JudikaturOGH

3Ob174/21s – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* S*, vertreten durch die Metzler Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei MMag. M* W*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO) und die Exekutionsbewilligung (§ 36 EO), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. August 2021, GZ 14 R 19/21v 57, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitparteien sind Nachbarn. Zugunsten der Liegenschaft des Beklagten lastet auf jener des Klägers eine im Grundbuch intabulierte Dienstbarkeit. Danach ist der Kläger verpflichtet, auf seiner Liegenschaft keine Bauführungen vorzunehmen, wodurch dem Beklagten für dessen Wohnung oder Grund Licht und Sonne oder der Luftzug weggenommen oder geschmälert werden könnten.

[2] Der Kläger richtete an den Magistrat der Stadt Linz am 12. 11. 2008 ein Bauansuchen, das am 4. 3. 2009 bewilligt wurde. Der Beklagte erhob am 15. 4. 2009 gegen den Kläger unter Berufung auf die Servitut Unterlassungsklage. Bereits vor Abschluss des darüber geführten Prozesses setzte der Kläger sein Bauvorhaben um. Die Giebelhöhe des Hauses erhöhte sich von 4,79 m auf 6,78 m, die Dachtraufenhöhe von 1,94 m auf 3,86 m. Der Dachvorsprung wurde von 0,40 auf 0,44 m erweitert. Die Breite des Gebäudes vergrößerte sich von 2,53 m auf 4,64 m, wodurch sich der Abstand zur Grundstücksgrenze zum Beklagten von 3,71 m auf 1,6 m verringerte. Folge dieser und weiterer Baumaßnahmen – es wurden auch Nebengebäude errichtet – war, dass sich an verschiedenen Messpunkten auf dem Grundstück des Beklagten die Besonnungszeit zwischen 5 % und 28 % im Jahresmittel verringerte; an einem Messpunkt betrug im Dezember der Verlust sogar 45 %.

[3] Der Oberste Gerichtshof gab mit Urteil vom 19. 11. 2014, 6 Ob 129/14k, der Unterlassungsklage statt und erkannte den Kläger schuldig, „ insbesondere die mit Bauansuchen vom 12. 11. 2008 […] geplante Bauführung entsprechend dem zuletzt zugrunde gelegten Austauschplan bzw der [vom Kläger] vorzulegenden vollständigen Planunterlagen wie auch jegliche andere Bauführung insoweit zu unterlassen, als das bestehende Gebäude in einer höhenmäßigen oder flächenmäßigen Ausdehnung erweitert werden soll und dadurch [dem Beklagten] für [dessen] Wohnung (Haus) oder Grund Licht und Sonne oder aber der Luftdurchzug weggenommen oder geschmälert wird bzw werden könnte.

[4] Dem Beklagten wurde am 6. 4. 2016 „ [a]uf Grund des vollstreckbaren Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 19. 11. 2014, 6 Ob 129/14k, […] gegen den [Kläger] zur Durchsetzung seines Anspruches, der [Kläger] habe es zu unterlassen, dadurch dem genannten Urteil zuwider zu handeln, dass er die mit Bauansuchen vom 12. 11. 2008 […] geplante und überwiegend bereits vorgenommene Bauführung nicht unterlässt, als das bestehende Gebäude in einer höhenmäßigen oder flächenmäßigen Ausdehnung erweitert wurde bzw erweitert werden soll und dadurch dem [Beklagten] für seine Wohnung (Haus) oder Grund Licht und Sonne oder der Luftdurchzug weggenommen oder geschmälert wird, die Exekution gemäß § 355 EO “ bewilligt. Zur Durchsetzung dessen wurden über den Kläger im Exekutionsverfahren mehrere Geldstrafen verhängt.

[5] Der Kläger begehrt mit seiner Oppositions- und Impugnationsklage, den im Exekutionsbewilligungsbeschluss genannten Anspruch für erloschen und die Exekution sowohl hinsichtlich deren Bewilligung als auch sämtlicher Strafbeschlüsse für unzulässig zu erklären. Er brachte unter anderem vor, Rückbaumaßnahmen getätigt und damit endgültig sein Bauvorhaben vom 12. 11. 2008 aufgegeben zu haben. Der in Exekution gezogene Anspruch richte sich nur auf die Unterlassung des im Exekutionstitel konkret umschriebenen Bauvorhabens. Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess habe der Kläger nicht mehr gegen diese Unterlassungspflicht verstoßen. Es liege aufgrund der vorgenommenen Rückbaumaßnahmen keine „ Bauführung entsprechend dem zuletzt zugrunde gelegten Austauschplan bzw der [vom Kläger] vorzulegenden vollständigen Planunterlagen “ mehr vor, sondern allenfalls eine „ andere Bauführung “ im Sinne des Exekutionstitels. Nur auf ersteres beziehe sich aber die Exekutionsbewilligung. Mangels Verletzung der in Exekution gezogenen Pflicht zur Unterlassung der im Titel genannten besonderen (nicht „anderen“) Bauführung nach Erlassung des Exekutionstitels hätte die Exekution nicht bewilligt und hätten die Geldstrafen nicht verhängt werden dürfen.

[6] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Ihren Urteilen liegt an Feststellungen unter anderem zu Grunde, dass der Kläger zwar nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess gewisse Rückbaumaßnahmen vornahm (Zurücksetzung der Traufenkante um etwa einen Meter und Abschrägung der dem Beklagtengrundstück zugewandten Gebäudeecke), die maximale Höhe des Gebäudes aber nicht verringerte. Durch die Rückbaumaßnahmen hat sich nach den Urteilsfeststellungen zwar möglicherweise das Ausmaß des Licht- und Luftentzugs am Grundstück des Beklagten verringert, im Vergleich zum Zustand vor dem am 12. 11. 2008 initiierten Bauvorhaben verbleibt aber nach wie vor eine Wegnahme oder Schmälerung von Licht und Sonne oder des Luftdurchzugs am Grundstück des Beklagten.

[7] Diesen Sachverhalt beurteilten die Vorinstanzen hinsichtlich der Oppositionsklage rechtlich dahin, dass das Recht aus einem Unterlassungstitel nicht erlösche, indem sich der Verpflichtete an die Unterlassungsverpflichtung halte. Hinsichtlich der Impugnationsklage verwiesen sie darauf, dass nach der – auch aus der Entscheidung 6 Ob 129/14k ersichtlichen – Rechtsprechung derjenige, der rechtswidrig einen Störungszustand schuf, weiter störe, so lange dieser Zustand nicht beseitigt ist. Weil der Kläger jegliche Beschattung des Grundstücks des Beklagten zu unterlassen habe, die über jene vor Beginn seines Bauvorhabens hinausgehe, verletze er nach wie vor den Exekutionstitel. Um nach einem Rückbau nicht mehr von einer Umsetzung des im Exekutionstitel genannten konkreten Bauvorhabens sprechen zu können, hätte der Rückbau in einem relevanten Ausmaß erfolgen müssen, was nicht geschehen sei. Es liege weiterhin eine Verwirklichung des konkreten Bauvorhabens vor, die auch zu einer größeren Beschattung des Grundstücks des Beklagten im Vergleich zum vorherigen Zustand führe. Der Beklagte habe daher zu Recht seinen Anspruch, dass der Kläger die Umsetzung des konkreten Bauvorhabens zu unterlassen habe, insofern diese bei ihm zu einer Mehrbeschattung führe, in Exekution gezogen.

Rechtliche Beurteilung

[8] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

[9] 1.1. Das Erstgericht verlas in der Verhandlung den Akt des Vorprozesses und traf im Urteil, sich in der Beweiswürdigung auf die „Ergebnisse des Titelverfahrens“ stützend, zum Ausmaß der ursprünglichen Baumaßnahmen ab dem Jahr 2008 und der sich aus diesen ergebenden Beschattung Feststellungen, die jenen des Vorprozesses entsprechen. Der Kläger hatte sich in der Verhandlung zur protokollierten Verlesung des „Titelaktes“ nicht geäußert, insbesondere auch keinen Antrag nach § 281a Z 1 lit a ZPO gestellt. Er rügte in seiner Berufung als Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, es seien keine (konkreten) Aussagen (oder Gutachten) verlesen worden. Das Berufungsgericht begründete die Verneinung des gerügten Verfahrensmangels damit, dass der Kläger keinen Antrag auf unmittelbare Beweisaufnahme iSd § 281a ZPO gestellt habe, und überdies damit, dass er einen allfälligen (nach Beurteilung des Berufungsgerichts aber nicht vorliegenden) Verstoß gegen § 281a ZPO iSv § 196 ZPO hätte rügen müssen.

[10] Der Kläger releviert in der außerordentlichen Revision als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO, es fehle zur Frage, ob die „Verlesung eines Voraktes“ iSd § 281a ZPO genüge oder vielmehr die Verlesung (konkreter) Aussagen und/oder Sachverständigengutachten notwendig sei, höchstgerichtliche Judikatur; im Übrigen bestreitet er, nach § 196 ZPO verpflichtet gewesen zu sein, die – von ihm angenommene – Verletzung des § 281a ZPO zu rügen.

[11] 1.2. Eine Verletzung des § 281a ZPO wäre eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Das Berufungsgericht verneinte – auch unter Hinweis auf die unterbliebene Rüge nach § 196 ZPO – eine solche.

[12] Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht, vom Gericht zweiter Instanz aber verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (RS0042963; jüngst 10 ObS 59/21f [Rz 4] mwN). Von den von diesem Grundsatz von der Rechtsprechung gemachten Ausnahmen kommt hier allein jene in Betracht, dass das Berufungsgericht die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens „mit einer unhaltbaren rechtlichen Beurteilung verworfen hat“ (RS0042963 [T37]). Dies würde voraussetzen, dass bei der Beurteilung der strittigen Frage jeder Beurteilungsspielraum fehlte (RS0042963 [T63]; 6 Ob 86/12h). Davon kann hier angesichts der Entscheidungen 10 ObS 112/89 = SSV-NF 3/57 = SVSlg 36.431 und 9 ObA 5/10s nicht gesprochen werden. Nach 10 ObS 112/89 kann eine Verletzung des § 281a ZPO nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Betroffene sich in die weitere Verhandlung der Sache eingelassen hat, ohne die Verletzung zu rügen, obwohl ihm dieselbe bekannt war oder bekannt sein musste. Ebenso geht 9 ObA 5/10s (Pkt 1) von der Notwendigkeit, sich gemäß § 281a ZPO gegen die mittelbare Beweisaufnahme auszusprechen und das Verlesen der Verhandlungsprotokolle zu rügen, somit erkennbar von einer Rügepflicht nach § 196 ZPO aus. Für eine grundsätzliche Rügepflicht von Verletzungen des § 281a ZPO sprechen sich zudem die zweitinstanzliche Judikatur (zB HG Wien 1 R 416/92 = WR 565; OLG Linz 2 R 170/12a [unveröff]; 4 R 168/17d [unveröff]) sowie Obermaier (in Höllwerth/Ziehensack , ZPO, § 281a Rz 6) aus. Keine Rügepflicht besteht nach einer weiteren Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwar dann, wenn der Partei die Absicht des Gerichts, einen Akt für seine Beweiswürdigung zu verwerten, nicht erkennbar ist (2 Ob 150/10p; iglS Höllwerth in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 196 ZPO Rz 11; OLG Wien 9 Rs 37/05 = SVSlg 52.596). Auch diese besondere Konstellation lag hier aber nicht vor, war doch aufgrund der – für § 281a ZPO gar nicht notwendigen ( Klauser/Kodek , JN ZPO 18 § 281a ZPO Anm 2) – Verlesung des Titelaktes unzweifelhaft, dass das Erstgericht den Akt für sein Urteil zu verwenden beabsichtigte.

[13] Dass die Richtigkeit der Rügepflicht von Verletzungen des § 281a ZPO in der Literatur auch auf Widerspruch gestoßen ist ( Rechberger in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 281a ZPO Rz 12; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 281a ZPO Rz 7; offenlassend 6 Ob 249/08y [Pkt 1.3.]), macht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es hätte jedenfalls einer Rüge bedurft, nicht „unhaltbar“. Mangels Vorliegens eines Ausnahmefalls kann der vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmangel nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden und stellt sich demnach die vom Revisionswerber als iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblich angesehene Rechtsfrage nicht.

[14] 2. Die Auslegung eines Exekutionstitels im Einzelfall bildet –  von hier nicht vorliegenden, im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilungen abgesehen  – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 (oder § 528 Abs 1) ZPO (3 Ob 217/00h; RS0000595 [T8, T10]). Es ist durchaus vertretbar, wenn die Vorinstanzen trotz des Umstands, dass im Exekutionstitel und in der Exekutionsbewilligung das Wort „Gebäude“ im Singular steht, davon ausgingen, es komme für den Schattenwurf nicht nur auf das Haus des Klägers an, zumal das (bewilligte) und im Exekutionstitel ebenso genannte Bauansuchen auch Nebengebäude erfasste. Hierin liegt auch keine Aktenwidrigkeit, haftet eine solche doch nach ständiger Rechtsprechung einer Entscheidung nur dann an, wenn die für die richterliche Willensbildung bestimmenden Verfahrenserklärungen oder Beweisergebnisse in der Begründung der Entscheidung in Abweichung vom Inhalt der Niederschriften, Eingaben oder Beilagen dargestellt wurden (RS0043397).

[15] 3. Auch die Ansicht der Vorinstanzen, die vorgenommenen Rückbaumaßnahmen seien so geringfügig, dass das Gebäude nach wie vor die Umsetzung des im Exekutionstitel genannten konkreten Bauvorhabens darstelle, bedarf keiner höchstgerichtlichen Korrektur.

[16] 4. Das Erstgericht begründete die Feststellung, dass trotz der Rückbaumaßnahmen im Vergleich zum Zustand vor dem am 12. 11. 2008 initiierten Bauvorhaben nach wie vor eine Wegnahme oder Schmälerung von Licht und Sonne oder des Luftdurchzugs am Grundstück des Beklagten verbleibt, damit, dass sich dies – angesichts der feststehenden Erhöhung der Gebäudemaße bei Umsetzung des Bauvorhabens, des feststehenden Ausmaßes der dadurch hervorgerufenen Mehrbeschattung des Beklagtengrundstücks und der feststehenden Rückbaumaßnahmen – „schon aus dem gesunden Menschenverstand ergibt“. Das Berufungsgericht verwarf eine dagegen gerichtete Tatsachenrüge des Klägers und merkte an, die Rückbauten hätten Alibicharakter, wenn man sich deren Ausmaß ansehe.

[17] Erwägungen der Tatsacheninstanzen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen wird, fallen in das Gebiet der nicht revisiblen Beweiswürdigung (vgl RS0043371; RS0043189 [T7]). Der Oberste Gerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass die vorgenommene Schlussfolgerung der Tatsacheninstanzen auf einer „unlogischen Gedankentätigkeit“ beruhen (vgl RS0043189). Die Schlussfolgerung begegnet im Einzelfall auch angesichts der in den Akten erliegenden Lichtbilder keinen Bedenken. Sie war – entgegen der Ansicht in der außerordentlichen Revision – wegen der Eindeutigkeit der Sachlage den Tatsacheninstanzen auch ohne Heranziehung eines Sachverständigen möglich.

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