JudikaturOGH

11Os145/21i – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Februar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Februar 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jäger, BA, als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung der * P* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Geschworenengericht vom 30. September 2021, GZ 38 Hv 47/21h 55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * P* nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

[2] Danach hat sie am 10. Jänner 2021 in A* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht (US 4), nämlich einer paranoiden Schizophrenie, M* H* mit einem Messer zu töten versucht, „wobei sie zuvor der im Bett liegenden, halbseitig gelähmten M* H* mit zwei Messern am ganzen Körper zahlreiche Schnitte und einen Stich in den Bauch zugefügt hatte“, und es beim Versuch blieb, weil Personen zu Hilfe eilten, „wodurch H* eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung von Krankheitswert mit einer Dauer von weit mehr als 24 Tagen, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung sowie kreuzförmige Schnittwunden an der vorderen Bauchwand, eine rund 3 cm tiefe Stichwunde an der linken seitlichen Bauchwand, multiple oberflächliche, teils längs, teils schräg verlaufende Schnitte an beiden Unterarmen und an den Oberschenkeln, Blutunterlaufungen an beiden Schienbeinköpfen und am rechten Handrücken in der Höhe des 2. Mittelhandknochens und eine punktförmige Hautläsion am rechten Kleinfingerballen erlitt“, somit eine Tat begangen, die als Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

[3] Die Geschworenen haben die in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gerichtete Hauptfrage ebenso bejaht (und demgemäß die Eventualfragen in Richtung § 87 Abs 1 StGB [1./], § 84 Abs 4 StGB [2./] und §§ 84 Abs 4, Abs 5 Z 1 StGB [3./; vgl aber Lässig , WK StPO § 314 Rz 4, 10, § 316 Rz 8] unbeantwortet gelassen) wie die Zusatzfrage nach (krankheitsbedingter) Zurechnungsunfähigkeit.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen.

[5] Die das Unterbleiben der Stellung einer Zusatzfrage nach freiwilligem Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) kritisierende Fragenrüge (Z 6) lässt die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht vermissen. Denn die gesetzeskonforme Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit eines die begehrte Zusatzfrage (§ 313 StPO) – nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen – indizierenden Tatsachensubstrats. Dabei sind die ins Treffen geführten – in der Hauptverhandlung vorgekommenen – Verfahrensergebnisse (Tatsachenvorbringen im Sinne der §§ 313 f StPO) jeweils in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0120766; RS0117447 [T2, T4]; Lässig , WK StPO § 313 Rz 8).

[6] Diesen Erfordernissen wird die Rüge nicht gerecht. Soweit sie sich auf die – in der Hauptverhandlung einverständlich vorgetragenen (ON 54 S 39) – in einem Amtsvermerk der LPD Niederösterreich festgehaltenen (Erst-)Angaben des Opfers stützt, wonach die Betroffene von ihr zunächst abgelassen habe (ON 2 S 17), vernachlässigt sie die weiteren – gleichfalls einverständlich vorgetragenen (ON 54 S 39) – Depositionen der selben Zeugin (ON 8), wonach P* ihr zahlreiche Schnittverletzungen zugefügt habe, gesagt habe, H* sei der Teufel und gehöre erstochen, ihr daraufhin in den Bauch gestochen habe, wobei das Messer stecken geblieben sei, dann gesagt habe, sie gehe jetzt „eine rauchen“ und nachher sei H* tot bzw bringe sie sie um, zurückgekehrt sei, die Messer wieder an sich genommen habe, jedoch Geräusche gehört haben dürfte, als mehrere Zeugen ins Haus gekommen seien, und mit den Messern das Zimmer verlassen habe (ON 8 S 11 ff). Solcherart scheiden die Angaben des Opfers als prozessordnungsgemäß beachtliches Indiz für eine – den Anlass der begehrten Zusatzfrage bildende – freiwillige Aufgabe der Tatausführung durch die (im Übrigen jegliche Täterschaft in Abrede stellende; vgl ON 54 S 3 f, S 8, S 12) Betroffene aus ( Bauer/Plöchl in WK² StGB §§ 15, 16 Rz 127 ff; RIS Justiz RS0089892, RS0089862).

[7] Gleiches gilt, soweit die Beschwerde jeweils nur jenen Teil der Zeugenaussagen der Ma* H* und des * S* hervorhebt, wonach die Betroffene bei deren Eintreffen mit dem Messer auf dem Gang stand, aber d eren weitere Angaben nicht berücksichtigt, wonach sie einerseits behauptet habe, sie habe die Messer der H* weggenommen und sei „das“ nicht gewesen, andererseits gemeint habe, Gott habe ihr das angeschafft und sie müsse H* den Teufel austreiben (ON 54 S 16 f, ON 54 S 22 f). Der Beschwerde zuwider hat der Zeuge C* H* nicht ausgesagt, dass die Betroffene am Gang gestanden sei (vgl ON 54 S 20: „Sie ist neben dem Bett gestanden und dann ist sie rausgegangen […].“ sowie ON 54 S 21 auf die Frage, ob die Betroffene, als sie heruntergekommen seien, „im Zimmer oder heraußen“ gewesen sei: „Das kann ich nicht mehr sagen.“).

[8] Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag mit der Behauptung, die Angaben des Opfers und der weiteren Zeugen ließen auf das „Durchführen eines (vermeintlichen) Exorzismus“ durch die Rechtsmittelwerberin schließen, weshalb kein Tötungsvorsatz bestanden habe, dem Verweis auf die Ausführungen des Sachverständigen zum Vorliegen (bloß) oberflächlicher, nicht lebensbedrohlicher Verletzungen, spekulativen Überlegungen zur Möglichkeit des Zufügens tödlicher Verletzungen und dem Hinweis auf das „Fehlen einer Vollendungshandlung“ bzw die Abstandnahme von weiteren Tathandlungen keine nach allgemeiner menschlicher Erfahrung gravierenden Bedenken (RIS Justiz RS0118780) an der Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

[9] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher d ie Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

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