JudikaturOGH

5Nc2/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* S*, vertreten durch die Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* A.S., *, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 161,59 EUR sA, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

Text

Begründung:

[1] D er Kläger streb t die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens zur Zahlung von 161,59 EUR an. Er stützt diesen Anspruch primär auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte-Verordnung“). D ie vo m Kläger bei der Beklagten gebuchten Flüge von Wien-Schwechat nach Istanbul-Sabiha Gökçen und von Istanbul-Sabiha Gökçen nach Wien-Schwechat seien von der Beklagten annulliert worden. Die Beklagte habe als ausführendes Luftfahrtunternehmen ihre Pflichten nach Art 8 und 9 der EU VO 261/2004 verletzt. Hilfsweise stützte der Kläger seinen Anspruch auf die Nichterfüllung des mit der Beklagten abgeschlossenen Luftbeförderungsvertrags.

[2] Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Nach Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses legte das Bezirksgericht Schwechat den Akt zur Entscheidung über den v om Kläger i n der Klage hilfsweise gestellten Ordinationsantrag nach § 28 JN v or.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor.

[4] 1. D er Kläger macht in seinem Ordinationsantrag die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN geltend. Danach hat der Oberste Gerichtshof, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Diese Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN sind in streitigen bürgerlichen Rechtssachen vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen ( § 28 Abs 4 zweiter Satz JN; RS0124087).

[5] 2. Der in Österreich lebende Kläger begründet die behauptete Unmöglichkeit und U nzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland im Wesentlichen mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung 4 Nc 9/21t (in einem gegen die hier Beklagte geführten Verfahren) festgehalten, dass die Mitgliedstaaten für unionsrechtlich normierte Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung gemäß Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen h ätte n. Diesem unionalen Verfahrensgrundrecht komm e insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen. Aus diesem Grund seien alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der Fluggastrechte-V erordnung normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen. Der Kläger habe seinen Wohnsitz in Österreich und sollte auch vom Abflughafen Wien-Schwechat befördert werden. Zudem lehnten türkische Gerichte die Anwendung der Fluggastrechteverordnung ab. Es sei jedenfalls von einer übermäßigen Erschwernis für Verbraucher auszugehen, Ansprüche in einem Drittstaat durchzusetzen.

[6] 3. Die Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN soll dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und damit einen allgemeinen Klägergerichtsstand zu etablieren (RIS Justiz RS0046322). § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (RS0057221 [T4]). Ist im Ausland ausreichender Rechtsschutz gewährleistet und würde die ausländische Entscheidung im Inland auch vollstreckt werden, so besteht bei Fehlen einer inländischen Zuständigkeit kein Anlass zur Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit (RS0046159).

[7] 4. Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen zu ähnlich gelagerten Sachverhalten (Beklagte waren jeweils Flugunternehmen mit Sitz in der Türkei) die Voraussetzungen für eine Ordination iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN verneint (5 Nc 11/21v mwN). Die diese Entscheidungen tragenden Erwägungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu:

[8] Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei ist nicht anzunehmen, weil die Türkei eine eigene Fluggastverordnung („SHY- Passenger “, Regulation on Air Passenger Rights from the Directorate General of Civil Aviation) kennt, die in Art 6 iVm Art 8–10 auch Regelungen für die Annulierung eines Flugs („Cancellation of flights“) enthält.

[9] Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei ist nicht anzunehmen, weil zwischen Österreich und der Türkei ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil und Handelssachen besteht (BGBl 1992/571).

[10] D er unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz bietet keine Grundlage dafür, eine allenfalls fehlende (generelle) Zuständigkeitsvorschrift des Verfahrensrechts nur im Hinblick auf diesen Grundsatz generell und unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN ist vielmehr in jedem einzelnen Fall zu beurteilen. Darauf, dass die Rechtsverfolgung in der Türkei kostspieliger wäre oder dass überhaupt in Österreich Exekution geführt werden sollte, hat sich d er Kläger gar nicht berufen.

[11] 5. Für die Durchsetzung der klägerischen Ansprüche in der Türkei besteht damit ein ausreichender Rechtsschutz. Dieser Auffassung ist mittlerweile auch der 4. Senat gefolgt; die in der Entscheidung 4 Nc 9/21t vertretene Rechtsansicht hielt er ausdrücklich nicht mehr aufrecht (4 Nc 20/21k). Die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN sind somit nicht gegeben.

Rückverweise