JudikaturOGH

1Ob19/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* S*, vertreten durch Dr. Georg Retter, M.B.L., Rechtsanwalt in Krems an der Donau, gegen die beklagten Parteien 1. G* Z*, 2. C*, und 3. H* B*, alle vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 9.307,50 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 22. November 2021, GZ 18 R 70/21d 25, mit dem das Teil- und Teilzwischenurteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 29. Juni 2021, GZ 4 C 705/20x 19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien habe die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Der zweitbeklagte Verein, dessen Obmann der Erstbeklagte ist, betreibt ein Museum. Der geschotterte Zufahrtsweg zum Museum steht im Eigentum der Drittbeklagten, der auch die Erhaltung oblag. Er weist eine Steigung von 6 % auf und zweigt von einer asphaltierten Straße ab, die Teil einer Mountainbike Strecke ist. 11,5 m vom Rand dieser Straße entfernt ist quer über die Fahrbahn des Zufahrtswegs eines rot weiße Kette über die Breite von 3 m gespannt, die der Absperrung dient. Die Kette wurde über Auftrag der drittbeklagten Liegenschaftseigentümerin vor ca fünf Jahren angebracht und seither nicht gestrichen. 30 cm vor dem linken Steher dieser Absperrung ist ein Fahrverbotsschild mit der Zusatzaufschrift „Forststraße“ angebracht. Wenige Meter vor dieser Beschilderung weist ein Schild auf das Museum hin. Die Absperrkette war im abgenützten Zustand aus einer Entfernung von 15 m bei Beobachtung der gesamten Fahrbahn erkennbar, das Fahrverbotsschild aus einer Entfernung von 90 bis 95 m und daher schon von der asphaltierten Straße aus.

[2] Der Kläger fuhr mit seinem Mountainbike bei Tageslicht die a sphaltierte Straße entlang und beabsichtigte über den Schotterweg zum Museum zu fahren, um dort Getränke zu konsumieren. Er hatte das Fahrverbotsschild sowie die Absperrkette nicht wahrgenommen, fuhr auf der Straße mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h und verringerte diese im Bereich des Einfahrtstrichters zum Schotterweg konstant bis zur Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h. Er stieß gegen die dort über die Fahrbahn gespannte Kette, weil er sich bei der Abzweigung nur auf seine Fahrspur konzentrierte und nicht die gesamte Fahrbahn beobachtete. Aufgrund der von ihm gewählten Geschwindigkeit war ein Anhalten vor der Kette nach seinem Wahrnehmen aufgrund der damit einhergehenden Begrenzung seines Beobachtungsraumes auf sein Fahrraumprofil nicht möglich. Der Kläger erlitt beim Unfall Verletzungen.

[3] Der Kläger begehrt vom Erstbeklagten, weil dieser die schadenskausale Gefahrenquelle eröffnet und gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen habe, vom Zweitbeklagten aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Schutz und Sorgfaltspflichten und von der Drittbeklagten infolge der Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB Schadenersatz von 9.307,50 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Die Beklagten hätten eine Kette ohne sichtbare Warnlackierung aufgespannt. Sie hätten mit erhöhtem Mountainbike Verkehr rechnen müssen; das Museum werde als Sehenswürdigkeit empfohlen.

[4] Das Erstgericht sprach die Haftung des Zweitbeklagten dem Grunde nach zu einem Drittel aus und wies das darüber hinausgehende Leistungsbegehren gegen den Zweitbeklagten sowie die Klagebegehren gegen den Erstbeklagten und die Drittbeklagte ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, jener des Zweitbeklagten jedoch Folge und wies das Klagebegehren auch gegenüber dem Zweitbeklagten zur Gänze ab. Es sprach aus, dass „der Wert des Entscheidungsgegenstands“ „5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR“ übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage, ob eine Absperrkette auf einer Forststraße mit allgemeinem Fahrverbot eine Gefahrenquelle darstelle, für die zu haften sei, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers , die – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig ist, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Wenn der Kläger behauptet, der Erstbeklagte habe die Gefahrenquelle „erschaffen“, entfernt er sich von den getroffenen Feststellungen, wurde die Absperrkette doch von der Drittbeklagten angebracht.

[8] Warum das als sekundärer Feststellungsmangel gerügte Fehlen der Feststellung, der Erstbeklagte habe gewusst, dass eine offiziell freigegebene Mountainbike Strecke an den (Zufahrts )Weg, auf dem sich der Unfall ereignete, anschloss, für die rechtliche Beurteilung der Verschuldensfrage von Relevanz sein sollte, ist nicht ersichtlich.

[9] Die vom Kläger weiters begehrte zusätzliche Feststellung, nicht berechtigte Autofahrer seien über den Zufahrtsweg bis zum Museum hinaufgefahren, verstößt gegen das Neuerungsverbot, weil der Kläger dazu kein erstinstanzliches Vorbringen erstattet hat (§ 504 Abs 2 ZPO). Die begehrte Feststellung, dass nicht berechtigte Fahrradfahrer über den Zufahrtsweg bis zum Museum hinaufgefahren seien, und dies der Erstbeklagte gewusst habe, konnte das Berufungsgericht nicht treffen, weil dazu keine Informationen vorlägen. Insoweit liegt also der (im Revisionsverfahren unzulässige) Versuch vor, die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen zu bekämpfen.

[10] Auf welcher Rechtsgrundlage das Schadenersatzbegehren ausgehend von den getroffenen Feststellungen gegenüber dem Erstbeklagten berechtigt sein soll, führt der Revisionswerber nicht aus.

[11] 2. Der Kläger stützt seinen Schadenersatzanspruch auch im Rechtsmittelverfahren gegenüber der Drittbeklagten auf die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB.

[12] Bei Prüfung der Frage der Erkennbarkeit einer unerlaubten oder widmungswidrigen Benützung einer Straße, die nach § 1319a Abs 1 Satz 2 ABGB die Haftung des Wegehalters ausschließt, kommt es darauf an, ob dem Benutzer der Straße aufgrund optischer Wahrnehmungen erkennbar ist, die Straße widmungswidrig und unbefugt zu nutzen (RIS Justiz RS0029984), was sich nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilen lässt (4 Ob 200/12h = RS0029984 [T2]). Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Haftungsbefreiung gemäß § 1319a Abs 1 Satz 2 ABGB komme zum Tragen, ist nicht zu beanstanden, weil das Fahrverbotszeichen in einer Entfernung von 90 bis 95 m vor der Absperrung erkennbar war und die Kette in einer Distanz von 15 m, daher von jener Stelle, an der die asphaltierte Straße in den Schotterweg übergeht, bei Beobachtung der gesamten Fahrbahn wahrgenommen werden konnte. Der Kläger hätte daher nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihm das Fahren am Zufahrtsweg mit dem Rad trotz des bestehenden Fahrverbots, das ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbar gewesen wäre, gestattet wäre.

3. Gegenüber dem zweitbeklagten Verein , der das Museum betreibt, begründet der Kläger seinen Schadenersatzanspruch in der Revision mit dessen „vorvertraglichen Verkehrssicherungspflichten“ für den Zugangsweg. Ob Verkehrssicherungspflichten auf der – nicht bekannten – Länge des Forstwegs mit allgemeinem Fahrverbot bestehen, an dessen Beginn der Hinweis auf das Museum am Ende des Weges aufgestellt ist, muss im vorliegenden Fall nicht beurteilt werden (vgl nur 2 Ob 41/02x), weil die Auffassung des Berufungsgerichts, dass den Kläger das Alleinverschulden am Unfall trifft, der sich am Beginn des Weges ereignet hat, nicht korrekturbedürftig ist.

[13] Ohne Fehlbeurteilung argumentierte das Berufungsgericht, dass die Absperrkette selbst in abgenutztem Zustand aus einer Entfernung von 15 m bei Beobachtung der gesamten Fahrbahn erkennbar war, das Fahrverbotsschild aus einer Entfernung von 90 bis 95 m. Dies hätte dem Kläger ermöglicht, bei „Fahren auf Sicht“ rechtzeitig vor der Kette anzuhalten. Er habe nicht zu den Benützungsberechtigten der Forststraße mit allgemeinem Fahrverbot gehört, das auch für Mountainbiker gelte. Dass er irrtümlich in den Gefahrenbereich der Unfallstelle geraten sei, weil sich der Zufahrtsweg zum Museum in der Nähe einer Mountainbike Strecke befinde, sei auszuschließen. Wenn er die gesperrte Straße absichtlich befahre, gehöre er nicht zur Gruppe der Schutzberechtigten. Er sei mit 30 km/h für die Verkehrssituation, nämlich den Übergang von der asphaltierten Straße zum geschotterten Zufahrtsweg, der Kurve und dem Verkehrsschild, das zu beachten sei, und dem schlechten Zustand der Schotterstraße deutlich zu schnell unterwegs gewesen. Nur aufgrund seiner Geschwindigkeit sei ihm die Beachtung der gesamten Fahrbahn nicht möglich gewesen. Ein sorgfältiger Mountainbiker hätte jedoch die gesamte Fahrbahn beachtet, um auf etwaige Gefahren rechtzeitig reagieren zu können, das Verbotsschild wahrzunehmen und sich entsprechend zu verhalten.

[14] Keine der vom Kläger zitierten Entscheidungen ist mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbar. Auf dem Zufahrtsweg ist vor der darüber gespannten Stahlkette das Verbotszeichen „Fahrverbot“ mit dem Zusatz „Forststraße“ aufgestellt, das aus knapp 100 m Entfernung erkennbar ist und für den Kläger auch erkennbar war. Da der Zufahrtsweg zum Museum somit grundsätzlich nur von Fußgängern benützt werden darf, mussten die Beklagten auch keine weiteren Maßnahmen treffen, auch wenn bereits einmal ein Kraftfahrzeug infolge Unaufmerksamkeit eines Autofahrers mit der Kette kollidiert war.

[15] Grundsätzlich wird jemand nicht für schutzwürdig erachtet, der sich unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zu Gunsten unbefugter Eindringender getroffen werden (RS0027526 [T7] = 2 Ob 223/15f; RS0114361 [T3]). Im Einzelfall kann eine Interessenabwägung zwar ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat (RS0027526 [T6] = RS0023801 [T5]; RS0114361). Aufgrund des Fahrverbots und der aus 15 m Entfernung erkennbaren Kette war die Sperre der Zufahrtsstraße auch für den Radverkehr hier aber für jedermann erkennbar. Allein wegen der auf der asphaltierten Straße vorbeiführenden Mountainbike Strecke mussten die Beklagten nicht damit rechnen, dass ein Radfahrer irrtümlich und unzulässigerweise den geschotterten Zufahrtsweg zum Museum benützen wird. Für Fußgänger stellt die Absperrkette keine Gefahr dar. Sie können diese problemlos übersteigen oder am Rand der Absperrung vorbeigehen. Der Kläger hätte das Fahrverbotszeichen aus großer Entfernung wahrnehmen können. Wenn er trotz des erkennbaren (grundsätzlich) allgemeinen Fahrverbots den Zufahrtsweg befahren will, hat er das Risiko zu gewärtigen, dass zu Beginn dieses Weges eine Kette als Absperrung über den Weg gespannt ist. Die Beurteilung seines Alleinverschuldens durch das Berufungsgericht ist damit nicht korrekturbedürftig.

[16] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 und § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision nicht hingewiesen, sodass ihnen mangels zweckentsprechender Rechtsverteidigung kein Kostenersatz zusteht (RS0035962).

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