkeit bekannt gewesen, er habe gewusst, dass die Treppe nicht abgesichert sei, insbesondere kein Geländer bestehe und der Abgang nicht (direkt) beleuchtet sei. Zudem sei er betrunken gewesen, wenn auch nicht gangunsicher, sodass von seiner Zurechnungsfähigkeit auszugehen sei. Um 2:00 Uhr in der Früh habe es leicht geregnet, was die Gefährlichkeit des von ihm gewählten Wegs weiter erhöht habe. Er hätte ohne weiteres der Gefahr ausweichen können, indem er einen der beiden „offiziellen“ Zugangswege benützt hätte, die korrekt ausgeleuchtet gewesen seien. Für ihn hätte klar sein müssen, dass über die Stiege kein vom Gastwirt für Gäste vorgesehener Abgang geführt habe. Denn dieser Weg sei nicht nur unbeleuchtet, sondern auch ohne Geländer/Handlauf versehen gewesen; seine äußerliche Beschaffenheit habe klar gegen einen gewidmeten Abgang zum dort befindlichen Parkplatz gesprochen. Der Kläger habe bewusst unter den ihm bekannten Gefahrenumständen und noch dazu „mittelgradig alkoholisiert“ (was sein Verschulden noch verstärke) diesen Weg gewählt. Dadurch sei von einer „Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 0 zu seinen Lasten“ auszugehen. Er habe sich bewusst der Gefahr eines Sturzes ausgesetzt, während er – trotz seiner Alkoholisierung – nicht zu jenen in der Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigten Personen gezählt hätte, denen gegenüber der Beklagte zur Vorsorge gegen die Benützung dieses „Abganges“ verpflichtet gewesen wäre. Diese Beurteilung ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht zu beanstanden .

[4] 2.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Unterlassen der an sich gebotenen Verhaltensweise durch den Kläger eine gravierende Sorglosigkeit in eigener Sache im Sinn des § 1304 ABGB begründet und bei weitaus überwiegendem Eigenverschulden des Geschädigten ein geringes Verschulden des Schädigers vernachlässigt werden kann, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Die Schadensteilung erfolgt nach der Schwere der beidseitigen Zurechnungsgründe (insbesondere Verschulden und Sorglosigkeit; Judikaturnachweise etwa bei Karner in KBB 6 § 1304 ABGB Rz 4).

[5] Dass es sich bei einer Alkoholisierung – der Kläger war „mittelgradig alkoholisiert“, sein Gang war aber weder unsicher noch torkelnd – um ein erkennbares Gefahrenmoment handelt, das die Benützung einer Treppe gefährlich macht, und bei Alkoholisierung das Betreten einer Treppe eine vermeidbare Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten begründen kann, ist in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs geklärt (1 Ob 174/19y; 8 Ob 22/21z). Der Kläger hatte das Schloss, auf dem die Hochzeitsfeierlichkeit ausgerichtet worden war, bereits mehrfach besucht und auch dort seine eigene Hochzeit gefeiert . Er kannte die Örtlichkeit und übernachtete auch gelegentlich vor Ort. Er wusste von der nördlichen und der südlichen („offiziellen“) Zufahrtsstraße, um in den Schlosshof zu gelangen. Tagsüber benützte er aber auch gelegentlich die Stiege, auf der der Unfall passierte, weil es sich dabei um eine Abkürzung handelte. Der Kläger kannte diesen Weg – was einen ganz wesentlichen Unterschied zu dem vom Revisionswerber als vergleichbar angesehenen Sachverhalt der Entscheidung zu 1 Ob 174/19y darstellt – und wusste, dass er in der Nacht weder beleuchtet noch mit einem Handlauf abgesichert war. Er hätte die gut abgesicherte und beleuchtete südliche oder nördliche Zufahrtsstraße leicht begehen können, um gefahrlos das Schloss zu verlassen. Dennoch wählte er ohne Notwendigkeit – es regnete leicht – den nicht als Zugangsweg zum Schloss ausgeschilderten Weg, um zum Parkplatz und von dort zu Fuß zu seiner Unterkunft im Ort zu gelangen. Wenn er aber mit der Unfallörtlichkeit umfassend vertraut war, um den Zustand des (nicht abgesicherten) Wegs wusste und diesen trotz „mittelgradiger Alkoholisierung“ um 2:00 Uhr als Abkürzung benützt, ist die Beurteilung, er habe sich bewusst einer Gefahr ausgesetzt und daher seinen Sturz – dessen näherer Ablauf nicht feststeht – selbst zu verantworten, unbedenklich und nicht korrekturbedürftig. Gleiches gilt für das Argument des Berufungsgerichts, der Beklagte wäre zwar gehalten gewesen, Schutzmaßnahmen zugunsten von Kindern oder schwer Betrunkenen zu treffen, der Kläger habe aber nicht zu diesem Personenkreis gezählt.

[6] 2.3. Entgegen der Ansicht des Klägers liegen keine sekundären Feststellungsmängel vor, wurden doch die für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Feststellungen getroffen. Soweit er in diesem Zusammenhang die Feststellung begehrt, dass er über die mangelnde Ausleuchtung des Wegs keine Kenntnis hatte, stehen diesem An sinnen die dazu getroffenen, abweichenden Tatsachenfeststellungen entgegen (siehe RS0053317 [T1]; RS0043320 [T16, T18]).

[7] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rückverweise