15Os129/21s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 30. Juli 2021, GZ 38 Hv 54/21i 16, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 (I./) sowie des Vergehens der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in V* und anderen Orten
I./ von 2016 bis Februar 2019 gegen die am * geborene und somit im Tatzeitraum unmündige * M* fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar
1./ durch vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben, nämlich die Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, indem er ihr in einer Vielzahl von Angriffen mehrmals wöchentlich mit der flachen Hand und der Faust Schläge gegen Gesicht und Körper versetzte, wodurch sie teilweise Verletzungen wie Rötungen und Hämatome sowie über die Gewaltanwendung hinausgehende Schmerzen erlitt;
2./ durch mit Strafe bedrohte Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, nämlich die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB, und zwar in einer Vielzahl von Angriffen „nahezu täglich“, indem er sie unter dem Vorwand, gefährliche Gegenstände bei ihr zu suchen, oberhalb der Bekleidung intensiv an den Brüsten sowie gelegentlich auch im Intimbereich zwischen den Beinen betastete;
II./ am 24. Dezember 2020 * M* durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er sie oberhalb der Bekleidung an den Brüsten sowie im Intimbereich zwischen den Beinen intensiv betastete.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welche sich als nicht berechtigt erweist.
[4] Die Mängelrüge bezeichnet die Urteilsbegründung als unvollständig und widersprüchlich (Z 5 zweiter und dritter Fall). Sie wendet ein, dass die Angaben der * M* bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung, wonach die Angriffe „im Schnitt wohl etwa drei Mal die Woche vorgekommen“ seien, nicht stimmen könnten, weil sie nur an den Wochenenden in der Wohnung ihrer Mutter und des Angeklagten gewohnt, sich sonst aber im Internat aufgehalten habe. Entgegen dem Beschwerdevorbringen haben die Tatrichter Unstimmigkeiten in den Angaben der genannten Zeugin sehr wohl berücksichtigt, indem sie darauf verwiesen, dass diese bei ihrer Vernehmung vor der Polizei noch von beinahe täglichen Schlägen berichtet hatte, die Angaben aber bei der kontradiktorischen Vernehmung relativierte. Dass es zu Zeiten, als sich * M* im Internat aufhielt, zu keinen Übergriffen kam, berücksichtigte das Schöffengericht ohnehin (US 6, 9). Der Rechtsmittelwerber versucht mit seinem Vorbringen die Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin in Frage zu stellen und argumentiert dabei nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Auch mit dem Vorbringen, das Erstgericht hätte sich nicht damit auseinandergesetzt, weshalb bei * M* von Betreuungspersonen keine Misshandlungsanzeichen wahrgenommen wurden und weshalb solche Wahrnehmungen „nicht zu einem aktiven Handeln geführt haben“, übt der Rechtsmittelwerber in gleicher Weise unzulässige Beweiswürdigungskritik (vgl im Übrigen US 6 f).
[5] Es ist kein Begründungsmangel, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn der Gerichtshof im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und logisch einwandfrei und zureichend begründet, warum er von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS Justiz RS0098377 [T7]). Dies verkennt der Rechtsmittelwerber, soweit er vorbringt, das Erstgericht hätte sich mit den Aussagen der * M* auseinandersetzen müssen, wonach sie mit dem Angeklagten sehr oft gestritten habe und es als sehr negativ empfunden habe und eifersüchtig war, nachdem sie im Jahr 2020 erfahren hatte, eine Schwester zu bekommen, deren Vater der Angeklagte sei. Dass die genannte Zeugin eine kognitive Beeinträchtigung aufweist, haben die Tatrichter berücksichtigt (US 9). Dass sie daraus nicht die vom Angeklagten gewünschten Schlüsse gezogen haben, ist als Ausfluss freier richterlicher Beweiswürdigung mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht bekämpfbar. Die Verantwortung des Angeklagten, er habe * M* bloß abgetastet, weil er sie zu ihrem eigenen Schutz nach gefährlichen Gegenständen durchsuchen wollte, seine Handlungen hätten keinen „sexuellen Hintergrund“ gehabt, hat das Schöffengericht bei der Beweiswürdigung im Übrigen erörtert (vgl US 8 f).
[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) verweist neuerlich darauf, dass sich das Opfer von 2016 bis Februar 2019 in einem Internat aufgehalten und den Haushalt der Kindesmutter und des Angeklagten nur an den Wochenenden besucht habe. Damit gelingt es nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes zu wecken.
[7] Das Vorbringen der Subsumtionsrüge (Z 10), es fehle im Ersturteil die Feststellung, wonach der Angeklagte die ihm angelasteten Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung im Rahmen jener Handlungen ausgeführt hätte, welche das Erstgericht als fortgesetzte Gewalt im Sinn des § 107b Abs 2 StGB beurteilt hatte, ist nicht nachvollziehbar und einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich. Dass die Straftaten nach § 207 Abs 1 StGB in einer unmittelbaren Beziehung zum Opfer der fortgesetzten Gewaltausübung stehen, ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil im Übrigen sehr wohl (vgl Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 38/11).
[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.