3Ob164/21w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei K* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard W. Huber, LL.M., Rechtsanwalt in Linz, wegen 20.399,46 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Juli 2021, GZ 3 R 77/21w 73, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin suchte am 25. November 2018 nachmittags und nochmals am späten Abend wegen Bauchschmerzen die Notfallambulanz des Klinikums der Beklagten auf, wurde jeweils untersucht und mit Schmerzmitteln behandelt, aber nicht stationär aufgenommen. Am 27. November 2018 ging die Klägerin wegen der Schmerzen zu ihrem Hausarzt, der sie ins Krankenhaus überwies, wo die Klägerin noch am selben Tag operiert und dabei ein akuter Blinddarmdurchbruch diagnostiziert wurde.
[2] Die Klägerin begehrte von der Beklagten Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für künftige Folgeschäden. Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf .
[4] 1.1 Ärzte haben den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RS0038202; 6 Ob 233/17h). Die Behandlung muss entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen (RS0038202 [T3]). Ob dieser Sorgfaltsmaßstab bei einer konkreten ärztlichen Maßnahme eingehalten wurde, ist eine Einzelfallbeurteilung und wirft daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf ( 1 Ob 111/19h mwN ).
[5] 1.2 Nach den detaillierten Feststellungen zur Vorgangsweise der behandelnden Ärzte anlässlich der beiden Untersuchungen in der Notfallambulanz der Beklagten bestand zusammengefasst jeweils kein Verdacht auf eine Blinddarmentzündung. Auch der Hausarzt der Klägerin kam zwei Tage später noch nicht zu diesem Ergebnis, sondern der Blinddarmdurchbruch wurde erst intraoperativ erkannt. Die im Klinikum der Beklagten durchgeführt en Untersuchungen und Behandlungen waren „eine Vorgehensweise lege artis“. Die Blinddarmentzündung wäre auch „bei ganz ganz genauer Untersuchung der Region“ nicht zutage getreten, weil bei der Klägerin zur Zeit des zweiten Besuchs der Notfallambulanz für die Untersuchung „denkbar ungünstige Umstände“ bestanden. Den Ärzten der Beklagten ist kein Behandlungsfehler anzulasten. Die Aufklärung hinsichtlich einer möglichen Blinddarmentzündung durch die behandelnden Ärzte war ausreichend. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es sei nach dem Sachverhalt kein Grund für eine Haftung der Beklagten gegeben, ist daher nicht zu beanstanden.
[6] 2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, eine Tatfrage (RS0026418).
[7] 2.2 Die Revisionswerberin argumentiert, das Berufungsgericht habe für einen Kunstfehler gefordert, dass eine für die Behandlung „unerlässliche“ Maßnahme unterlassen worden wäre; nach der – auch vom Berufungsgericht zitierten – Rechtsprechung habe der Patient hingegen Anspruch auf Anwendung der sichersten (und nicht nur von unerlässlichen) Maßnahmen. Damit zeigt die Klägerin jedoch keine erhebliche Rechtsfrage zum für die Qualifikation als ärztlicher Kunstfehler anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs auf: Die Frage, ob dem behandelnden Arzt ein haftungsbegründender Vorwurf zu machen ist, stellt zwar eine revisible Rechtsfrage dar (10 Ob 93/04f mwN), allerdings ist deren Beantwortung von der festgestellten Vorgangsweise und damit von den konkreten Umständen abhängig. Sämtliche Fragen nach der Überzeugungskraft der Darlegungen des Sachverständigen – auch im Bezug auf die Zweckmäßigkeit einzelner fachbezogener Maßnahmen und darauf, ob sie dem Stand der Wissenschaft entsprachen – sind dagegen nicht revisible Beweisfragen ( vgl RS0043122 [T9]; RS0026418). Das Berufungsgericht hat mit der von der Revision kritisierten Formulierung gerade zusammenfassend zum Ausdruck gebracht, es lasse sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, dass Behandlungsmaßnahmen unterlassen worden wären, „die im Rahmen einer Behandlung State of the Art unerlässlich bzw zu verlangen gewesen wären“.
[8] 3.1 Die in der Revision zitier te Bestimmung des § 22 KAKuG über die Aufnahmeverpflichtung von Krankenanstalten regelt die Kriterien für die Aufnahme von anstaltsbedürftigen und unabweisbaren Personen („Pfleglingen“) und soll im Ergebnis gewährleisten, dass ausreichende Kapazitäten für anstaltsbedürftige Patienten zur Verfügung stehen (vgl Stöger in GmundKomm § 22 KAKuG Rz 1). Die Verantwortlichkeit für die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Aufnahme wird in dieser Regelung den Ärzten der Krankenanstalt übertragen (s dazu 164 BlgNR VIII. GP 10). Eine nahezu wortgleiche Bestimmung enthält § 46 des Oö KAG als Landes Ausführungsgesetz. Zwischen einer „absoluten“ und einer „relativen“ Indikation einer Aufnahme in Krankenanstaltspflege – wie dies die Revision bezeichnet – wird in diesen Regelungen nicht unterschieden, sondern für die Definition als „anstaltsbedürftig“ im Wesentlichen darauf abgestellt, ob sich die untersuchte Person in einem Zustand befindet, der nach den Ergebnissen einer ärztlichen Untersuchung „die Aufnahme in Krankenanstaltspflege erfordert“.
[9] 3.2 Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin lässt sich auch aus diesen Bestimmungen kein Argument für eine Haftung der Beklagten gewinnen, weil feststeht, dass sich der Zustand der Klägerin jeweils nach der Untersuchung und der Behandlung mit einem Schmerzmittel deutlich besserte und sie nach Hause entlassen werden konnte. Auch durch die zusätzliche Untersuchung bei ihrem zweiten Besuch in der Notfallambulanz der Beklagten war der Verlauf des erst zwei Tage später intraoperativ diagnostizierten Blinddarmdurchbruchs nicht vorhersehbar. Ein Fehler in der Entscheidung der behandelnden Ärzte über die Frage, ob die Klägerin als Patientin stationär aufzunehmen („anstaltsbedürftig“) war, ist daher nach dem Sachverhalt nicht gegeben. Auch insoweit wird daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen.