4Ob195/21m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Kodek, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*-Gesellschaft mbH, *, vertreten durch die GLO Gößeringer Löscher Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch die Wiedenbauer Mutz Winkler Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 45.083,65 EUR sA über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandegerichts Graz vom 28. Juli 2021, GZ 4 R 51/21h 41, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 15. Dezember 2020, GZ 21 Cg 56/18x-37, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte errichtete eine Wohnanlage. Die Schwarzdecker und Spenglerarbeiten dafür führte die Klägerin um einen Pauschalpreis aus.
[2] Dem (letzten) Anbot der Klägerin lag einerseits eine detaillierte Ausschreibung samt Leistungsverzeichnis zugrunde, die der Architekt der Beklagten erstellt hatte; andererseits eine korrigierte Mengenangabe der Beklagten. Diese resultierte teilweise aus einer geänderten Ausführung und teilweise aus Eigenleistungen der Beklagten.
[3] Laut Vertrag werden „keine Mehrforderungen anerkannt, ausgenommen zusätzlich angeordnete Arbeiten“ . Im von der Beklagten formulierten Vertragstext heißt es außerdem: „Die Arbeiten bzw Leistungen wurden gemeinsam besprochen. Der AN kennt die Begebenheiten vor Ort und übernimmt die vollständigen und kompletten Arbeiten für das beauftragte BVH.
Die Abrechnung erfolgt zu einem Pauschalpreis. Die Mengen wurden vom AG anerkannt.“
[4] Die Klägerin bemerkte erst bei Erstellung der Schlussrechnung, dass die (offenbar gemeint: geleisteten) Mengen nicht der korrigierten Mengenberechnung entsprachen, die der pauschalierten Auftragssumme zugrunde lagen, sondern der ursprünglichen Ausschreibung.
[5] Die Klägerin begehrte 45.083,65 EUR an zusätzlichem Werklohn. Sie habe aus dem Werkvertrag auf Basis der konstruktiven Leistungsbeschreibung nur die von der Beklagten vorgegebenen und garantierten Mengen geschuldet. Sie könne daher die tatsächlich erbrachten, mangelfreien Mehrleistungen verrechnen. Allenfalls liege ein beachtlicher Kalkulationsirrtum der Klägerin vor. Sie stütze ihre Ansprüche außerdem auf Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherung.
[6] Die Beklagte wandte ein, dass ein echter Pauschalpreis vereinbart und bezahlt worden sei. Deshalb sei ein möglicher Kalkulationsirrtum der Klägerin nur ein unbeachtlicher Motivirrtum. Außerdem hätte die Klägerin die Beklagte gemäß § 1170a ABGB warnen müssen, dass die Herstellung des Werks einen um 36 % höheren Aufwand erfordern werde. Laut Vertragstext hätte sie Mehrleistungen sogar durch die Beklagte freigeben lassen müssen. Überdies wendete die Beklagte mangelnde Fälligkeit wegen Mangelhaftigkeit des Werks sowie Gegenforderungen aus diesem und einem anderen Bauvorhaben ein.
[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Parteien hätten auf Basis der Leistungsbeschreibung und offenen Kalkulation einen unechten Pauschalpreisvertrag geschlossen. Die Beklagte habe aber keinen Irrtum der Klägerin veranlasst, weil diese ausreichend Zeit gehabt habe, die offensichtlich unrichtigen Mengenangaben der Beklagten zu erkennen. Die Klägerin habe außerdem ihre vertragliche Pflicht verletzt, auf die Mengenerhöhungen hinzuweisen.
[8] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung wegen sekundärer Feststellungsmängel auf. Es teilte zwar die Ansicht, dass ein unechter Pauschalpreis vereinbart worden sei. Die bisherigen Feststellungen würden aber nicht ausreichen, um zu beurteilen, ob die Beklagte einen offenen Kalkulationsirrtum der Klägerin veranlasst habe. Das Erstgericht werde noch zu erörtern und festzustellen haben, ob die Mengenvorgaben der Beklagten (unter allfälliger Berücksichtigung von Ausführungsänderungen und Eigenleistungen) überhaupt eine Ausführung des auch funktional beschriebenen Werks ermöglicht hätten; wenn nein: ob die Klägerin die Angaben als offensichtlich unrichtig hätte erkennen können. Die vertraglich vereinbarte Pflicht zur Anzeige von Mehrleistungen betreffe nicht den offenen Kalkulationsirrtum, sodass ein Unterbleiben der Anzeige einen Entgeltanspruch der Klägerin nach § 872 ABGB nicht verhindere. Es ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil auch die Auffassung vertreten werden könnte, dass der Klägerin auch bei erfolgreicher Irrtumsanfechtung kein zusätzliches Entgelt zustehe, weil sie laut Vertrag Mehrleistungen erst von der Auftraggeberin hätte anerkennen lassen müssen.
[9] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
[10] Die Klägerin beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs ist zulässig , weil die Aufträge für das fortgesetzte Verfahren in erster Instanz ergänzungsbedüftig sind. Da sich dadurch nichts an der Aufhebung ändert, ist dem Rekurs nicht Folge zu geben (vgl RS0007094 [T7]).
[12] 1. Die Beklagte weist im Rekurs zu Recht darauf hin, dass die Klage nicht schlüssig ist.
[13] 1.1. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig iSd § 226 ZPO, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann ( RS0037516).
[14] 1.2. Die Klägerin leitete ihre Ansprüche daraus ab, dass sie über die angebotenen Leistungen hinaus Mehrleistungen erbracht und darüber Rechnung gelegt habe. Dabei erstattete sie jedoch kein Vorbringen zu Art und/oder Menge ihrer Mehrleistungen.
[15] Auch die Höhe der Klagsforderung lässt sich nicht aus den Klagsbehauptungen ableiten. Unstrittig ist im vorliegenden Fall nämlich, dass für die Schwarzdecker- und Spenglerarbeiten ein Pauschalpreis vereinbart wurde. Gleich, ob es sich dabei um einen echten oder einen unechten Pauschalpreis handelt (vgl dazu 9 Ob 41/04a), ist das nun begehrte zusätzliche Entgelt nicht im Vertrag geregelt. Wieso der Klägerin ein weiterer (im Vorbringen nicht näher aufgeschlüsselter) Entgeltanspruch laut Schlussrechnung zustehen soll, ist der Klage nicht zu entnehmen.
[16] 1.3. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche alternativ auf einen offenen Kalkulationsirrtum.
[17] Bei einer Vertragsanfechtung wegen Irrtums ist der Anfechtende sowohl für das Vorliegen des Irrtums als auch für dessen Wesentlichkeit (Ursächlichkeit für den Vertragsabschluss) behauptungs- und beweispflichtig (zuletzt 1 Ob 98/21z mwN). Die Klägerin hat daher konkret zu behaupten, in welcher Weise ihre Vorstellungen von der Wirklichkeit abwichen (vgl RS0014911 ) sowie ob und wenn ja, zu welchen Bedingungen die Parteien ohne diese Fehlvorstellung einen Werkvertrag geschlossen hätten (vgl RS0082957). Dabei wird insbesondere auch aufzuklären sein, ob und wenn ja welche Rolle die vom Erstgericht festgestellten Ausführungsänderungen und Eigenleistungen der Beklagten spielten.
[18] Der Höhe nach fehlen im Zusammenhang mit dieser Anspruchsgrundlage Tatsachenbehauptungen zur Bereicherung der Beklagten (bei Rückabwicklung nach Vertragsaufhebung wegen eines wesentlichen Irrtums) bzw zum angemessenen Entgelt gemäß § 872 ABGB (bei Vertragsanpassung wegen eines unwesentlichen oder wesentlichen Irrtums, vgl RS0014770).
[19] 1.4. Das Gericht darf die Partei nicht mit seiner Rechtsansicht überraschen (RS0108816, RS0037300); vor der Abweisung eines unschlüssigen Klagebegehrens ist ein Verbesserungsversuch vorzunehmen (RS0117576, RS0037161, RS0036355, RS0037166). Wenn ein Rechtsmittelgericht im Gegensatz zum Erstgericht das Klagebegehren für zu wenig bestimmt erachtet, muss es daher grundsätzlich das Urteil des Erstgerichts aufheben und dieses anweisen, dem Kläger die Verbesserung des Begehrens im Sinne der §§ 84, 85 ZPO aufzutragen (vgl RS0036355).
[20] Zwar unterbleibt die Aufhebung zur Erörterung der Unschlüssigkeit, wenn bereits der Prozessgegner diese substanziiert und klar eingewendet hat (RS0036355 [T21]). Im vorliegenden Fall griff die Beklagte die mangelnde Schlüssigkeit aber erstmals im Berufungsverfahren auf, wodurch die Klägerin aufgrund des Neuerungsverbots keine Möglichkeit zur Verbesserung hatte.
[21] 2. Im Übrigen zeigt der Rekurs keine Fehler in der vom Berufungsgericht auf Basis des bisherigen Klagsvorbringens und der bisherigen Verfahrensergebnisse überbundenen Rechtsansicht auf, sodass auf diese Ausführungen zu verweisen ist (§ 510 Abs 3 ZPO):
[22] 2.1. Die Beklagte wiederholt im Rekurs ihren Standpunkt, dass die Parteien einen echten Pauschalvertrag geschlossen hätten.
[23] Sie argumentiert dabei mit einem natürlichen Konsens der Vertragsparteien, womit sie sich allerdings von den (bisherigen) Feststellungen entfernt. Aus dem Sachverhalt des Ersturteils ergibt sich lediglich, dass es der „Beklagten wichtig war, einen Pauschalpreis zu vereinbaren“ . Nicht festgestellt ist dagegen, dass der Wille der Beklagten auf einen echten und keinen unechten Pauschalpreisvertrag abgezielt habe, geschweige denn, dass die Klägerin mit der Beklagten übereinstimmende Vorstellungen vom Vertragsinhalt gehabt habe.
[24] Damit kann die Beklagte weder die vom Berufungsgericht richtig dargestellten Grundsätze zur Unterscheidung von echtem und unechtem Pauschalvertrag noch deren nachvollziehbare Anwendung auf die (bisherigen) Feststellungen des Einzelfalls widerlegen.
[25] 2.2. Die Beklagte meint, dass sie jedenfalls keinen Irrtum der Klägerin verursacht habe, weil diese die von der Beklagten vorgegebene Kalkulationsgrundlage nicht geprüft habe.
[26] Diese Ausführungen gehen nicht vom – noch unvollständigen – Sachverhalt aus. Da schon aus dem Klagsvorbringen nicht klar wird, worin die Fehlvorstellung der Klägerin bestanden haben soll, kann aus den Feststellungen im Ersturteil noch weniger abgeleitet werden, dass der Klägerin ihr Irrtum hätte auffallen müssen oder sie gar den Vertrag „unter einer fast listigen Mentalreservation“ abgeschlossen habe.
[27] Sollte sich ein Irrtum der Klägerin sowie dessen Erkennbarkeit erweisen lassen, wird auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zu den Rechtsfolgen zurückzugreifen sein.
[28] 2.3. Die Beklagte argumentiert, dass der Klägerin jedenfalls kein Entgelt für Mehraufwendungen zustehe, weil sie die Beklagte zumindest gemäß § 1170a ABGB vor Überschreitungen hätte warnen und laut Werkvertrag vor Mehrleistungen sogar eine Freigabe durch die Beklagte hätte einholen müssen.
[29] Auch diese Argumentationslinie findet im Sachverhalt bisher keine Deckung, steht doch (noch) nicht fest, ob und wann der Klägerin eine Überschreitung des Leistungsumfangs überhaupt erkennbar war.
[30] Der erkennende Senat teilt jedoch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Vertragsbestimmung zur Freigabe von Mehrleistungen – allein ausgehend vom Vertragstext – nicht den Irrtum einer Vertragspartei regelt und daher die Anwendung des dispositiven Rechts der §§ 871 ff ABGB bei einem offenen Kalkulationsirrtum nicht hindert.
[31] 3. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher zunächst auf die Schlüssigstellung des Klagsvorbringens hinzuwirken haben. Erst wenn dies gelingen sollte, sind in einem zweiten Schritt die vom Berufungsgericht erteilten Aufträge umzusetzen. Sofern durch das neue Vorbringen und die zu treffenden Feststellungen keine Änderung des Sachverhalts in relevanten Punkten eintritt, wird der rechtlichen Beurteilung die Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zugrunde zu legen sein.
[32] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 ZPO.