9Ob80/21m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei * P*, vertreten durch Dr. Kurt L. Breit, Dr. Thomas Mayr, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei * Dr. * W*, vertreten durch Dr. Riess Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.536,80 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 3.000 EUR; Revisionsinteresse: 18.936,80 EUR sA) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 2021, GZ 14 R 16/21g 76, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. November 2020, GZ 14 Cg 38/16k 72, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Soweit revisionsgegenständlich, begehrt die Klägerin vom Beklagten Schmerzengeld und den Ersatz von Heilbehandlungs- und Fahrtkosten in Höhe von 18.936,80 EUR sA, die ihr durch seine Behandlung und zweimalige Operation (27. 10. 2011; 4. 7. 2012) ihrer Knieverletzung entstanden seien. Sie sei nicht korrekt über die möglichen Eingriffsfolgen aufgeklärt worden.
[2] Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung.
[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei die Abweisung eines weiteren Teilbegehrens von 1.600 EUR und ein Feststellungsbegehren der Klägerin in Rechtskraft erwuchs.
[4] Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung von 18.936,80 EUR sA gerichteten Berufung der Klägerin keine Folge. Dem Beklagten sei der ihm obliegende Beweis einer mündlichen Aufklärung über die tatsächlich eingetretenen Risiken der Operationen gelungen. Es ließ jedoch nachträglich die Revision zur Frage zu, ob der festgestellte Inhalt der Aufklärungsgespräche vor den Operationen, insbesondere die Formulierung, es könne keine Garantie für den Erfolg der Operation gegeben werden, als ausreichende Aufklärung hinsichtlich der eingetretenen Operationsrisiken (Weiterbestehen der Beschwerdesymptomatik und Bewegungseinschränkungen nach Arthroskopien im Kniegelenk) zu betrachten sei, infolge der Häufigkeit derartiger Eingriffe eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Stattgabe dieses Teils ihres Klagebegehrens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[6] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch unzulässig . Die Revisionsausführungen können sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[8] 1. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung können angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963). Das Berufungsgericht hat auch nicht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung (RS0043166) verworfen. Das Vorbringen der Klägerin, der von ihr beantragte Zeuge hätte aus eigener Erfahrung und Kenntnis Auskunft darüber geben können, welchen Inhalt im konkreten Fall eine ordnungsgemäße Aufklärung im Hinblick auf die Operationen haben hätte müssen, betrifft auch keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage (s RS0026763).
[9] 2. Grundlage für eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird (RS0118355). Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt voraus, dass dieser das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs in seinen Grundzügen erkannt hat. Maß und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten wird mitbestimmt von dem Grad der Gefährlichkeit des Eingriffs in die körperliche Integrität (s RS0026473; RS0026499).
[10] Nach der Rechtsprechung reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (RS0026313). Der Patient soll selbst die Abwägung vornehmen können, ob er trotz eines statistisch unwahrscheinlichen Risikos nachteiliger Folgen den Eingriff vornehmen lassen will oder nicht (vgl RS0026313 [T10]). Der Arzt muss aber nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen. Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung ist etwa dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (RS0026529 [T14, T16]). Der Umfang der Aufklärung muss daher aufgrund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalls unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden (RS0026763 [T1]).
[11] In welchem Umfang ausgehend von diesen Grundsätzen aufgeklärt werden muss, kann nur anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen beurteilt werden und ist daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0026529; RS0026763 [T2, T5] ua).
[12] 3. Das ist auch hier nicht der Fall. Der Klägerin wurde nicht bloß mitgeteilt, dass keine Garantie für den Erfolg der Operation gegeben werden könne. Vielmehr wurde sie auch schriftlich – und von ihr unterzeichnet – speziell über bestimmte mögliche Komplikationen aufgeklärt (Gefäßschäden, Nervenschäden, Infektionen und Spätschäden, wobei sie hinsichtlich sonstiger Komplikationen jeweils auf eine detaillierte Aufklärung über die bevorstehende Operation verzichtete). Sie bestätigte, über die angeführte Operation, die möglichen Risiken, die Dauer des stationären Aufenthalts sowie über die nachfolgende Heilbehandlung und „über alle mit dieser Operation und postoperativer Behandlung im Zusammenhang stehenden möglichen Komplikationen und Folgen“ sowie auch über konservative und alternative Behandlungsmethoden ausreichend informiert und aufgeklärt worden zu sein. Es trifft zwar zu, dass zur Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflicht eine bloß formularmäßige Aufklärung nicht genügt, sondern vielmehr das unmittelbare persönliche ärztliche Aufklärungsgespräch durch nichts ersetzt werden kann (RS0102906). Eine solches ergibt sich aber gerade aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt, weil feststeht, dass die schriftliche Aufklärungsdokumentation den Inhalt der mündlich erfolgten Aufklärung wiedergibt. Die Vorinstanzen haben eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Beklagten vertretbar verneint.
[13] 4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.