9ObA4/22m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei U* C*, vertreten durch Mag. Daniel Wolff, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. G* R* und 2. C* GmbH, beide *, beide vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger, Rechtsanwalt in Götzis, wegen 15.050 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 1. Dezember 2021, GZ 15 Ra 65/21b 50, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper in Folge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat. Gemäß § 333 Abs 4 ASVG gilt dies auch für Ersatzansprüche Versicherter gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betrieb.
[2] 2. „Vorsatz“ im Sinne des § 333 ASVG ist gleichbedeutend mit „böser Absicht“, die nach § 1294 ABGB nur gegeben ist, wenn der Schaden widerrechtlich mit Wissen und Willen verursacht worden ist. Der Vorsatz muss Eintritt und Umfang des Schadens umfassen (RS0085680 [T3]), wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) – also die Tatsache, dass der Schädiger den Eintritt des Schadens ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet – genügt. Es reicht jedoch nicht aus, wenn zB vorsätzlich Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten werden, solange nicht auch der Schadenseintritt vom Vorsatz umfasst ist (9 ObA 16/05a; 9 ObA 4/14z [Pkt 2.]; 8 ObA 66/21w [Rz 3]). Selbst gröblichste Fahrlässigkeit ist dem Vorsatz nicht gleichzuhalten (RS0085680 [T1]).
[3] 3. Die Beurteilung, ob ein Erfolg vorsätzlich herbeigeführt wurde, ist keine Tatfrage, sondern eine von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängige Rechtsfrage, die nur dann im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vom Obersten Gerichtshof überprüft werden kann, wenn es dem Revisionswerber gelingt, eine geradezu unvertretbare Rechtsansicht oder einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Denkgesetze aufzuzeigen (8 ObA 69/18g [Pkt 2.]). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
[4] 4.1. Nach den Feststellungen kam es im Betrieb der Beklagten zum ersten Mal zu einem Bruch des Fußauflageblechs und in der Folge zu einem Sturz eines Arbeitnehmers (des Klägers) in die während der Arbeiten notwendigerweise geöffnete Grube. Der Erstbeklagte (Geschäftsführer der Zweitbeklagten) wusste nicht, dass das Fußauflageblech nicht darauf ausgerichtet war, das gesamte Gewicht eines Menschen zu tragen und dass die Schweißnähte mangelhaft waren. Letzteres war für den Erstbeklagten weder erkennbar noch vorhersehbar. Er wollte nicht und rechnete auch nicht damit, dass ein Arbeiter in die beim Arbeitsvorgang geöffnete Grube stürzen und sich dabei verletzen könnte.
[5] 4.2. Wenn das Berufungsgericht daher eine vorsätzliche Schadenszufügung der Beklagten verneint, dann weicht es nicht von der dargelegten ständigen Rechtsprechung ab. Mit seiner – von den Feststellungen nicht gedeckten – Behauptung, der Arbeitsunfall hätte durch eine andere Konstruktion der Absturzhaube verhindert werden können, zielt der Revisionswerber auf die von der Zweitbeklagten einzuhaltenden Arbeitnehmerschutzvorschriften ab, die aber für die Annahme eines Vorsatzes im Sinne des § 333 Abs 1 ASVG nicht entscheidend sind. Soweit die Revision einen bedingten Vorsatz der Zweitbeklagten damit zu begründen versucht, dass diese trotz mehrerer regelmäßig eintretender Arbeitsunfälle jahrelang keine möglichen und ihr bekannten Maßnahmen zur Unfallverhütung gesetzt und damit Fakten unsachlich ignoriert habe, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie insoweit nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (RS0043312 [T12, T14]).
[6] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).