11Ns95/21s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kostersitz als Schriftführer in der Strafsache gegen * E* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 18 Hv 49/21w des Landesgerichts Klagenfurt, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 StPO durch das Oberlandesgericht Graz, AZ 10 Bs 172/21a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.
Text
Gründe:
[1] Mit Anklageschrift vom 30. April 2021 (ON 34 der Hv Akten) legt die Staatsanwaltschaft Klagenfurt E* als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB beurteilte Taten zur Last.
[2] Danach habe er – verkürzt wiedergegeben – in B* und anderen Orten des Bundesgebiets als Geschäftsführer der W* GmbH mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und (unter Verwirklichung der Kriterien des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall und Abs 2 StGB) in gewerbsmäßiger Absicht Verantwortliche von Unternehmen durch Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und willigkeit zu Holzlieferungen (1./ bis 7./) und Speditionstätigkeiten (8./) in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag verleitet, und zwar
1./ im Zeitraum 25. September bis 14. November 2018 Verantwortliche der V* r.s.o. zu 15 Holzlieferungen im Gesamtwert von 140.141,09 Euro;
2./ im Zeitraum 1. bis 5. Oktober 2018 Verantwortliche der M* GmbH zu acht Holzlieferungen im Gesamtwert von 54.792,24 Euro;
3./ im Zeitraum 3. bis 23. November 2018 Verantwortliche der Mu* d.o.o. zu fünf Holzlieferungen im Gesamtwert von 36.519,04 Euro;
4./ im Zeitraum 8. November bis 22. Dezember 2018 Verantwortliche der Z* d.o.o. zu 22 Holzlieferungen im Gesamtwert von 141.881,88 Euro;
5./ im Zeitraum 14. November bis 11. Dezember 2018 Verantwortliche der R* GmbH zu Holzlieferungen in unbekannter Anzahl im Wert von 282.723,94 Euro;
6./ im Zeitraum 19. November 2018 bis 16. Jänner 2019 Verantwortliche der W* GmbH zu elf Holzlieferungen im Gesamtwert von 86.228,59 Euro;
7./ am 22. November 2018 Verantwortliche der P* s.r.o. zu einer Holzlieferung im Wert von 203.763,36 Euro;
8./ von Ende 2018 bis Ende März 2019 Verantwortliche der N* d.o.o. zu Speditionstätigkeiten im Wert von 535.000 Euro.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen die Anklageschrift erhob E* Einspruch aus dem Grund des § 212 Z 6 StPO mit der Begründung, dass er seine Geschäftsführertätigkeit von seinem Büro in * T*, dem Sitz der I* GmbH telefonisch oder per E-Mail ausgeübt habe (ON 39).
[4] Mit Beschluss vom 25. November 2021, AZ 10 Bs 172/21a, legte das Oberlandesgericht Graz – nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 5 sowie 7 und 8 des § 212 StPO (vgl RIS Justiz RS0124585) – die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht, nämlich das Landesgericht Wels, zur Führung des Hauptverfahrens zuständig sei.
[5] Gemäß § 31 Abs 3 Z 6a StPO kommt dem Landesgericht als Schöffengericht das Hauptverfahren (unter anderem) wegen des Vergehens des schweren Betruges (§ 147 Abs 2 StGB) bei einem 50.000 Euro übersteigenden Schaden zu.
[6] Wird eine Person wegen mehrerer Straftaten angeklagt, ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO), wobei (soweit gegenständlich relevant) unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zur Führung aller Verfahren zuständig ist (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO).
[7] Die örtliche Zuständigkeit ist auch bei Subsumtionseinheiten hinsichtlich jeder der zusammenzufassenden Straftaten nach den Kriterien des § 36 StPO zu ermitteln. Möglicher Anknüpfungspunkt für die nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist dabei jeder einzelne der Tatorte (weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde [§ 36 Abs 3 StPO]), es sei denn, ein Umstand, welcher die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) nach sich zieht (hier relevant ein 50.000 Euro übersteigender Schaden – § 31 Abs 3 Z 6a StPO), wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS-Justiz RS0131445; Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 5/1 mwN; Nordmeyer , WK StPO § 26 Rz 8/1).
[8] Bezugspunkt für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Bei der Beurteilung, wo die Straftat begangen wurde, orientiert sich das Gericht – ohne Bindung an die Ortsangaben in der Anklageschrift – an der Aktenlage (vgl RIS Justiz RS0131309).
[9] Nach Anklageschrift (ON 34 S 2) und Aktenlage wurde allein der präsumtive Schadensbetrag zu 7./ durch eine Tat verursacht (vgl Sachverhaltsdarstellung der P* s.r.o. ON 2 S 3; Vertrag vom 22. November 2018 über die Lieferung von 1.200 m³ Holz um 170 Euro pro m³ ON 14 S 563 und ON 32 S 169; Angaben des Zeugen S* ON 10 S 14 = ON 32 S 147; Schiedsspruch ON 32 S 165 f).
[10] Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eines der zu 1./, 2./, 4./, 5./ und 6./ angeführten Unternehmen durch eine einzelne Holzbestellung oder das zu 8./ angeführte Unternehmen durch einen einzelnen Auftrag in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurde, können der Anklageschrift (vgl ON 34 S 1 f, S 5) und der Aktenlage (vgl ON 32 S 9 ff, S 35 ff, S 61 ff sowie zu 1./: ON 32 S 73 ff, zu 2./: ON 32 S 627 ff, zu 4./: ON 32 S 677 ff, zu 5./: ON 32 S 465 ff, zu 6./: ON 32 S 513 ff, zu 8./: ON 32 S 775 ff) nicht entnommen werden.
[11] Demnach begründet (einzig) der zu 7./ erhobene Anklagevorwurf schon für sich allein schöffengerichtliche Zuständigkeit, sodass jenes Landesgericht als Schöffengericht zur gemeinsamen Verfahrensführung örtlich zuständig ist, in dessen Sprengel die diesbezügliche Tat ausgeführt wurde (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO; RIS Justiz RS0127231).
[12] Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt geht von einer Tatbegehung in B* aus, weil der Angeklagte als Geschäftsführer der W* GmbH mit Sitz in B* gehandelt habe und auf den aktenkundigen Kaufverträgen (vgl zu 7./ ON 33 S 539) B* als Unterfertigungsort angeführt sei (ON 34 S 1, S 3; Note der Staatsanwaltschaft vom 17. November 2021).
[13] Nach dem Akteninhalt war der Angeklagte zum relevanten Zeitpunkt einzelzeichnungsberechtigter Geschäftsführer der W* GmbH mit Sitz in * B* und der I* GmbH mit Sitz in * T* (Gutachten ON 8 Tz 8 bis 12).
[14] Zwar scheint auf dem Vertrag vom 22. November 2018 zwischen der W* GmbH und der P* s.r.o als Unterfertigungsort B* auf (ON 14 S 563, ON 32 S 169). Doch kann allein daraus – schon weil unklar ist, wer den Vertrag für die W* GmbH unterzeichnet hat und bloße Vermutungen nicht ausreichen (RIS-Justiz RS0127231 [T4]) – nach der Aktenlage nicht darauf geschlossen werden, dass der Angeklagte am Sitz dieser GmbH gehandelt hat.
[15] Wie das Oberlandesgericht Graz zutreffend ausführt, ist nach den vom Angeklagten mit seinem Einspruch vorgelegten Unterlagen (vgl vor allem die Bestätigung der Meldung in * T* durchgehend seit 2. Jänner 1990 [ON 39 S 11] und die laufende Verrechnung von Telefon- und Internetkosten [ON 39 S 25 ff] und für „Büro, *, T*“ [ON 39 S 41 ff]) der I* GmbH an die W* GmbH in Verbindung mit den Angaben der einzigen Angestellten der W* GmbH (wonach ihr wegen der räumlichen Trennung zum Geschäftsführer im April 2014 Prokura erteilt wurde – ON 25 S 7) und des Direktors der P* s.r.o (wonach Korrespondenzen wie Vertragsabschlüsse schriftlich per E Mail erfolgten und er nicht den Angeklagten, sondern „nur den Einkäufer Pr*“ kenne – ON 32 S 145 ff) sowie der Aussage des als Holzeinkäufer tätigen Angestellten der I* GmbH Pr* über die Rolle des E* bei der Geschäftsabwicklung (ON 25 S 28 f) darauf zu schließen, dass der Angeklagte die Geschäfte der W* GmbH nicht an deren Sitz, sondern von * T* (Sitz der I* GmbH) ausführte.
[16] Da demnach nach den bisherigen Verfahrensergebnissen zu 7./ ausschließlich von einem präsumtiven Tatort im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts Linz auszugehen ist, hat dieses Gericht über den Einspruch zu entscheiden (RIS Justiz RS0124585).