9ObA145/21w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Prof. Dr. Klaus Mayr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* S*, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 18.132,11 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 22. September 2021, GZ 11 Ra 53/21z 14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom 20. Mai 2021, GZ 7 Cga 12/21a 10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger war bei der Beklagten ab 1. 9. 2019 als Angestellter beschäftigt. Von 1. 4. 2020 bis 17. 5. 2020 war er in die Corona-Kurzarbeit bei der Beklagten einbezogen.
[2] Die Beklagte schloss mit dem Arbeiter- und Angestellten-Betriebsrat eine „Corona-Kurzarbeit Sozialpartnervereinbarung/Betriebsvereinbarung“ für die Dauer von 1. 4. 2020 bis 30. 6. 2020 ab. Diese Kurzarbeitsvereinbarung beinhaltete ua folgende Regelungen:
„ 2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes:
a) Während der Kurzarbeit:
Der/Die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginnes der Kurzarbeitsvereinbarung (Punkt I) bestanden hat (Behaltepflicht).
[…]
b) Nach der Kurzarbeit:
Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat.
[…]
c) Gemeinsame Bestimmungen:
Kündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. “
[3] Mit Schreiben vom 29. 4. 2020 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers zum 31. 7. 2020 auf.
[4] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Kündigungsentschädigung in Höhe von 18.132,11 brutto sA für den Zeitraum 1. 8. 2020 bis 30. 9. 2020 ab. Eine an Wortlaut und Zweck der Sozialpartnervereinbarung orientierte Auslegung ergebe, dass den einzelnen Arbeitnehmern kein individueller Kündigungsschutz eingeräumt werden sollte.
[5] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil der Auslegung der Sozialpartnervereinbarung/Betriebsvereinbarung zur Corona Kurzarbeit im Hinblick auf die Frage, ob aus dieser ein besonderer Kündigungsschutz abzuleiten sei bzw ob dem Arbeitnehmer bei einem Verstoß dagegen ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung zustehe, aufgrund der Vielzahl derartiger abgeschlossener Vereinbarungen eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[7] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112921 [T5]).
[8] 2. In der – nach Fällung des Berufungsurteils ergangenen – Entscheidung 8 ObA 48/21y, die eine ab 23. 3. 2020 von der Arbeitgeberin während des ersten Covid 19-Lockdowns mit 15 ihrer Mitarbeiter (nicht dem dortigen Kläger) abgeschlossene „Sozialpartnervereinbarung Einzelvereinbarung“ über „Corona-Kurzarbeit“ betraf, hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen der Sozialpartnervereinbarung bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen und einen individuellen Kündigungsschutz gewähren. Er gelangte dabei zum Ergebnis, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit der Regelung des Punktes IV Abs 2 lit a bis c der Sozialpartner Kurzarbeitsvereinbarung keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt.
[9] 3. Diesem Ergebnis ist der Oberste Gerichtshof auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 8 ObA 50/21t gefolgt, in der die bei der Arbeitgeberin bestandene „Sozialpartnervereinbarung/Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit von sämtlichen ihren Arbeitnehmern, darunter der dortigen Klägerin, mitunterfertigt worden war. In dieser Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verweisen wird, wurde ausführlich dargelegt, weshalb sich aus dem Umstand, dass die Klägerin die Vereinbarung mitunterfertigt hat und diese für die Konstellation des Fehlens eines Ausnahmefalls anordnet, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, nicht die Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung ergibt.
[10] 4.1. Wie sich bereits aus der Entscheidung 8 ObA 48/21y ergibt, ist wesentlicher Zweck der auf der Sozialpartnervereinbarung gegründeten Corona Kurzarbeitsvereinbarungen, die Voraussetzungen für die Erlangung von Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs 2 AMSG zu schaffen. Alle Vereinbarungen zur Umsetzung (durch Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung) sind daher im Lichte der Erfordernisse des Gesetzes zu lesen, dass der „Beschäftigtenstand“ sichergestellt sein muss. Das Gesetz stellt explizit auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten ab, ohne einen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren. Einen über die Zwecke der Kurzarbeitsbeihilfe hinausgehenden Eingriff in das System des bestehenden Beendigungsschutzes (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) hat der Gesetzgeber offenbar nicht für geeignet erachtet.
[11] 4.2. Soweit der Revisionswerber darauf verweist, dass es sich nach der Kurzarbeitsvereinbarung ausdrücklich um einen Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 881 ABGB) handle und er daraus für sich als begünstigter Dritter unmittelbare Rechte ableiten will, wurde auch darauf bereits in der Entscheidung 8 ObA 50/21t eingegangen.
[12] 5. Dieser Rechtsauffassung schließt sich auch der erkennende Fachsenat an. Gegen diese Ansicht trägt auch die gegenständliche Revision keine weiteren Argumente vor, die nicht schon in den beiden genannten Entscheidungen des Senats 8 ausführlich behandelt worden wären.
[13] Da die Revision des Klägers damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte konnte bei Einbringung der Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision noch nicht erkennen, weil die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 8 ObA 48/21y und 8 ObA 50/21t zu dem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Der fehlende Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision schadet daher nicht (RS0123861).