20Ds13/21y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Mitterlehner und Dr. Pressl als Anwaltsrichter in Gegenwart von FI Ponath als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten über den Einspruch und die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Abwesenheitserkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 19. April 2021, AZ D 54/20, 8 DV 44/20, TZ 27, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger und des Kammeranwalts Mag. Kammler zu Recht erkannt:
Spruch
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Der Berufung wird mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass die Geldbuße eine Zusatzstrafe zur im Verfahren AZ D 51/19, 9 DV 45/19, der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer verhängten Disziplinarstrafe darstellt.
Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltenden Erkenntnis wurde ***** des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten (nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt) schuldig erkannt und über ihn eine Geldbuße von 3.000 Euro verhängt, weil er einen von seiner Mandantin ***** K***** am 30. April 2019 erlegten Kostenvorschuss in Höhe von 1.500 Euro trotz Aufforderung seiner Mandantin vom 5. August 2020, den Betrag zurückzuüberweisen, weder zurückbezahlt noch sich darüber verrechnet hat, und daher die übernommene Vertretung nicht mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit führte.
Rechtliche Beurteilung
[2] Gegen das in seiner Abwesenheit ergangene Disziplinarerkenntnis erhebt der B eschuldigte Einspruch gemäß § 35 DSt. Des Weiteren bekämpft er das Erkenntnis selbst mit Berufung wegen Schuld und Strafe.
[3] Der Rechtsmittelwerber hat am Vormittag des Verhandlungstages um Vertagung wegen einer „Magen Darm Grippe“ ersucht, dies aber trotz sofortiger Aufforderung dazu in keiner Weise bescheinigt. Fallbezogen (vgl unten in Erledigung des Einspruchs) kann darin keine ausreichende Entschuldigung (§§ 35, 51 Abs 5 DSt) erblickt werden, sodass die Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten durchzuführen war.
Zum Einspruch:
[4] Gemäß § 35 DSt kann die Verhandlung dann in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden, wenn er bereits vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt (vgl Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 35 DSt Rz 2), wobei die Entschuldigung entsprechend zu bescheinigen ist ( Lehner aaO Rz 5).
[5] Im Disziplinarverfahren erster Instanz wurde der Beschuldigte zunächst für 15. März 2021 zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Er äußerte sich mit Schriftsatz vom 15. März 2021 (TZ 19) inhaltlich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und beantragte gleichzeitig die Vertagung dieser Verhandlung mit der Begründung, dass er den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen könne. Eine Bescheinigung des Vertagungsgrundes erfolgte nicht. Dem Vertagungsantrag wurde Folge gegeben. Es wurde eine neuerliche Verhandlung für 19. April 2021 anberaumt; die Ladung wurde dem Beschuldigten am 31. März 2021 zugestellt, dies mit dem expliziten Hinweis, dass die Gründe für eine abermalige Vertagungsbitte bereits im Antrag zu bescheinigen wären.
[6] Mit Vertagungsantrag vom 6. April 2021 ersuchte der Beschuldigte, die für den 19. April 2021 anberaumte Verhandlung auf einen anderen Termin zu verlegen, weil er „an diesem Tag eine bereits seit längerer Zeit anberaumte Verhandlung vor dem Bezirksgericht T*****“ verrichten müsse, wobei es sich bei diesem Verfahren „um ein sehr komplexes Verfahren, welches ausschließlich vom Beschuldigten geführt wurde“ handle, sodass eine Substitution „untunlich und unzweckmäßig“ sei. Der Antrag wurde als Telefaxkopie ohne Anschluss von Bescheinigungsmitteln eingereicht.
[7] Die Voraussetzungen für die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten waren gegeben. Keine ausreichende Entschuldigung liegt nämlich vor, wenn die Verhandlung wegen eines Umstands versäumt wurde, der gewissenhafte Menschen in gleicher Lage nicht am Erscheinen gehindert hätte (RIS Justiz RS0057021). Hält man sich vor Augen, dass nach dem mit dem Einspruch vorgelegten Kalenderaus zug bloß eine geringe zeitliche Überschreitung ersichtlich ist, der (aufgrund der geringen räumlichen Distanzen) mit einem Antrag auf Verlegung der Disziplinarverhandlung um einige Zeit – aber am selben Tag – begegnet hätte werden können, und bedenkt die Vorgeschichte im gegenständlichen sowie die auffällige Häufung von Vertagungsanträgen in früheren Verfahren (vgl dazu jüngst 20 Ds 11/21d, 12/21a), war dem Vorbringen des Einspruchswerbers bei lebensnaher Betrachtung nicht näher zu treten.
[8] Nachdem der Beschuldigte dementsprechend ohne ausreichende Entschuldigung der Verhandlung fernblieb und die Gelegenheit zur Stellungnahme genutzt hatte, war der Disziplinarrat gemäß § 35 erster Satz DSt zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit berechtigt. Der Einspruch war daher – in Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen des Kammeranwalts in seiner gemäß § 48 Abs 2 DSt erstatteten schriftlichen Äußerung und jenen der Generalprokuratur – gemäß § 35 letzter Satz DSt iVm § 427 Abs 3 StPO zurückzuweisen.
Zur Berufung:
[9] Der B eschuldigte rechtfertigt in seiner Berufung das ihm im Disziplinarverfahren vorgeworfene Verhalten damit, dass von seiner Mandantin den Auftrag zur Ausarbeitung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen eine geplante Flächenwidmungsplanänderung erhalten hätte, die Überreichung der Beschwerde letztlich aber nicht freigegeben wurde. Er übersieht dabei, dass verfahrensgegenständlich der Vorwurf ist, gegenüber seiner Mandantin trotz deren Aufforderung weder eine Abrechnung seines Honorars noch eine Verrechnung des Kostenvorschusses (bzw dessen Rückzahlung) vorgenommen zu haben (§ 19 Abs 1 RAO). Die ordnungsgemäße Verrechnung wurde vom Rechtsmittelwerber entgegen seinem (mit § 49 DSt konfligierenden), beleglosen Vorbringen in der Berufung im erstinstanzlichen Verfahren weder bescheinigt noch ausreichend dargetan ; dass der Kostenvorschuss entsprechend der Aufforderung der Mandantin zurücküberwiesen wurde, behauptet nicht einmal der Berufungswerber.
[10] Der B eschuldigte vermag in seiner Berufung daher keine Bedenken gegen die Richtigkeit der entscheidenden Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrates – der unter Würdigung der wesentlichen Beweisergebnisse nachvollziehbar und lebensnah dargestellt hat, wie er zu seinen Feststellungen gelangte – hervorrufen.
[11] D ie dem Sinn nach auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Rechtsrüge fordert die Anwendung des § 3 DSt. Dieser setzt voraus, dass bei einem tatsächlich vorliegenden Verstoß gegen die standesrechtlichen Vorschriften das Verschulden im Vergleich zu typischen Fällen der Deliktsverwirklichung nur gering ist; es muss also erheblich hinter jenem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleiben (RIS Justiz RS0089974, RS0101393; Lehne r in Engelhart et al RAO 10 § 3 DSt Rz 1 ff).
[12] Soweit der B eschuldigte vorbringt, es hätte berücksichtigt werden müssen, dass „kein Schaden vorliegt“, was als weiterer Milderungsgrund zu bewerten wäre, orientiert er sich prozessordnungswidrig nicht an den gegenteiligen Annahmen im Erkenntnis, weil der Kostenvorschuss eben nicht zurückbezahlt wurde, worin sehr wohl ein Schaden seiner Mandantin liegt.
[13] Eine Anwendung des § 3 DSt scheidet demnach schon aus diesen Gründen aus, ohne dass es weiterer Ausführungen bedarf.
[14] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen des Kammeranwaltes in seiner Äußerung zur Berufung und jenen der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.
[15] Auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist nicht berechtigt. Bei der Höhe der Geldbuße war zu bedenken, dass der Beschuldigte zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zu allfälligen Sorgepflichten keine Angaben machte.
[16] Der Tatvorwurf zu AZ D 51/19 der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (20 Ds 11/21d, 12/21a) hätte anlässlich der Verhandlung im gegenständlichen Disziplinarverfahren am 19. April 2021 mitbehandelt werden können bzw müssen.
[17] Die Berufungsinstanz hat abgesehen davon auf ein nach dem angefochtenen Urteil gefälltes (inzwischen auch rechtskräftig gewonnenes) Urteil betreffend eine vor dem nunmehr bekämpften Urteil verübte Tat Bedacht zu nehmen (RIS Justiz RS0090926), wenn die Tatzeit der mit diesem abgesprochenen Straftat zur Gänze vor dem angefochtenen Erkenntnis liegt, weil in einem solchen Fall die gemeinsame Aburteilung schon in dem früheren Verfahren an sich möglich gewesen wäre. Es ist – wenn die Voraussetzungen erst im Zeitpunkt der Strafbemessung durch das Rechtsmittelgericht vorliegen – § 31 StGB (originär) von diesem anzuwenden (RIS Justiz RS0090926, RS0090964, Ratz in WK 2 StGB § 31 Rz 2 f). Die Voraussetzungen liegen im gegenständlichen Fall vor. Die verhängte Geldbuße war daher als Zusatzstrafe auszusprechen. Deren Milderung kommt jedoch nicht in Betracht, weil bei gleichzeitiger Aburteilung beider Disziplinarvergehen (wegen des Fehlens von Milderungsgründen) eine Disziplinarstrafe in Höhe von insgesamt 4.000 Euro schuldangemessen gewesen wäre.
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.