20Ds11/21d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Pressl und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in Gegenwart von FI Ponath als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über den Einspruch und die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Abwesenheitserkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 26. April 2021, AZ D 51/19, 9 DV 45/19, TZ 46, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner und des Kammeranwalts Mag. Kammler zu Recht erkannt:
Spruch
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen – im zweiten Rechtsgang (vgl 20 Ds 7/20i) und in Abwesenheit des B eschuldigten gefällten (§ 35 DSt) – Erkenntnis wurde der Beschuldigte ***** des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten (nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt) schuldig erkannt, weil er Kosten iHv 17,40 Euro für die angefertigten Kopien der Akten [AZ] D 46/18 des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, deren Herstellung er (als damals dort Beschuldigter) beantragt hatte und die ihm ausgefolgt worden waren, trotz (mit Schreiben vom 18. Jänner 2019 erfolgter) Aufforderung des Kammeramtes zur Zahlung und entsprechender (am 7. März 2019 erfolgter) Mahnung nicht bezahlte und solcherart eine ihn treffende Verbindlichkeit nicht erfüllte.
[2] Der Disziplinarbeschuldigte wurde hierfür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße iHv 1.000 Euro verurteilt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in seiner Abwesenheit richtet sich der Einspruch des Beschuldigten.
[4] Des Weiteren bekämpft er das Erkenntnis selbst mit Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier dSn § 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO] in deren Rahmen vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) und wegen des Ausspruchs über die Strafe.
[5] Der Rechtsmittelwerber hat am Vormittag des Verhandlungstages um Vertagung wegen einer „Magen Darm Grippe“ ersucht, dies aber trotz sofortiger Aufforderung dazu in keiner Weise bescheinigt. Fallbezogen (vgl unten in Erledigung des Einspruchs) kann darin keine ausreichende Entschuldigung (§§ 35, 51 Abs 5 DSt) erblickt werden, sodass die Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten durchzuführen war.
Zum Einspruch:
[6] Gemäß § 35 DSt kann die Verhandlung dann in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden, wenn er bereits vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt (vgl Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 35 DSt Rz 2), wobei die Entschuldigung entsprechend zu bescheinigen ist ( Lehner aaO Rz 5).
[7] Im Disziplinarverfahren erster Instanz wurde dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (vgl ON 6 und 7).
[8] Erstmals im Rahmen des Vertagungsantrags vom 9. Dezember 2019 (ON 14) äußerte sich der Beschuldigte auch inhaltlich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf.
[9] Die Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung am 26. April 2021 wurde dem Beschuldigten am 9. April 2021 zugestellt; zudem wurde er zugleich damit – erneut (vgl zuvor ON 21 und 41) – explizit darauf hingewiesen, dass die Gründe für eine abermalige Vertagungsbitte bereits im Antrag zu bescheinigen wären (ON 43).
[10] Mit Schreiben vom 22. April 2021 (ON 44) ersuchte der Beschuldigte – erneut (vgl die früheren Vertagungsanträge TZ 14, 18, 22, 25 und 39) – die für den 26. April 2021 anberaumte Verhandlung auf einen anderen Termin zu verlegen, weil er „an diesem Tag eine Verhandlung vor dem Landesgericht Eisenstadt verrichten (AZ *****)“ müsse, wobei es sich bei diesem Verfahren „um ein sehr komplexes Verfahren“ handle, „welches ausschließlich vom Beschuldigten geführt“ und „bearbeitet“ worden sei, sodass eine Substitution „untunlich und unzweckmäßig“ sei.
[11] Dem Vertagungsantrag beigeschlossen war eine Faxkopie der ersten Seite des (somit nicht ersichtlich datierten) Beschlusses des Landesgerichts Eisenstadt (GZ ***** 80), aus der lediglich hervorgeht, dass in einer Konkurssache über Antrag des Masseverwalters eine Gläubigerversammlung für den 26. April 2021 in der Zeit von 10:00 Uhr bis 10:30 Uhr (voraussichtliches Ende) beim Landesgericht Eisenstadt anberaumt worden war.
[12] Doch weder aus dieser Beilage noch aus dem Vorbringen im Vertagungsantrag des Beschuldigten geht hervor, weshalb und in welcher Funktion er an dieser Tagsatzung hätte teilnehmen sollen.
[13] Auch in seinem Einspruch erstattete der Beschuldigte kein nachvollziehbares Vorbringen zu seiner Prozessrolle im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Eisenstadt, obwohl das angefochtene Abwesenheitserkenntnis in erster Linie dies am Vertagungsantrag des Beschuldigten bemängelt hatte.
[14] Die im Einspruch aufgestellte Behauptung, mit dem Vertagungsantrag sei „die Ladung im Verfahren in Eisenstadt vorgelegt“ worden, sodass „auch die Rolle des Beschuldigten klar“ gewesen sei, orientiert sich nicht am tatsächlichen Akteninhalt, dem Selbiges gerade nicht zu entnehmen ist.
[15] Keine ausreichende Entschuldigung liegt vor, wenn die Verhandlung wegen eines Umstands versäumt wurde, der gewissenhafte Menschen in gleicher Lage nicht vom Erscheinen abgehalten hätte (RIS Justiz RS0057021).
[16] Mit Bedacht darauf, dass weder die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, aus der kein Grund für eine Verhandlungsunfähigkeit hervorgeht (RIS Justiz RS0057027 [T4]), noch die Bekanntgabe einer Verhinderung, weil sich ein Beschuldigter unaufschiebbar geschäftlich im Ausland aufhalte, als ausreichende Entschuldigung anzusehen sind (vgl Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 35 DSt Rz 7), kann eine solche in dem – wie dargestellt – gänzlich unbescheinigten Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten, am 26. April 2021 „eine Verhandlung vor dem Landesgericht Eisenstadt verrichten“ zu müssen, für die an diesem Tag anberaumte Verhandlung des Disziplinarrats nicht zugebilligt werden. Dies mit Blick auf die Tagesordnungspunkte (Kostenvorschuss für die unzulängliche Masse in Höhe von 13.000 Euro; Allfälliges), die bis zuletzt unbescheinigt gebliebenen Vertagungsanträge TZ 14, 18, 25 und 39 und insbesondere auf frühere Vorkommnisse (vgl die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 3. September 2020, GZ 20 Ds 7/20i 11).
[17] Da der Beschuldigte dementsprechend ohne ausreichende Entschuldigung der Verhandlung fernblieb und die Gelegenheit zur Stellungnahme genutzt hatte, war der Disziplinarrat gemäß § 35 erster Satz DSt zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit berechtigt.
[18] Der Einspruch war daher – in Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen des Kammeranwalts in seiner gemäß § 48 Abs 2 DSt erstatteten schriftlichen Äußerung (ON 50) und jenen der Generalprokuratur – gemäß § 35 letzter Satz DSt iVm § 427 Abs 3 StPO zurückzuweisen.
Zur Berufung:
[19] D er Beschuldigte bringt vor, er sei deshalb nicht zum Ersatz der verfahrensgegenständlichen Kopierkosten iHv 17,40 Euro verpflichtet gewesen, weil (a./) diese Kosten aus dem ihn betreffenden Disziplinarverfahren AZ D 46/18 des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer herrührten, er jedoch in diesem rechtskräftig freigesprochen worden war, und (b./) „nie eine bescheidmäßige Festsetzung der angeblich zu entrichtenden Kosten erfolgt“ sei. Damit vermag die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld keine Bedenken gegen die Richtigkeit der entscheidenden Sachverhaltsannahmen (ES 4) des Disziplinarrats – der unter Würdigung der wesentlichen Beweisergebnisse nachvollziehbar und lebensnah dargestellt hat, wie er zu seinen Feststellungen gelangte – hervorzurufen.
[20] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Erkenntnis festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass der Disziplinarrat bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei, zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810).
[21] Soweit eine Rechtsrüge Mängel im Tatsächlichen geltend macht, verkennt sie die verschiedenen Ansätze der Nichtigkeitsgründe (RIS Justiz RS0115902); ebenso ist sie nicht prozessförmig ausgeführt, wenn sie missliebige Feststellungen beweiswürdigend ersetzt oder ergänzt oder einzelne Feststellungen isoliert herausgreift, andere aber vernachlässigt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 593).
[22] Soweit die Berufung (dSn § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) schlicht behauptet, dass „eine rechtskräftige Verpflichtung des Beschuldigten“ zur Bezahlung der in Rede stehenden Kopierkosten iHv 17,40 Euro „nicht feststehe“, orientiert sie sich prozessordnungswidrig ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 581, 584) nicht am festgestellten Sachverhalt (s ES 4). Dies wurde – so sei zur Abrundung ergänzt – rechtsrichtig wegen der privat wirtschaftlichen Führung des Kammeramts zur Grundlage der vom Verfahrensausgang unabhängigen Kosten für bestellte und erhaltene Aktenkopien (statt kostenfreier Akteneinsicht) gemacht. Mit dem Kostenregime des DSt hat das gar nichts zu tun; zutreffend hat überdies bereits der Disziplinarrat darauf hingewiesen, dass § 393a StPO im Disziplinarverfahren nicht zur Anwendung gelangt (RIS Justiz RS0106585).
[23] Die weiters aufgestellte Behauptung, die vom Beschuldigten mit rechtlichen Argumenten begründete Ablehnung von „bloßen Zahlungsvorschreibungen der Rechtsanwaltskammer“ könne „niemals eine Berufspflichtenverletzung darstellen“ (dSn § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), entbehrt einer methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (RIS Justiz RS0116565, RS0099620; Ratz , WK StPO § 281 Rz 584 f und 588 ff).
[24] Ebenso fehl geht die dem Sinn nach auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Rechtsrüge. § 3 DSt, dessen Anwendung begehrt wird, setzt voraus, dass bei einem tatsächlich vorliegenden Verstoß gegen die standesrechtlichen Vorschriften das Verschulden im Vergleich zu typischen Fällen der Deliktsverwirklichung nur gering ist; es muss also erheblich hinter jenem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleiben (RIS Justiz RS0089974, RS0101393; Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 3 DSt Rz 1 ff).
[25] Soweit der Berufungswerber – mit der Zielrichtung der Darlegung eines geringeren Verschuldensgrades – vorbringt, die in Rede stehenden Kopierkosten seien „sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach weiterhin strittig“, orientiert er sich prozessordnungswidrig nicht an den gegenteiligen Annahmen im Erkenntnis (ES 4 ff). Bei – wie hier – vorsätzlicher (und fortwährender) Nichterfüllung finanzieller Verbindlichkeiten ist keinesfalls von nur geringfügigem Verschulden auszugehen, gehört es doch zu den fundamentalsten Berufspflichten eines Rechtsanwalts, Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen (vgl RIS Justiz RS0055373).
[26] Eine Anwendung des § 3 DSt scheidet demnach schon aus diesen Gründen aus, ohne dass es weiterer Ausführungen bedarf.
[27] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit den zutreffenden Ausführungen des Kammeranwalts in seiner Äußerung zur Berufung und jenen der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.
[28] Auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist nicht berechtigt. Bei der Höhe der Geldbuße war zu bedenken , dass der Beschuldigte zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zu allfälligen Sorgepflichten keine Angaben machte und ihm beharrliche Nichterfüllung finanzieller Verbindlichkeiten, seien sie auch nur gering, zur Last liegt. Die vom Beschuldigten nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung (Notwendigkeit eines zweiten Rechtsganges wegen eines Besetzungsfehlers des Disziplinarsenats im ersten) ist mit 200 Euro zu veranschlagen und von der tatschuldangemessenen und durch präventive Überlegungen mitbestimmten Geldbuße iHv 1.200 Euro abzuziehen.
[29] Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.