JudikaturOGH

3Ob7/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1) Y* E*, geboren am * 2016, 2) F* E* und 3) J* E*, beide geboren am * 2017, alle wohnhaft in *, vertreten durch das Land Tirol (Stadtmagistrat Innsbruck, Kinder- und Jugendhilfe, *) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter N* E*, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Dezember 2021, GZ 52 R 99/21x 253, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge über die drei Kinder im Teilbereich Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesem Bereich und übertrug diese dem Land Tirol als Kinder- und Jugendhilfeträger.

[2] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

[3] Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Mutter keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[4] 1. Auch im Verfahren außer Streitsachen kann eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz im Revisionsrekursverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (vgl RS0050037; RS0030748). Dieser Grundsatz ist nach der Rechtsprechung im Pflegschaftsverfahren ausnahmsweise nur dann nicht anzuwenden, wenn das Aufgreifen eines solchen Verfahrensfehlers zur Wahrung des Kindeswohls erforderlich ist (RS0050037 [T1, T4 und T8]; RS0030748 [T2, T5 und T18]). Ob dies der Fall ist, stellt letztlich eine Frage des Einzelfalls dar (RS0050037 [T9 und T18]).

[5] Das Rechtsmittel der Mutter zeigt keine solche besonderen Gründe auf: Abgesehen davon, dass sich der Kompetenzbereich eines gerichtlichen Sachverständigen nach der Eintragung in die Sachverständigenliste (hier Familien- und Kinderpsychologie einschließlich Obsorge, Besuchsrecht, Fremdunterbringung, Kindeswohl, Missbrauch und Entwicklung) richtet, kommt es im Anlassfall nicht auf die medizinische Diagnose an, ob die Mutter an einer psychischen Störung mit Krankheitswert leidet. Für die Verneinung der Erziehungsfähigkeit war vielmehr entscheidend, dass sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung und der dadurch bedingten Denkmuster und Verhaltensweisen sowie ihres Umgangs mit Konfliktsituationen die Kinder vernachlässigt und sie gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt hat. Außerdem hat sie das Unterstützungsangebot und die Kooperation mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger abgelehnt.

[6] Davon abgesehen fallen Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0113643). Dies gilt unter anderem auch für die Fragen, ob der Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügt (RS0040586 [T4]) und ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (RS0043163; RS0043320).

[7] 2. Auch die von der Mutter behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben wurde (RS0043347). Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit kann aber nicht als Ersatz für eine im Revisionsverfahren generell unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RS0117019).

[8] Bei der Überlegung des Rekursgerichts, dass die Fragestellung der Erziehungsfähigkeit nicht einem Facharzt für Psychiatrie vorbehalten sei, weil sich eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit zwar auch, aber nicht ausschließlich aufgrund einer psychischen Erkrankung ergeben könne, handelt es sich um eine Schlussfolgerung, aber um keine Aktenwidrigkeit. Die Vorinstanzen stützten ihre Feststellungen aber ohnehin nicht auf eine psychische Störung der Mutter mit Krankheitswert.

[9] 3. Im Pflegschaftsverfahren sind – ungeachtet des auch im außerstreitigen Revisionsrekursverfahren an sich herrschenden Neuerungsverbots – nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene aktenkundige und unstrittige Entwicklungen im Interesse des Kindeswohls dann zu berücksichtigen, wenn die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird. Neues Vorbringen im Rechtsmittel macht die betreffende Behauptung allerdings noch nicht zur aktenkundigen und deshalb zu berücksichtigenden Tatsachengrundlage (RS0122192 [T3]).

[10] Das Rechtsmittel der Mutter führt keine solchen Umstände an. Für eine Annäherung zwischen ihr und den Kindern reichen die im Sommer 2020 von ihr begonnene Therapie sowie die von ihr angeführte Berufstätigkeit und die neue Partnerschaft nicht aus. Vielmehr ist nach der Tatsachengrundlage dafür eine rund zwei Jahre andauernde Strukturfindungs- und Stabilisierungsphase sowie die Herstellung einer Kooperationsbasis mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger erforderlich. Dafür, dass die mit dieser Übergangsphase angestrebte Zielsetzung bereits erreicht und dieses Ergebnis durch eine günstige Zukunftsprognose abgesichert ist, liegen keine gesicherten aktenkundigen Umstände vor, die zu einer in relevanter Weise veränderten Tatsachengrundlage führten.

[11] 4. Insgesamt gelingt es der Mutter mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Rückverweise