10Ob37/21w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1.) mj B*, geboren am *, 2.) mj A*, geboren am * und 3.) mj S*, geboren am *, alle vertreten durch das Land Steiermark als Kinder und Jugendhilfeträger (Stadt Graz, Amt für Jugend und Familie, Abteilung Recht Kindesunterhalt – Vaterschaft, 8011 Graz, Kaiserfeldgasse 25), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 24. September 2021, GZ 1 R 204/21h 9, womit der Rekurs der Kinder gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Graz West vom 31. August 2021, GZ 163 Pu 28/21i 5, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Die Kinder beantragten am 18. 8. 2021 die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG sowie die Geheimhaltung aller ihrer persönlichen Daten sowie derer ihrer Mutter gemäß § 10a AußStrG.
[2] Das Erstgericht bewilligte die Geheimhaltung der Wohnanschrift der Kinder und ihrer Mutter gemäß § 10a AußStrG iVm § 75a ZPO. Das Mehrbegehren auf Geheimhaltung aller persönlichen Daten von Kindern und Mutter wies es ab.
[3] Das Rekursgericht wies den gegen die Abweisung des Mehrbegehrens gerichteten Rekurs der Kinder im Hinblick auf den Rechtsmittelausschluss nach § 75 Abs 4 ZPO iVm § 10a AußStrG als unzulässig zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[4] Gegen diese Entscheidung erhoben die Kinder einen außerordentlichen Revisionsrekurs, den das Erstgericht als Antrag an das Rekursgericht auf nachträgliche Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses verbunden mit einem ordentlichen Revisionsrekurs wertete und dem Rekursgericht vorlegte.
[5] Mit einem weiteren Beschluss vom 4. 11. 2021 (ON 17) wies das Rekursgericht die Zulassungsvorstellung und den ordentlichen Revisionsrekurs zurück; es sprach aus, dass dagegen kein Rechtsmittel zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Das Erstgericht legte – nach einem Hinweis der Vertretung der Kinder, es sei ein außerordentlicher Revisionsrekurs eingebracht worden und es sei die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs abzuwarten (ON 20) – das Rechtsmittel der Kinder neuerlich vor, diesmal aber dem Obersten Gerichtshof als „außerordentlicher Revisionsrekurs“. Da jedoch dieses Rechtsmittel – ungeachtet seiner Bezeichnung als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ – vom Rekursgericht bereits rechtskräftig zurückgewiesen wurde, fehlt es an einem Rechtsmittel, über das der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hätte. D ie Akten sind daher an das Erstgericht zurückzustellen.
Ergänzend ist auszuführen:
[7] Die mit dem 2. Gewaltschutzgesetz, BGBl I 2009/40, eingeführten Bestimmungen der § 75a ZPO und §10a AußStrG verfolgen das Ziel, die Rechte von Opfern von Gewalt in der Familie auch im Zivilverfahren auszubauen (IA 271/A 24. GP 15). Richtig ist, dass in diesen Bestimmungen (nur) die Geheimhaltung der Wohnanschrift gegenüber dem Gegner vorgesehen ist, wenn eine Partei ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse dartut. Davon ist jedoch die hier vorliegende Situation zu unterscheiden: In diesem Verfahren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sollen nicht die Identitäten der Antragsteller und der Mutter und ihre bisherigen, dem Unterhaltsschuldner bekannten Namen diesem gegenüber geheim gehalten werden, sondern lediglich deren geänderte neue Vor und Familiennamen.
[8] Gemäß § 2 Abs 1 Z 10a iVm Abs 2 Namensänderungsgesetz BGBl 1988/195 (NÄG) liegt ein Grund für die Änderung des Familiennamens und des Vornamens vor, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit a StPO zu sein und dass eine Namensänderung Straftaten im Sinne des § 65 Z 1 lit a StPO vorbeugen kann. Opfer im Sinn des § 65 Z 1 lit a StPO ist jede Person, die durch eine vorsätzlich begangene Straftat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt, in ihrer sexuellen Integrität und Selbstbestimmung beeinträchtigt oder deren persönliche Abhängigkeit durch eine solche Straftat ausgenützt worden sein könnte.
[9] Den Kindern und der Mutter wurde hier eine Namensänderung gemäß § 2 Abs 1 Z 10 und 10a iVm Abs 2 NÄG bewilligt. Nach dem Vorbringen der Kinder und den den Anträgen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen angeschlossenen Urkunden ergibt sich, dass den Kindern und der Mutter der Status als „Opfer“ im Sinn des § 65 Z 1 lit a StPO in einem gegen den Unterhaltsschuldner geführten Strafverfahren zuerkannt wurde.
[10] In einer solchen Situation begegnet es keinen Bedenken, wenn im Verfahren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG die früheren Vor und Familiennamen der Kinder und der Mutter verwendet werden. Deren Identität ist nicht zweifelhaft, sie ist dem Gericht bekannt und wird dem Unterhaltsschuldner gegenüber auch nicht verborgen. In diesem Sinn ist hier kein Sachverhalt zu beurteilen, der dem Tatbestand des § 10a AußStrG iVm § 75a ZPO entspricht.
[11] Den Kindern und ihrer Mutter ist ein berechtigtes Interesse zuzubilligen, dem Unterhaltsschuldner gegenüber mit ihren bisherigen Namen aufzutreten: Denn sie würden sich bei Verwendung ihrer geänderten Namen im Unterhaltsvorschussverfahren genau jener Gefahr aussetzen, die die Namensänderung vermeiden soll. § 10a AußStrG (iVm § 75a ZPO) steht daher nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs der Verwendung der bisherigen, dem Unterhaltsschuldner bekannten Namen im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Ungeachtet des Umstands, dass der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Fall nicht über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, erfolgen diese Ausführungen zur Wahrung des vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutzes der Kinder und der Mutter vor Gewalt in der Familie.