JudikaturOGH

9ObA110/21y – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon. Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * R*, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch Maxl Sporn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 9 Ra 32/21y 57, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen erklärten die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses der Klägerin für rechtsunwirksam.

Rechtliche Beurteilung

[2] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[3] 1. Die Beklagte richtet sich in ihrer Zulassungsbeschwerde gegen die Anwendbarkeit des § 12 Abs 12 GlBG auf Fälle einer Kündigungsanfechtung nach § 12 Abs 7 S 1 zweiter Fall GlBG. Daraus leitet sie ab, dass die Vorinstanzen ein falsches Beweismaß (bloße Glaubhaftmachung) angewandt hätten.

[4] Diese Rechtsansicht hat im Gleichbehandlungsgesetz keine Grundlage. § 12 GlBG weist den verschiedenen Formen der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots – zu denen auch Fälle einer sexuellen Belästigung iSd § 6 Abs 1 GlBG zählen – Rechtsfolgen zu. Die in § 12 Abs 12 S 1 GlBG statuierte Beweiserleichterung einer Glaubhaftmachung erfasst dazu alle Diskriminierungstatbestände iSd §§ 3, 4, 6 oder 7 GlBG, womit auch ein Verstoß gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in der Situation bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 3 Z 7 GlBG) umfasst ist. Im konkreten Fall manifestiert sich die Diskriminierung der Klägerin dadurch, dass sie von der Beklagten wegen der Geltendmachung von Ansprüchen nach diesem Gesetz – hier das Verlangen nach einer angemessenen Abhilfe gegen die sexuelle Belästigung eines Dritten (§ 6 Abs 1 Z 2 iVm Z 3 GlBG) – gekündigt wurde (sog „Folgediskriminierung“, s Hopf/Mayr/Eichinger/Erler , GlBG 2 § 12 Rz 79 mwN). Diesen Zusammenhang hat die Klägerin auch glaubhaft gemacht.

[5] Für die Rechtsansicht der Beklagten spricht auch nicht die von ihr ins Treffen geführte Bestimmung des § 12 Abs 7 GlBG, die explizit auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses „wegen des Geschlechtes des/der Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin oder wegen der nicht offenbar unberechtigten Geltendmachung von Ansprüchen nach diesem Gesetz“ abstellt. Aus dieser Anführung geht noch nicht hervor, dass die Reaktion eines Arbeitgebers auf eine nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung solcher Ansprüche nicht auch den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen könnte. In diesem Sinn erachtet auch die Literatur die Grenzen zwischen diesen beiden Tatbeständen vor allem dann als fließend, wenn eine Person in Reaktion auf die nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen wegen geschlechtlicher Diskriminierung gekündigt wird, weil in diesem Fall schon der erste Tatbestand der Kündigung „wegen des Geschlechts“ gegeben sein kann. Mit dem Tatbestand der „Geltendmachung von Ansprüchen“ wird insofern nur das Bemühen des Gesetzgebers unterstrichen, die Beendigungsdiskriminierung möglichst umfassend zu regeln (s Hopf/Mayr/Eichinger/Erler aaO Rz 77). Dass § 12 Abs 12 GlBG die „nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen nach diesem Gesetz“ nicht wiederholt, ist daher im Hinblick auf das Beweismaß der Glaubhaftmachung unschädlich, weil die folgende Kündigung des Arbeitgebers schon einen Diskriminierungstatbestand als solchen verwirklichen kann. Das war hier nach dem Beweismaß der Glaubhaftmachung der Fall.

[6] 2. Die Beklagte bringt in ihrer Zulassungsbeschwerde auch vor, allenfalls bestehende Ansprüche der Klägerin erfüllt bzw nicht bestritten zu haben, wodurch entsprechend der ständigen Rechtsprechung zu § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG der Tatbestand des dieser Bestimmung nachgebildeten § 12 Abs 7 S 1 zweiter Fall GlBG nicht erfüllt sei.

[7] Auch wenn der Anfechtungstatbestand des § 12 Abs 7 S 1 zweiter Fall GlBG dem allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Motivkündigungsschutz des ArbVG ähnlich sein mag, ist nicht zu übersehen, dass § 12 Abs 7 S 1 zweiter Fall GlBG das in § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG enthaltene Tatbestandsmerkmal „in Frage gestellt“ nicht enthält. Bei der Beendigungsanfechtung nach § 12 Abs 7 S 1 zweiter Fall GlBG wird es zwar in der Praxis vielfach um „in Frage gestellte Ansprüche“ nach diesem Gesetz gehen, es kommt aber nach dieser Bestimmung nicht darauf an, ob die nicht offenbar unberechtigt geltend gemachten Ansprüche vom Arbeitgeber in Frage gestellt werden oder nicht. Folglich ist nicht entscheidungswesentlich, dass die Beklagte die – hier auf Abhilfe gerichteten – Ansprüche der Klägerin nicht bestritten haben mag. Davon abgesehen, ist die Annahme der Beklagten, dass sie diese Ansprüche erfüllt und Abhilfe geschaffen hätte, feststellungsfremd.

[8] 3. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist danach mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Rückverweise