1Ob4/22b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Rivo Killer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Laura T. Moser, Rechtsanwältin in Pöttsching, wegen 22.097,74 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2021, GZ 11 R 155/21a 32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. Juni 2021, GZ 18 Cg 69/20d 26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Streitteile sind Nachbarn. Auf dem Grundstück des Beklagten stand im Jahr 2018 in einem Abstand von etwa 2,7 m zur Grundgrenze eine ca 8 bis 9 m hohe Blaufichte. In diesem Jahr wies der Kläger den Beklagten darauf hin, dass der Baum bei starken Stürmen eine Gefahr für die benachbarten Wohnhäuser darstellen könnte, worauf der Beklagte die baldige Fällung zusagte. Es war damals (nur) eine vom Baum zur Straße hin wachsende Wurzel erkennbar; Wurzeln (oder davon ausgehende Gefahren oder Beeinträchtigungen des Hauses) wurden von den Streitteilen nicht thematisiert. Nachdem der Kläger an mehreren Stellen seines Wohnhauses Risse wahrgenommen hatte, ließ er Mitte März 2019 von einem Statiker Grabungen durchführen, bei denen sich zeigte, dass eine Wurzel des Baumes in ein im Fundament des Hauses des Klägers befindliches keramisches Rohr eingewachsen war. Der Statiker vermutete deshalb einen Zusammenhang zwischen der Wurzel und den Rissen am Gebäude. Nachdem der Kläger dem Beklagten von diesen Erkenntnissen informiert hatte, ließ dieser die Blaufichte wenige Tage später fällen.
[2] Der Kläger macht – gestützt auf das Rücksichtnahmegebot des § 364 Abs 1 ABGB – Schadenersatzansprüche aus der Schädigung seines Hauses durch die Wurzeln des Baumes geltend. Er brachte vor, die Gefahr einer Schädigung durch die Wurzeln sei für den Beklagten leicht erkennbar gewesen, wogegen für ihn deren Beseitigung durch Ausübung des Selbsthilferechts nicht leicht und einfach möglich gewesen sei.
[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.
[4] Das Erstgericht referierte in seinem Urteil die in der zu 10 Ob 47/13d (= SZ 2013/108 = RIS Justiz RS0129246) ergangenen Entscheidung dargelegten Grundsätze. Darin wurden Schadenersatzansprüche gegenüber dem Eigentümer des Gewächses unter der Voraussetzung der erkennbaren Schädigung von Objekten aufgrund eindringender Wurzeln oder aufgrund „unmittelbarer Zuleitung“ (wozu aber nicht das bloße Wachsenlassen der Pflanze auch in den fremden Grund hinein zählt) für möglich gehalten. Für den konkreten Fall kam das Erstgericht zu dem Schluss, dass der Beklagte vor Entdeckung der eingewachsenen Wurzel durch den Kläger seine allfällige Beseitigungspflicht nicht habe erkennen können; auch der Kläger selbst habe zunächst eine Schädigung des Fundaments durch den Baum „nicht erkannt bzw nicht für wahrscheinlich gehalten“.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass der Beklagte, auch wenn für ihn (wie für den Kläger, der Wurzeln nicht thematisiert hatte) bereits im Jahr 2018 eine von seiner Blaufichte zur Straße hin wachsende Wurzel erkennbar gewesen war, allein daraus nicht den Schluss hätte ziehen müssen, dass eine in einem anderen Bereich unterirdisch verlaufende Wurzel das Haus des Klägers gefährden könnte. Zur (vom Kläger erstmals in der Berufung angesprochenen) Zusage der Fällung des Baumes im Jahr 2018 und dem Verzug mit der Erfüllung dieser Vereinbarung befand das Berufungsgericht, dass zwischen den vom Kläger behaupteten, allein durch das Wurzelwachstum verursachten Schäden und einer allfälligen Säumigkeit des Beklagten kein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehe, weil die vom Beklagten eingegangene Verpflichtung, einen Baum „wegen seiner gefährlichen Höhe“ zu fällen, nicht den Zweck habe, Schäden abzuwenden, die durch die Wurzeln des Baumes verursacht werden könnten. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Rechtsfrage fehle, ob die Verpflichtung eines Liegenschaftseigentümers, einen Baum „wegen seiner eine benachbarte Liegenschaft bedrohenden Höhe fällen zu lassen“, auch den Zweck habe, Schäden zu verhindern, die die Wurzeln dieses Baumes an der Nachbarliegenschaft verursachen könnten.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):
[7] 1. Wie weit der Schutzzweck eines singulären Vertrags geht, berührt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042761). Die Revision führt zum Umfang des Schutzzwecks des im konkreten Fall abgeschlossenen Vertrags gar nichts aus, sondern hebt bloß hervor, es ließen sich die vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidungen zu vertraglichen Schuldverhältnissen nicht ohne Weiteres auf das hier dem Klagebegehren zugrunde liegende nachbarrechtliche gesetzliche Schuldverhältnis übertragen.
[8] 2. Zur Haftung aufgrund eines schuldhaften Verstoßes gegen das (im Gesetz verankerte) nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot vertritt der Revisionswerber den Standpunkt, es sei für einen darauf beruhenden Schadenersatzanspruch nicht erforderlich, dass „ganz genau und konkret der dann eingetretene Schaden vorherzusehen“ sei, sondern es reiche, dass die „Gefährlichkeit des Baumes an sich“ erkennbar gewesen wäre, soweit der dann eingetretene Schaden nicht außerhalb „jeder Erwartbarkeit“ liege.
[9] Wenn gerade in der vom Kläger zitierten Entscheidung zu 10 Ob 47/13d (unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien [ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 14]) ausgeführt wurde, dass der Eigentümer eines Baumes auch nach der Gesetzeslage seit dem BGBl I 2003/91 dessen Äste und Wurzeln (weiterhin) in den fremden Grund wachsen lassen dürfe und solche Beeinträchtigungen des Eigentums des Nachbarn nicht nach § 364 Abs 1 letzter Satz ABGB als „unmittelbare Zuleitungen“ verstanden werden können, kann allein in dem Umstand, dass an der Oberfläche eine Wurzel zur Straße hin sichtbar war, noch nicht auf ein rechtswidriges Verhalten (hier ein Unterlassen) durch das Weiterwachsenlassen der Wurzeln geschlossen werden. Bei Pflanzen, die sich naturgemäß in alle Richtungen ausdehnen, entsteht – wie bereits in der Entscheidung zu 10 Ob 47/13d dargelegt – überhaupt erst aufgrund der Erkennbarkeit eines bestimmten, dem Nachbarn drohenden Schadens einer „konkreten Gefahr für Sachen oder Leib und Leben“ eine (konkrete) Beseitigungspflicht, und zwar auch nur im Hinblick auf diese Gefahr. Die „erkennbare Schädigung“ (vgl 10 Ob 47/13d) ist demnach Ursache und (gleichzeitig) Grenze der Beseitigungspflicht. Es wird etwa in der Regel bei (bloß) einem morschen Ast (der erkennbar bald abbrechen und dann etwa in den Garten des Nachbarn fallen wird und so dort spielende Kinder verletzen oder einen Pavillon beschädigen kann) genügen, nur diesen Ast abzuschneiden. Der Baum als Ganzes wird in der Regel nicht gefällt werden müssen. Dies kommt schon in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck, in denen konkret die durch unterschiedliche Teile der Pflanze wie Äste (an der Fassade des Hauses oder an einem geparkten PKW) oder Wurzeln (an Wasser- oder Kanalleitungen oder Wegplatten) oder auch Harz (am Lack von Fahrzeugen) verursachten (verschiedenen) Schäden erörtert werden (s ErläutRV aaO 13, 15). Auf eine Gefährlichkeit der Gewächse und Bäume „an sich“, wie dies der Kläger tut, wird darin nicht Bezug genommen.
[10] 3. Der Kläger unterstellt in der Revision zwar, es wäre für den Beklagten erkennbar gewesen, dass von dem Baum „über und unter“ der Erde eine Gefahr für seine Vermögensgüter ausgegangen sei, kann diesen Schluss aber anhand des festgestellten Sachverhalts nicht nachvollziehbar erklären; schon gar nicht, dass man damit hätte rechnen müssen, dass sich im Fundament des Hauses ein nicht verschlossenes oder angeschlossenes keramisches Rohr befindet, das Baumwurzeln eine Ausbreitungsmöglichkeit bietet. Zur Beurteilung des Berufungsgerichts, es habe im vorliegenden Fall an einer erkennbar drohenden Schädigung des Hauses des Klägers aufgrund eindringender Wurzeln gemangelt, kann der Kläger auf Basis des festgestellten Sachverhalts keine Fehlbeurteilung aufzeigen, weil das bloße Vorhandensein einer an der Oberfläche verlaufenden Wurzel (und einer Höhe des Baumes von 8 bis 9 m) nicht den Schluss aufzwingt, es werde eine unterirdisch verlaufende Wurzel auf der anderen Seite bereits in ein Rohr im Fundament des Nachbarhauses eingedrungen sein oder es drohe ein derartiger Schaden „unmittelbar“. War für den Beklagten die Schädigung, derentwegen der Kläger nun Ersatz begehrt, nicht absehbar, hat der Kläger schon nicht nachweisen können, dass für diesen die Pflicht bestanden hatte, hinübergewachsene Wurzeln zu beseitigen. Erst an einen schuldhaften Verzug des Beklagten mit einer solchen Verpflichtung hätten Schadenersatzansprüche anknüpfen können.
[11] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weswegen ihm die Kosten seiner Rechtsmittelbeantwortung als zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverteidigung zu ersetzen ist.