JudikaturOGH

3Ob190/21v – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei A* AG, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die verpflichtete Partei P* Corporation, *, vertreten durch Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP Co KG in Wien, wegen 10.000.000 EUR sA, über die beiden außerordentlichen Revisionsrekurse der verpflichteten Partei gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht (I.) vom 26. August 2021, GZ 47 R 45/21x 16, und (II.) vom 15. Oktober 2021, GZ 47 R 218/21p 22, mit dem der Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 15. September 2021, GZ 20 E 988/20v 18, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 26. August 2021 wird gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 15. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Zu I.:

[1] Das Erstgericht erklärte auf Antrag der Betreibenden den von den Schiedsrichtern * des Internationalen Schiedsgerichtshofs (International Court of Arbitration of the International Chamber of Commerce „ICC“) am 16. Oktober 2020 zur ICC Fallnummer * erlassenen Schiedsspruch für Österreich für vollstreckbar und bewilligte gegen die Verpflichtete die beantragte Exekution zur Hereinbringung des begehrten Teilbetrags.

[2] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Verpflichteten nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs dagegen mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] In ihrem gegen die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs vermag die Verpflichtete keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[4] 1.1 Unstrittig ist die Anwendbarkeit des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958, BGBl 1961/200, (NYÜ). Art V NYÜ regelt taxativ, aus welchen Gründen die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs versagt werden darf. Die Bestimmung unterscheidet zwischen Gründen, die vom Verpflichteten geltend gemacht (und nachgewiesen) werden müssen (Abs 1), und solchen, die von Amts wegen zu beachten sind (Abs 2). Die Prüfung der Versagungsgründe darf nicht auf eine Überprüfung des ausländischen Titels in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht hinauslaufen (Verbot der révision au fond). Zulässig und notwendig ist eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung nur im Rahmen der Vorbehaltsklausel des ordre public, ohne dass das Gericht des Vollstreckungsstaats rechtsmittelähnlich zu überprüfen hätte, wie der Streitfall richtig zu entscheiden gewesen wäre (RS0002409 [T4]; 3 Ob 153/18y mwN).

[5] 1.2 Gemäß Art V Abs 1 lit b Satz 2 NYÜ ist die Vollstreckung zu versagen, wenn die Partei, gegen die der Schiedsspruch geltend gemacht wird, nachweist, dass sie ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können. Nach der Rechtsprechung zu dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs ist maßgebend, ob sich das Schiedsgericht mit dem Vorbringen der Parteien auseinandergesetzt hat; ob es zu einem richtigen Ergebnis gekommen ist, kann im Stadium der Anerkennung des fremden Schiedsspruchs hingegen nicht mehr releviert werden, weil dies zu einer unzulässigen révision au fond führen würde (vgl RS0002409 [T6]; 3 Ob 10/17t; 3 Ob 153/18y mwN).

[6] 2. Die Verpflichtete nimmt Bezug auf Art V Abs 1 lit b Satz 2 NYÜ und bezeichnet die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinn dieser Regelung als „ausgesprochen restriktiv“ und „den heutigen juristischen und gesellschaftlichen Vorstellungen“ nicht mehr entsprechend. Eine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts oder einen Anlass für eine Änderung der Rechtsprechung vermag sie allerdings in ihrem Rechtsmittel nicht aufzuzeigen:

[7] 2.1 Bereits im Rekurs gegen die Vollstreckbarerklärung, in dem die Verpflichtete auf das damals noch anhängige Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwies, behauptete sie – ebenso wie im Vollstreckbarerklärungsverfahren in Deutschland als dortige Antragsgegnerin – „sieben Aufhebungsgründe, von denen jeder einzelne zur Aufhebung des Schiedsspruchs führen“ müsse. Im Einzelnen handelt es sich zusammengefasst um die vom Schiedsgericht in seiner Entscheidung – nach Ansicht der Verpflichteten unrichtig bzw unbegründet – angenommene Haftung für eine vorsätzliche Vertragsverletzung durch die Verpflichtete, ein (angebliches) Übergehen von zentralem Vorbringen der Verpflichteten, in einer (weiteren) Verletzung des rechtlichen Gehörs, indem ein Gutachten (des Deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWiG) zur Schadenshöhe nicht als Beweismittel akzeptiert, aber ein dazu erstattetes ergänzendes, angeblich verspätetes Vorbringen der Betreibenden zugelassen worden sei, weiters um – angeblich den Parteien vorenthaltene – Recherchen des Schiedsgerichts, die überraschend gewesen seien, sowie eine „willkürliche“ Schadensschätzung durch das Schiedsgericht und schließlich darum, dass das Schiedsgericht seiner Entscheidung Kosten der Betreibenden als unbestritten zugrunde gelegt habe, obwohl diese von der Verpflichteten bestritten gewesen seien.

[8] 2.2 Das Rekursgericht ist in seiner Entscheidung auf die Argumente der Verpflichteten eingegangen, wobei es dazu auch auf die jeweiligen Randnummern in der ausführlichen Begründung des Schiedsspruchs hingewiesen hat. Wenn die Revisionsrekurswerberin nun neuerlich meint, das Schiedsgericht sei in dem für vollstreckbar erklärten Schiedsspruch „nahezu blind“ den Ausführungen der Betreibenden gefolgt und habe zentrales Vorbringen der Verpflichteten und die von ihr durch zahlreiche Urkunden belegte Historie übergangen (Rz 33 bis 57 des außerordentlichen Revisionsrekurses), so zielt dies letztlich wieder nur auf eine – wie erwähnt, unzulässige – inhaltliche Überprüfung der (Tatsachenebene der) Entscheidung des Schiedsgerichts ab. Gleiches gilt für die angeblich fehlende Begründung des Schiedsspruchs für die Vorsatzhaftung (Rz 58 bis 82 des außerordentlichen Revisionsrekurses). Eine unrichtige Beurteilung des Rekursgerichts wird damit nicht aufgezeigt.

[9] 2.3 Nach der Rechtsprechung ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in einem Schiedsverfahren nicht schon dadurch gegeben, dass vorgetragene Angriffs- oder Verteidigungsmittel ungenügend beachtet wurden, sondern eine solche Verletzung liegt nur vor, wenn die Partei an der Geltendmachung ihrer Beweismittel gehindert war (vgl RS0045092 [T1]). Die Nichtaufnahme eines beantragten Beweises führt nach ständiger Rechtsprechung für sich allein noch nicht zur Aufhebung des Schiedsspruchs; Grundwertungen des Verfahrensrechts wären nur bei einer willkürlichen Vorgangsweise des Schiedsgerichts verletzt (18 OCg 9/19a mwN). Auch zu den von der Revisionsrekurswerberin behaupteten Verfahrensverstößen im Bezug auf die Verwertung des sogenannten IQWiG Gutachtens durch das Schiedsgericht (Rz 83 bis 111 des außerordentlichen Revisionsrekurses) ist eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts bei der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nicht erkennbar, weil eine willkürliche Vorgangsweise des Schiedsgerichts damit nicht einmal behauptet wird. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Begründung des Schiedsspruchs sehr wohl auch mit dem IQWiG Gutachten inhaltlich auseinandersetzte.

[10] 2.4 Soweit die Verpflichtete einen Versagungsgrund für die Vollstreckbarerklärung darin zu erkennen meint, dass das Schiedsgericht zur Schadensberechnung „eigene Recherchen“ angestellt habe (Rz 112 bis 116 des außerordentlichen Revisionsrekurses), ist dies – ebenso wie die beanstandete Ermessensentscheidung nach Billigkeitskriterien bei der Schadensschätzung durch das Schiedsgericht (Rz 117 bis 130 des außerordentlichen Revisionsrekurses) – nicht nachvollziehbar, zumal nach österreichischem Recht eine Ermessensentscheidung nach § 273 Abs 1 ZPO nicht revisibel wäre (RS0007104 [T2]) und daher ein Widerspruch des Schiedsspruchs zu den Grundwertungen des österreichischen (Schadenersatz- und Verfahrens-)Rechts von vornherein nicht in Betracht kommt.

[11] 2.5 Als weitere – angeblich die Versagung der Vollstreckbarerklärung begründende – Verletzung ihres rechtlichen Gehörs rügte die Verpflichtete bereits in ihrem Rekurs die angeblich vom Schiedsgericht als unstrittig behandelten Kosten der Betreibenden, die diese im Schiedsverfahren geltend gemacht habe; das Rekursgericht habe die Argumente der Verpflichteten nur mit einer Floskel beantwortet (Rz 131 bis 144 des außerordentlichen Revisionsrekurses). Auch damit gelingt es der Verpflichteten nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuwerfen, weil auch dieses Argument nur darauf hinausläuft, die Richtigkeit der Begründung des Schiedsspruchs anzuzweifeln.

[12] 2.6 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seiner Entscheidung vom 25. März 2021 über den in Deutschland von der Betreibenden aufgrund desselben Schiedsspruchs erhobenen Antrag auf Vollstreckbarerklärung den auch dort von der Verpflichteten (mit denselben Argumenten) erhobenen Gegenantrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs zurückgewiesen (und den Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt) hat.

[13] 3. Die angefochtene Entscheidung ist daher insgesamt nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängig. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 78 EO iVm § 528a und § 510 Abs 3 ZPO).

Zu II.:

[14] Gleichzeitig mit ihrem gegen die erstgerichtliche Vollstreckbarerklärung (sowie gegen die Exekutionsbewilligung) erhobenen Rekurs beantragte die Verpflichtete am 25. Jänner 2021 die Aussetzung des Verfahrens gemäß Art VI NYÜ mit Hinweis auf den im Dezember 2020 beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main in Deutschland eingebrachten Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs (ON 8).

[15] Das Erstgericht wies diesen Antrag (nach der zu oben zu I. behandelten Entscheidung des Rekursgerichts über den Rekurs der Verpflichteten gegen die Vollstreckbarerklärung sowie gegen die Bewilligung der Exekution) mit Beschluss vom 15. September 2021 ab (ON 18).

[16] Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main habe am 25. März 2021 den Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs zurückgewiesen und den Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt. Über die von der Verpflichteten dagegen erhobene Rechtsbeschwerde habe der deutsche Bundesgerichtshof bisher noch nicht entschieden. Die Erfolgsaussichten des Aufhebungsantrags der Verpflichteten sowie ihrer Rechtsbeschwerde seien als minimal zu beurteilen. Gemäß Art VI NYÜ stehe dem Gericht ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über einen Aussetzungsantrag zu; mangels realistischer Erfolgsaussichten werde von einer Aussetzung des Verfahrens abgesehen.

[17] Das Rekursgericht wies den dagegen von der Verpflichteten erhobenen Rekurs als absolut unzulässig zurück.

[18] Auch im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung gelte aufgrund des § 78 EO die Bestimmung des § 192 Abs 2 ZPO, wonach die Abweisung eines Unterbrechungsantrags durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden könne. Art VI NYÜ sehe keine zwingende Unterbrechung, sondern eine Ermessensentscheidung über einen derartigen Antrag vor, weshalb die Verweigerung der Unterbrechung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens betreffend den Schiedsspruch nicht bekämpfbar sei.

[19] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Verpflichteten dagegen ist unzulässig.

[20] 1. Die Beschwer des Rechtsmittelwerbers muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen (RS0130548 [T2]; RS0006497 [T36]); andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770; RS0006880).

[21] 2. Nach der oben zu I. begründeten Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses der Verpflichteten gegen die Vollstreckbarerklärung kommt eine Aussetzung des Verfahrens darüber schon begrifflich nicht (mehr) in Betracht (vgl RS0121002 zu Art 46 Abs 1 EuGVVO alt). Das Vollstreckbarerklärungsverfahren ist mit der Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses (oben zu I.) beendet.

[22] 3. Durch die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts über die vom Erstgericht abgelehnte Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ist die Verpflichtete daher nicht mehr beschwert. Die von der Verpflichteten aufgeworfenen Fragen der Rechtswirkungen einer funktionellen Unzuständigkeit für die Entscheidung über ihren Aussetzungsantrag sind damit nur noch von theoretisch abstrakter Bedeutung, weshalb darauf nicht einzugehen ist (vgl RS0002495). Die fehlende Beschwer hindert auch die Prüfung einer allfälligen Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung (RS0041770 [T52]).

Rückverweise