1Ob32/22w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* H*, vertreten durch die Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 922.025 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2021, GZ 14 R 145/21b 18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 29. Juli 2021, GZ 22 Cg 2/21a 14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die Zahlung von (erhöhtem) Unterhalt für Oktober 2018 steht in keinem kausalen Zusammenhang mit der zweitinstanzlichen Entscheidung im Anlassverfahren. Zur zutreffenden Beurteilung der Vorinstanzen, die diesen Unterhaltsbeitrag von 70.925 EUR sA schon mangels kausalen Schadens abwiesen, enthält das Rechtsmittel keine Ausführungen.
[2] 2. Im Amtshaftungsverfahren ist nur zu prüfen, ob eine Rechtsansicht vertretbar war (RIS Justiz RS0049951; RS0049955). In der Regel kann nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, das unvertretbar ist und keine sorgfältige Überprüfung erkennen lässt, einen Amtshaftungsanspruch zur Folge haben (RS0049912; RS0049955 [T8]). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb grundsätzlich einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0049955 [T10]; RS0110837).
[3] 3.1. Zu den Voraussetzungen für eine Erhöhung eines bereits zugesprochenen vorläufigen Unterhalts nach englischem Sachrecht während der Prozessdauer des Unterhaltsverfahrens existierte bis zur Entscheidung 3 Ob 187/19z keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Der Kläger erachtet die Rekursentscheidung dieses Anlassverfahrens für unvertretbar unrichtig , weil dieses den Unterhaltserhöhungsantrag seiner Ehefrau nicht auf der Grundlage der von ihm vorgelegten Rechtsgutachten zu den Rechtsgrundsätzen des englischen Rechts abgewiesen hatte. Anders als das Rekursgericht, das ein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen der Ehefrau annahm, erachtete der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 187/19z ihr Vorbringen zu bestimmten Prozesskosten nicht nur als unzureichend, sondern auch als rechtlich irrelevant; zudem sei der Ehefrau nicht der Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach Erlass der vorangegangenen einstweiligen Verfügung gelungen.
[4] 3.2. Im Amtshaftungsprozess ist nicht – wie im Rechtsmittelverfahren – zu prüfen, ob die beanstandete Entscheidung richtig ist, sondern (wie dargelegt) ob sie auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruht (vgl RS0049955).
[5] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Rekursgericht des Anlassverfahrens habe sich mit dem englischen Sachrecht befasst, bei pflichtgemäßer Überlegung sei es vertretbar gewesen, dass die Feststellungen zu den damals anhängigen Gerichtsverfahren der Eheleute, deren Streitwerten sowie den bisher aufgelaufenen Kosten zur Beurteilung der „aktuellen unmittelbaren Bedürfnisse“ der Ehefrau ausreichten, die Ehefrau habe dem Gericht nicht ein sogenanntes „Budget“ in Form einer genauen Auflistung ihrer (damals) aktuellen „unmittelbaren Bedürfnisse“ vorlegen müssen, sondern das Erfordernis einer Erhöhung des einstweiligen Unterhalts habe auch auf andere Weise gewonnen werden können und aufgrund der zahlreichen Gerichtsverfahren zwischen den Ehepartnern mit teilweise hohen Streitwerten und hohen bereits entstandenen sowie noch zu erwartenden Kosten sowie des außergewöhnlich hohen Lebensstandards während der aufrechten Ehe sei ein „ganz außergewöhnlicher Umstand“ nach englischem Recht vorgelegen, stellt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.
[6] 3.3. Maßgeblich für die Bestätigung der erstinstanzlichen Unterhaltserhöhung waren für das Rekursgericht im Anlassverfahren die zahlreichen zwischen den Eheleuten geführten Gerichtsverfahren mit überwiegend hohen Streitwerten, wodurch die Ehefrau über weniger „Geld“ verfügt habe, nicht so sehr der „außergewöhnlich hohe Lebensstandard während aufrechter Ehe“. Dass derartige Prozesskosten nach englischem Sachrecht kein Kriterium für die Beurteilung des vorläufigen Unterhalts während der Prozessdauer, dessen Erhöhung die Ehefrau im Anlassverfahren begehrt hatte, sind, hat der Oberste Gerichtshof erst zu 3 Ob 187/19z geklärt . Der Kläger vermag aber nicht aufzuzeigen , inwiefern die Berücksichtigung eines Geldbedarfs der Frau für diese Prozesskosten zahlreicher zwischen den Eheleuten geführter Prozesse durch das Rekursgericht unvertretbar gewesen sein soll. Bei hohen Prozesskosten, die die Ehefrau des Klägers (zumindest vorläufig) zu tragen hat, hat sie naturgemäß „unmittelbare Bedürfnisse“ im unterhaltsrelevanten Zeitraum, auch wenn diese nach englischem Recht für eine Erhöhung des laufenden vorläufigen Unterhalts nicht maßgeblich sind. Das Rekursgericht im Anlassverfahren hat die Erstellung eines sogenannten „Budgets“ mit einer detaillierten Tabelle über die verschiedenen Ausgabenkategorien als Frage des Prozessrechts beurteilt und nicht als materiell rechtliche Anspruchsgrundlage. Die Ehefrau hat kein solches „Budget“ vorgelegt. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Verständnis des Rekursgerichts, eine solche Auflistung sei nicht unbedingt notwendig, um das Gericht vom Erfordernis einer Erhöhung des einstweiligen Unterhalts zu überzeugen, sei vertretbar gewesen, ist nicht korrekturbedürftig.
[7] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).