10ObS128/21b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Juni 2021, GZ 25 Rs 20/21h 28, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Februar 2021, GZ 62 Cgs 56/20f-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 418,36 EUR (darin enthalten 69,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Klägerin im Zeitraum von 8. 1. 2020 bis 3. 1. 2021 die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG – Anspruch und Bezug der Familienbeihilfe in eigener Person – erfüllt.
[2] Die Klägerin und ihre am 6. 9. 2018 geborene Tochter E* sind österreichische Staatsbürger. Die Klägerin war bis 31. 12. 2019 in der Schweiz berufstätig, seither ist sie Hausfrau. Seit 8. 1. 2020 wohnt sie gemeinsam mit der Tochter in einem gemeinsamen Haushalt in Vorarlberg. Der Vater der Tochter lebt – von der Klägerin und der Tochter getrennt – in der Schweiz. Er ist in der Schweiz unselbständig erwerbstätig. Die Obsorgeberechtigung der Mutter ist nicht strittig.
[3] Der Vater bezieht seit Ende September 2020 die Schweizer Kinderzulage. Unstrittig ist, dass die Schweizer Kinderzulage und die österreichische Familienbeihilfe gleichartige, nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierende Familienleistungen sind und die Schweizer Kinderzulage die österreichische Familienbeihilfe übersteigt.
[4] Der Antrag der Klägerin auf Gewährung der Familienbeihilfe wurde mit Bescheid des Finanzamts * vom 24. 6. 2020 abgewiesen. Dies wurde für den Zeitraum ab Jänner 2020 damit begründet, dass wegen der Berufstätigkeit des Vaters in der Schweiz und dem Umstand, dass die Klägerin keine Bezüge in Österreich habe, lediglich Anspruch auf die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe bestehe. Da die Kinderzulage in der Schweiz höher sei als die Familienbeihilfe in Österreich, betrage die Ausgleichszahlung null Euro.
[5] Entgegen der früheren Verwaltungspraxis wurde von den Finanzämtern in Österreich seit Jänner 2020 die Auszahlung des Kinderabsetzbetrags (§ 33 Abs 3 EStG) in jenen Fällen, in denen die im Ausland bezogene Familienleistung über jener in Österreich lag, eingestellt. So wird in der „Mitteilung über den Bezug der Ausgleichszahlung“ des Finanzamts * an die Klägerin vom 24. 6. 2020 ausgeführt, die Höhe der Ausgleichszahlung sei die Differenz der österreichischen Familienbeihilfe inklusive Kinderabsetzbetrag zur ausländischen Familienleistung. Der Klägerin wurden im Zeitraum von 8. 1. 2020 bis 3. 1. 2021 daher weder eine Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe noch der österreichische Kinderabsetzbetrag ausgezahlt.
[6] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. 7. 2020 wies die beklagte österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld als Konto in der Variante 851 Tage für den Zeitraum ab 6. 9. 2018 ab. Dies wurde für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum (ab 8. 1. 2020) damit begründet, dass nicht die Klägerin, sondern der Vater des Kindes die Schweizer Kinderzulage bezog.
[7] Die Klägerin begehrt in ihrer Klage den Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR täglich für den Zeitraum von 8. 1. 2020 bis 3. 1. 2021.
[8] Sie brachte vor, sie habe keinen Anspruch auf den Bezug der Schweizer Kinderzulage in eigener Person, weil diese demjenigen Elternteil gebühre, der in der Schweiz berufstätig sei. Sie habe auch keinen Anspruch auf Drittauszahlung gemäß dem Schweizer Familienzulagengesetz (FamZG), weil der Vater seiner Unterhaltsverpflichtung bis September 2020 teilweise nachgekommen sei. Würde der Umstand, dass der in der Schweiz lebende Vater die Kinderzulage beziehe, dem Kinderbetreuungsgeldanspruch der Klägerin entgegenstehen, so könnten getrennt lebende Elternteile wie die Klägerin dann, wenn die ausländische Familienleistung die österreichische Familienbeihilfe übersteige, allein aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der ausländischen Familienleistung niemals die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 8 KBGG erfüllen. Eine solche Auslegung, wie sie die Beklagte vertrete, führe zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis. Der Umstand, dass nicht die Klägerin, sondern der Vater des Kindes die Schweizer Kinderzulage bezogen habe, stehe ihrem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld daher nicht entgegen. Darüber hinaus sei Österreich nach der Entscheidung 10 ObS 115/20i auch dann zur Leistung von Kinderbetreuungsgeld – bei nachrangiger Zuständigkeit als Ausgleichszahlung – verpflichtet, wenn nur deshalb kein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe bestehe, weil für das Kind eine der österreichischen Transferleistung vergleichbare ausländische Beihilfeleistung bezogen werde.
[9] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Sie brachte vor, die Voraussetzungen des § 2 Abs 8 KBGG seien nicht erfüllt, weil die Klägerin die Schweizer Kinderzulage, die gemäß Art 5 VO (EG) 883/2004 der österreichischen Kinderbeihilfe gleichzuhalten sei, nicht in eigener Person bezogen habe. Nach der Entscheidung 10 ObS 115/20i sei die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe in Fällen, in denen die Ausgleichszahlung auf die österreichische Familienbeihilfe Null betrage, nur dann erfüllt, wenn dem Elternteil, der Kinderbetreuungsgeld beantrage, der österreichische Kinderabsetzbetrag ausgezahlt werde.
[10] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
[11] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob stets ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe, wenn die Summe der nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen die Summe der zu koordinierenden österreichischen Familienleistungen nicht erreiche, und weil im vorliegenden Fall – anders als in dem der Entscheidung 10 ObS 43/21b zugrunde liegenden Sachverhalt – kein Kinderabsetzbetrag ausgezahlt worden sei.
[12] Rechtlich führte es – gestützt auf die Entscheidung 10 ObS 115/20i des Obersten Gerichtshofs – aus, Österreich sei auch dann zur Leistung von Kinderbetreuungsgeld – bei nachrangiger Zuständigkeit als Ausgleichszahlung – verpflichtet, wenn nur deshalb kein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe bestehe, weil für das Kind eine der österreichischen Transferzahlung vergleichbare ausländische Beihilfeleistung bezogen werde. Dies sei hier der Fall. Da der Kinderabsetzbetrag der Familienbeihilfe funktionsgleich sei, schade es nicht, dass er der Klägerin nicht ausgezahlt werde. Der Umstand, dass der Anspruch auf Schweizer Kinderzulage nach Art 7 Abs 1 (Schweizer) FamZG primär dem in der Schweiz erwerbstätigen Vater zustehe, wirke sich bei der Anspruchsprüfung nach § 2 Abs 8 KBGG nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld sei auch deshalb berechtigt, weil die Summe der zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen (die Schweizer Kinderzulage) jene der österreichischen Familienleistungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, beantragtes Kinderbetreuungsgeld) nicht übersteige, weil in der Schweiz keine dem Kinderbetreuungsgeld gleichartige Familienleistung gewährt werde, und es unionsrechtswidrig wäre, der Klägerin in einer solchen Fallkonstellation das Kinderbetreuungsgeld als Ausgleichszahlung mit der Begründung zu verwehren, dass ihr die Familienbeihilfe nicht ausgezahlt werde.
[13] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abänderung und Klageabweisung anstrebt.
[14] Sie vertritt zusammengefasst, im vorliegenden Fall fehle der tatsächliche Bezug der Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG. Der bloße Anspruch auf Familienbeihilfe (als Ausgleichszahlung) dem Grunde nach sei nicht ausreichend. Die Klägerin hätte nach Schweizer Recht und Unionsrecht einen eigenen Anspruch auf Auszahlung der Schweizer Kinderzulage gehabt, weil der Vater den Kindesunterhalt nicht vollständig geleistet habe. Sie habe aber keinen entsprechenden Antrag gestellt. Sie erfülle daher die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld nicht.
[15] Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[16] Die Revision der Beklagten ist zulässig , weil der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen hat, ob die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe in eigener Person iSd § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG auch dann erfüllt ist, wenn sich aufgrund einer der Familienbeihilfe vergleichbaren, höheren ausländischen Familienleistung die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe nach der Differenzrechnung des § 4 Abs 2 und 3 FLAG mit Null bemisst und aus diesem Grund oder infolge der Anwendung der Antikumulierungsregel des Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 keine tatsächliche Auszahlung des Kinderabsetzbetrags (§ 33 Abs 3 EStG) stattfindet. Sie ist aber nicht berechtigt.
[17] 1.1. Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird.
[18] 1.2. Bei getrennt lebenden Eltern muss der antragstellende Elternteil, der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG in eigener Person erfüllen (§ 2 Abs 8 KBGG).
[19] 2. Nach § 4 Abs 1 FLAG haben Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Diese Personen erhalten jedoch – sofern sie österreichische Staatsbürger sind – eine Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach dem FLAG ansonsten zu gewähren wäre (§ 4 Abs 2 FLAG). Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrags der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe geleistet und gilt als Familienbeihilfe iSd FLAG (§ 4 Abs 3 und 6 FLAG).
[20] 3.1. Nach § 33 Abs 3 Satz 1 EStG steht Steuerpflichtigen, denen aufgrund des FLAG 1976 Familienbeihilfe gewährt wird, im Weg der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 EUR für jedes Kind zu.
[21] 3.2. Wie in der Entscheidung 10 ObS 115/20i (DRdA-infas 2021, 134 [ Neundlinger ]) ausführlich begründet wurde, qualifiziert der Gesetzgeber den an die Familienbeihilfe gebundenen und mit ihr ausgezahlten Kinderabsetzbetrag als eine der Familienbeihilfe funktions-gleiche Transferleistung. Die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ist somit auch dann erfüllt, wenn sich aufgrund einer höheren ausländischen Familienbeihilfeleistung die Ausgleichszahlung auf die österreichische Familienbeihilfe nach der Differenzrechnung des § 4 Abs 2 und 3 FLAG mit Null bemessen sollte bzw bemisst und tatsächlich nur der österreichische Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 3 EStG) als mit der Familienbeihilfe funktionsgleicher Teil der Ausgleichszahlung ausgezahlt wird (10 ObS 115/20i; 10 ObS 43/21b; RS0133357).
[22] 4.1. Die Beurteilung einer Fallgestaltung, in der der Kinderabsetzbetrag nicht bezogen wurde, musste vom Obersten Gerichtshof bisher nicht entschieden werden (vgl 10 ObS 43/21b). Die für die Beurteilung einer solchen Fallgestaltung maßgeblichen Erwägungen wurden jedoch bereits zu 10 ObS 115/20i dargelegt. Diese betreffen zum einen das Ziel, das der Gesetzgeber anstrebte, als er den tatsächlichen Bezug der Familienbeihilfe zusätzlich zum Bestehen eines Rechtsanspruchs darauf als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aufnahm (BGBl I 2007/76). Zum anderen geht es darum, in Fällen, in denen die der Familienbeihilfe vergleichbare ausländische Familienleistung die Höhe der österreichischen Familienbeihilfe übersteigt, unionsrechtswidrige Auslegungsergebnisse zu vermeiden.
[23] 4.2.1. Im Hinblick auf die Zielrichtung der Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe – neben dem Bestehen eines Anspruchs darauf – wurde zu 10 ObS 115/20i hervorgehoben, dass der Gesetzgeber mit dieser Anforderung auf die Praxis der Gerichte reagierte, die Anspruchsvoraussetzungen für Familienbeihilfen selbständig zu prüfen. Durch die Klarstellung, dass die Gerichte an die Entscheidungen der zuständigen Finanzbehörden gebunden seien, sollte die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen abgewendet werden (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 4; vgl 10 ObS 115/20i).
[24] 4.2.2. Den ersatzlosen Entfall der auf gleichartige ausländische Familienleistungen bezugnehmenden Regelung in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG mit der Novelle BGBl I 2007/76 erklärte der Gesetzgeber damit, dass nach der in grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwendenden Verordnung (EWG) 1408/71 sowohl Familienbeihilfe als auch Kinderbetreuungsgeld Familienleistungen seien. Bei einer aufgrund der Verordnung nachrangigen Zuständigkeit Österreichs sei die Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung auch dann erfüllt, wenn im vorrangig zuständigen Staat Anspruch auf eine gleichartige ausländische Familienbeihilfe bestehe (dem Grunde nach also Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe als Ausgleichszahlung im Sinn der VO bestehe) und diese tatsächlich bezogen werde (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 4).
[25] Daraus ergibt sich die Absicht des Gesetzgebers, dass Österreich auch dann zur Leistung von Kinderbetreuungsgeld (bei nachrangiger Zuständigkeit als Ausgleichszahlung in Höhe des Differenzbetrags zwischen österreichischem Kinderbetreuungsgeld und ausländischer gleichartiger Familienleistung) verpflichtet sein soll, wenn nur deshalb kein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe besteht, weil für das Kind eine der österreichischen Transferzahlung vergleichbare ausländische Beihilfeleistung bezogen wird (10 ObS 115/20i).
[26] 4.2.3. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die vom Vater bezogene Schweizer Kinderzulage iSd VO (EG) 883/2004 der österreichischen Familienbeihilfe vergleichbar ist und deren Höhe übersteigt. Nach § 4 Abs 2 und 3 FLAG bemisst sich die Ausgleichszahlung somit mit Null. In diesem Sinn wurde vom zuständigen Finanzamt mit Bescheid vom 24. 6. 2020 ausgeführt, dass ab Jänner 2020 ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung bestehe, dessen Höhe „aktuell“ null Euro betrage.
[27] 4.2.4. Die Vorinstanzen legten diesen Bescheid ihrer Beurteilung zugrunde. Soweit das Erfordernis des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2007/76 eine eigenständige Beurteilung des Anspruchs auf (Ausgleichszahlung zur) Familienbeihilfe durch die Gerichte verhindern soll, ist dieser Zweck im vorliegenden Fall daher gewahrt.
[28] 4.3.1. Der Senat hat in der Entscheidung 10 ObS 115/20i auch bereits ausgesprochen, dass ein unionsrechtswidriges Ergebnis vorläge, wenn in Fällen, in denen die ausländische Beihilfeleistung die österreichische Familienbeihilfe (im dortigen Fall: ohne Berücksichtigung des Kinderabsetzbetrags) übersteigt, sodass ein Differenzbetrag auf die Familienbeihilfe in Österreich gemäß § 4 Abs 2 und 3 FLAG nicht tatsächlich ausgezahlt wird, der Anspruch auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld (als Ausgleichszahlung) an der Voraussetzung der tatsächlichen Auszahlung der Familienbeihilfe scheitern würde, obwohl die Summe der nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen jene der österreichischen Leistungen nicht erreicht. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, ein derartiges unionsrechtswidriges Ergebnis zu verfolgen.
[29] 4.3.2. Der Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 3 EStG ist eine der Familienbeihilfe funktionsgleiche Transferleistung (10 ObS 115/20i). Daher ändert es nichts an den dargestellten Erwägungen, wenn die österreichischen Finanzämter seit Jänner 2020 die Schweizer Kinderzulage als eine nicht nur der österreichischen Familienbeihilfe, sondern auch dem Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 3 EStG gleichartige Leistung (vgl RS0122907) beurteilen und auch in diesem Verhältnis die Antikumulierungsvorschrift des Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 anwenden oder bei Bestehen eines Anspruchs auf Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe in Höhe von (nur) Null schlechthin die Auszahlung des Kinderabsetzbetrags ablehnen.
[30] Auch in Fällen, in denen die ausländische Beihilfeleistung die österreichische Familienbeihilfe zuzüglich des Kinderabsetzbetrags übersteigt, sodass weder ein Differenzbetrag auf die Familienbeihilfe gemäß § 4 Abs 2 und 3 FLAG noch der Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs 3 EStG tatsächlich ausgezahlt werden, wäre es daher unionsrechtswidrig, wenn der Anspruch auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld (als Ausgleichszahlung) an der Voraussetzung der tatsächlichen Auszahlung der Familienbeihilfe scheitern würde, obwohl die Summe der nach der VO (EG) 883/2004 zu koordinierenden ausländischen Familienleistungen (hier: Schweizer Kinderzulage) jene der österreichischen Leistungen (hier: Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Kinderbetreuungsgeld) nicht erreicht.
[31] Die Anspruchsvoraussetzung des tatsächlichen Bezugs von Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ist daher im vorliegenden Fall erfüllt.
[32] 5.1. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, im vorliegenden Fall sei die Voraussetzung des § 2 Abs 8 iVm § 2 Abs 1 Z 1 KBGG – der Anspruch auf und der tatsächliche Bezug von Kinderbeihilfe durch den das Kinderbetreuungsgeld begehrenden Elternteil in eigener Person – nicht erfüllt, weil die Schweizer Kinderzulage dem Vater des Kindes ausgezahlt wurde und eine tatsächliche Auszahlung des Kinderabsetzbetrags an die Klägerin aufgrund der Höhe der Schweizer Kinderzulage nicht stattfand.
[33] 5.2. Dies trifft nicht zu. Bereits die Entscheidungen 10 ObS 115/21i und 10 ObS 43/21b betrafen getrennt lebende Elternpaare, bei denen jeweils die Väter eine der österreichischen Kinderbeihilfe vergleichbare ausländische Familienleistung (zu 10 ObS 43/21b wie im vorliegenden Fall die Schweizer Kinderzulage, zu 10 ObS 115/20i die liechtensteinische Kinderzulage) bezogen und der (zu Recht bestehende) Anspruch der Mütter auf Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe aufgrund der Höhe der ausländischen Familienleistungen mit Null zu bemessen war.
[34] 5.3. Von dieser Fallgestaltung unterscheidet sich der vorliegende Fall nur dadurch, dass die Finanzämter ihre Verwaltungspraxis seit Jänner 2020 dahin umstellten, dass sie in den Fällen, in denen die im Ausland bezogene Familienleistung über der (vergleichbaren) österreichischen Leistung liegt, den Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 3 EStG) nicht mehr auszahlen. Ungeachtet dieser Änderung der Verwaltungspraxis ist im vorliegenden Fall – wie bereits ausgeführt – die Voraussetzung des tatsächlichen Bezugs der Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 1 Z 1 KBGG erfüllt.
[35] 5.4. Der Bescheid des zuständigen Finanzamts vom 24. 6. 2020, in dem ausgeführt wurde, dass lediglich ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung zur österreichischen Familienbeihilfe bestehe, die aktuell null Euro betrage, war an die Klägerin gerichtet und sprach über den von ihr gestellten Antrag ab. Es besteht daher kein Zweifel, dass ein solcher mit Null bemessener Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht nur als tatsächlicher Bezug von Familienbeihilfe iSd § 2 Abs 1 Z 1 KBGG, sondern auch als tatsächlicher Bezug von Familienbeihilfe durch die Klägerin in eigener Person iSd § 2 Abs 8 KBGG zu qualifizieren ist.
[36] 6. Die Vorinstanzen beurteilten den Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto daher zutreffend als berechtigt. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Klägerin einen eigenen Anspruch auf Schweizer Kinderzulage gehabt hätte, erweist sich daher im vorliegenden Fall nicht als entscheidend.
[37] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.