14Os48/21x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie belangte Verbände wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 333 HR 151/19d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Anträge der J* GmbH und des Dr. * J* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) führt zu AZ 62 St 1/19x gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie belangte Verbände ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen. In diesem bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien am 7. Juni 2019 zu AZ 333 HR 151/19d die Anordnung der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung der Räume an der Adresse *, die (unter anderem) Sitz der J* GmbH und Kanzleisitz des Rechtsanwalts Dr. * J* ist (ON 191).
[2] Das Oberlandesgericht Wien gab den gegen diesen Beschluss gerichteten (und gemeinsam ausgeführten) Beschwerden (unter anderem) der J* GmbH und des Dr. J* (ON 351) mit Beschluss vom 28. Jänner 2021, AZ 21 Bs 300/19z, 301/19x, Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Bewilligung der Durchsuchung der in Rede stehenden Geschäfts- und Kanzleiräumlichkeiten ab (Punkt 1./ des Beschlusses ON 1171). Es sah die Durchsuchung mit Blick auf die als gering erachteten Erfolgsaussichten der Erlangung beweisrelevanter Unterlagen und der mit der Durchsuchung verbundenen weitreichenden Rechtsgutbeeinträchtigung bei nicht beschuldigten, in das Tatgeschehen nicht wesentlich involvierten Berufsgeheimnisträgern als unverhältnismäßig an (ON 1171 S 25 f).
[3] Den mit den Beschwerden verbundenen Einsprüchen (unter anderem) der Genannten wegen Rechtsverletzung gab das Beschwerdegericht mit dem Ausspruch Folge, dass durch die gegenständliche Anordnung der Durchsuchung und deren Durchführung § 119 Abs 1 StPO iVm § 5 Abs 1 StPO verletzt wurde (Punkt 2./ des Beschlusses).
[4] Das in den Einsprüchen enthaltene Vorbringen, Dr. J* sei zu Beginn der Durchsuchung irrig mitgeteilt worden, dass er im Verfahren als Beschuldigter geführt werde, und die Polizisten hätten keinen Bezug zum Ermittlungsverfahren aufweisende Akten „durchwühlt“, Fotografien von E Mails und Tresor Codes angefertigt und an eine unbekannte Person versandt, wertete das Oberlandesgericht als selbständige Akte der Kriminalpolizei, denen die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegenstehe (ON 1171 S 27 f). Aus diesem Grund wies es die „ü ber Pkt 2./ sowie über das gegen die Anordnung der Sicherstellung hinausgehenden Begehren auf Feststellung der Verletzung subjektiver Rechte durch selbstständige Akte der Kriminalpolizei“ gemäß § 107 Abs 1 erster Satz StPO als unzulässig zurück.
[5] Schließlich befand es, dass ü ber den im Rechtsmittel enthaltenen, auf die Sicherstellungen anlässlich der gegenständlichen Hausdurchsuchungen bezogenen Einspruch wegen Rechtsverletzung – mangels Entscheidungskompetenz des Oberlandesgerichts – der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu entscheiden habe, weshalb es den Einspruch formlos an dieses Gericht überwies (ON 1171 S 29 f).
[6] Bei der am 27. Juni 2019 vorgenommenen Durchsuchung erhob Dr. J* Widerspruch nach § 112 Abs 1 StPO gegen die Sicherstellung mehrerer Unterlagen in Papierform sowie Festplatten und Sicherungsbänder (ON 315 S 3 und 384 S 17).
[7] Am 1. Oktober 2019 forderte das Landesgericht für Strafsachen Wien Dr. J* hinsichtlich der sichergestellten Unterlagen in Papierform auf, jene Aufzeichnungen konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde (ON 570). Gegen diese Aufforderung erhoben die J* GmbH und Dr. J* Beschwerde (ON 598), welche vom Oberlandesgericht Wien am 2. Februar 2021, AZ 21 Bs 375/19d, zurückgewiesen wurde. Nachdem das Landesgericht für Strafsachen Wien einen am 23. Oktober 2019 eingebrachten Fristerstreckungsantrag des Dr. J* (ON 617) am selben Tag nicht bewilligt hatte, lehnte es m it Beschluss vom 30. Oktober 2019, AZ 333 HR 151/19d, (der Sache nach) die Durchführung eines Sichtungsverfahrens ab und sprach aus , dass sämtliche physische Unterlagen (Konvolute an Losezettel), die bei der Hausdurchsuchung am 27. Juni 2019 in der Rechtsanwaltskanzlei J* GmbH sichergestellt, versiegelt und dem Gericht übergeben wurden, gemäß „§ 112 Abs 1 und 2 StPO“ (durch die Staatsanwaltschaft) zum Akt genommen werden dürfen (ON 628 [S 1 iVm S 6]).
[8] Den dagegen von der J* GmbH und von Dr. J* erhobenen, gemeinsam ausgeführten Beschwerden (ON 641) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 9. Februar 2021, AZ 21 Bs 395/19w, nicht Folge (ON 1183). Wie bereits das Erstgericht ging auch das Beschwerdegericht davon aus, dass der Bezeichnungspflicht nach § 112 Abs 2 StPO nicht fristgerecht entsprochen worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] Gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 28. Jänner 2021 zu AZ 21 Bs 300/19z und 21 Bs 301/19x, und vom 9. Februar 2021, AZ 21 Bs 395/19w, richten sich die gemeinsam eingebrachten, Verletzungen der Art 6 und 8 MRK sowie Art 9 StGG, Art 47 GRC, Art 83 B VG und der „RL-Rechtsbeistand (2013/48/EU)“ reklamierenden , nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Anträge der J* GmbH und des Dr. J* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.
[10] Bezugspunkt eines Erneuerungsantrags im (wie hier) erweiterten Anwendungsbereich (vgl RIS Justiz RS0122228) ist eine als grundrechtswidrig bezeichnete (letztinstanzliche) Entscheidung oder Verfügung eines dem Obersten Gerichtshof untergeordneten Strafgerichts (vgl dazu Rebisant , WK-StPO §§ 363a–363c Rz 34 ff). Der A ntrag hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 13 Rz 16; zur sinngemäßen Geltung aller gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl RIS Justiz RS0122737) – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0124359).
[11] Die Behandlung eines Erneuerungsantrags bedeutet daher nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS Justiz RS0129606 [T2, T3], RS0132365). Ebenso wenig ermöglicht bloße Kritik an der bestehenden Rechtslage die Verfahrenserneuerung.
1./ Zum Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 28. Jänner 2021, AZ 21 Bs 300/19z, 301/19x:
[12] (Unter anderem) Art 6 und 8 MRK erachten die Antragsteller durch die Weigerung des Oberlandesgerichts für verletzt, im Rahmen des Einspruchs wegen Rechtsverletzung auch das Verhalten der Kriminalpolizei bei der Durchsuchung der Kanzleiräume zu behandeln, welches das Beschwerdegericht (zu Unrecht) als selbständige Akte der Kriminalpolizei beurteilt hat (vgl zur Zurechnung behördlicher Akte dem Bereich der Gerichtsbarkeit, soweit sie in Durchführung staatsanwaltschaftlich angeordneter oder genehmigter Ermittlungsmaßnahmen erfolgen und diese nicht offenkundig überschreiten: Wiederin , WK StPO § 4 Rz 52; Pilnacek/Stricker , WK StPO § 106 Rz 9/5 iVm Rz 6; RIS Justiz RS0128498; 11 Os 160/12g, 161/12d). Die Antragsteller behaupten, Polizisten hätten Fotos von E Mails und Tresor-Codes des Dr. J* angefertigt und an eine unbekannte Person versendet, keinen Bezug zum Ermittlungsverfahren aufweisende Akten „durchwühlt“ und Dr. J* unrichtig mitgeteilt, er werde im Verfahren als Beschuldigter geführt.
[13] Mit Blick auf den (grundrechtsrelevanten [vgl RIS Justiz RS0133225; Wiederin , WK-StPO § 5 Rz 40]) Ausspruch des Beschwerdegerichts, dass durch die gerichtlich bewilligte Anordnung und Durchführung der Durchsuchung der Räumlichkeiten an der Adresse *, § 119 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 StPO verletzt wurde (BS 27), wurde dem Rechtsschutzinteresse der Antragsteller auf Basis der bestehenden Rechtslage umfassend Rechnung getragen und der Sache nach eine Verletzung (auch) des Art 8 MRK anerkannt. Indem die Erneuerungswerber bloß weitere Aspekte der somit insgesamt ohnehin für rechtswidrig erklärten Durchsuchung aufgreifen wollen, legen sie jeweils ihre Opfereigenschaft nicht substantiiert und schlüssig dar (RIS-Justiz RS0125374).
[14] Gleiches gilt für die Behauptung einer Verletzung des Art 8 MRK auch dadurch, dass das Oberlandesgericht „nur pauschal wegen Unterverhältnismäßigkeit eine Durchsuchung für rechtswidrig erklärt“, den „exzessiven Umfang“ der Durchsuchungsanordnung und der (hier aber von vornherein nicht verfahrensgegenständlichen) Sicherstellungsanordnung jedoch „unbeanstandet gelassen“ habe. Denn selbst wenn das Beschwerdegericht auch einen bestimmten Umfang der von der Durchsuchungsanordnung umfassten Gegenstände für überschießend erachtet hätte (vgl aber ON 1171 S 17 bis 23), wäre damit eine über den ohnehin getroffenen Ausspruch der (Grund )Rechtswidrigkeit der Anordnung und Durchführung der Durchsuchung hinausgehende Rechtsfolge nicht verbunden gewesen.
[15] Im Übrigen legen die Antragsteller gar nicht (unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts) offen, worin konkret der behauptete „exzessive Umfang“ der Durchsuchungsanordnung bestanden habe und nach welchen konkreten Beweismitteln demnach nicht zu suchen gewesen wäre.
[16] Soweit die Erneuerungswerber einerseits kritisieren, das Oberlandesgericht habe mit der bloßen Feststellung der Gesetzesverletzung „den besonderen Schutzbereich des Anwaltsgeheimnisses nicht ausreichend“ berücksichtigt, und andererseits aus dem Ausspruch der Rechtswidrigkeit der Anordnung und Durchführung der gegenständlichen Durchsuchung einen Rechtsanspruch darauf erschließen, dass „der exzessive Umfang konkret festgestellt wird, um daraus überschießend gewonnene Beweismittel wegen Umgehung des Anwaltsgeheimnisses der Nichtigkeitssanktion des § 157 Abs 2 StPO zu unterwerfen“, verkennen sie den Unterschied zwischen den in der StPO vorgesehenen Vernichtungsanordnungen und -ansprüchen (vgl zu diesen die Aufzählung in 11 Os 56/20z sowie Schmoller , WK-StPO § 3 Rz 71/6) und den Nichtigkeitsandrohungen (hier: § 157 Abs 2 StPO; siehe dazu Rebisant in Liber Amicorum Eckart Ratz, 126 ff; vgl auch Ratz , WK StPO § 281 Rz 172). Aus Letzteren kann jedoch nicht der Anspruch (von Beschuldigten oder Dritten) abgeleitet werden, die Ergebnisse einer rechtswidrigen Durchsuchung zu vernichten (vgl dazu Schmoller , WK-StPO § 3 Rz 71/6 und 74).
[17] Die Rechtswirkung im Durchsuchungszeitpunkt gültiger, erst nachfolgend vom Rechtsmittelgericht verweigerter Bewilligung bei zugleich erledigtem Einspruch wegen Rechtsverletzung bestimmt sich vielmehr nach § 107 Abs 4 StPO (ansonsten in Analogie zu dieser Vorschrift). Die Herstellung des rechtmäßigen Zustands aufgrund einer über Einspruch wegen Rechtsverletzung oder Beschwerde des Beschuldigten (oder einer gesetzlich gleichgestellten Person) für unzulässig erklärten Ermittlungsmaßnahme bedeutet dort, wo es an einer gesetzlichen Vernichtungsanordnung fehlt, bloß, dass solcherart erlangte Beweismittel ohne Einverständnis des Beschuldigten zu dessen Nachteil weder für die Entscheidung über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens (§§ 91 Abs 1, 210 Abs 1 StPO) noch zur Begründung eines der Festnahme oder Untersuchungshaft dieses Beschuldigten zugrunde liegenden Tatverdachts verwendet werden dürfen (RIS-Justiz RS0125171, RS0125172; Tipold/Zerbes , WK-StPO § 120 Rz 18 ff; siehe auch RIS-Justiz RS0124162).
[18] Bleibt anzumerken, dass die – nach der Aktenlage erfolgte – Anfertigung von Fotos mit dienstlichen Mobiltelefonen durch Organe der Kriminalpolizei im Zuge der Durchführung einer Durchsuchung von Orten zwecks Übermittlung dieser an die Staatsanwaltschaft zur Schaffung einer Beurteilungsgrundlage für das weitere Vorgehen vor Ort (vgl ON 384 S 15) mit Blick auf die Möglichkeit Letzterer, als Leiterin des Ermittlungsverfahrens sogar selbst dort tätig zu werden (§ 103 Abs 1 StPO; vgl dazu Flora , WK-StPO § 103 Rz 3 ff), weder eine offenkundige Überschreitung der zugrunde liegenden staatsanwaltschaftlichen Anordnung darstellt noch Bestimmungen der Strafprozessordnung verletzt.
[19] Inwieweit aus der im Zuge der Durchsuchung erfolgten unzutreffenden, im Verlauf der Ermittlungsmaßnahme aber richtiggestellten Mitteilung, Dr. J* sei im gegenständlichen Ermittlungsverfahren Beschuldigter (vgl ON 384 S 7, 11, 17), eine Verletzung des Art 6 MRK (beider Antragsteller) resultieren sollte, machen die bloß auf § 50 StPO rekurrierenden Anträge im Übrigen nicht klar.
[20] Warum die Antragsteller durch die – dem Wortlaut des Gesetzes folgende (arg „… Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme …“ und „... Einspruch gegen deren Anordnung ...“) – Ansicht des Beschwerdegerichts, dass ein Einspruch gegen die (ohne gerichtliche Bewilligung von der Staatsanwaltschaft angeordnete [§ 110 Abs 2 StPO]) Ermittlungsmaßnahme der Sicherstellung nicht mit einer Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung einer anderen Ermittlungsmaßnahme (hier: Durchsuchung von Orten [§ 120 Abs 1 erster Satz StPO]) zu verbinden ist (vgl dazu Pilnacek/Stricker , WK-StPO § 106 Rz 29 f; 13 Os 66/12y [ua]), jeweils in Art 6 MRK verletzt sein sollten, legen sie – auch mit Blick darauf, dass das Beschwerdegericht die Einsprüche formlos an das Landesgericht für Strafsachen Wien zur Erledigung weitergeleitet hat (vgl dazu Brandstetter/Singer in LiK-StPO § 106 Rz 52) – nicht schlüssig dar.
2./ Zum Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 9. Februar 2021, AZ 21 Bs 395/19w:
[21] Das Vorbringen zum Umfang der von der Aufforderung zur Bezeichnung erfassten Unterlagen, welche die Einzelrichterin (§ 31 Abs 1 StPO) vor Setzung der Frist nach § 112 Abs 2 StPO sogar gesichtet habe (vgl dazu aber die Ausführungen des Beschwerdegerichts ON 1183 S 11), stellt ebenso wenig einen Bezug zur Entscheidung des Oberlandesgerichts her wie die Behauptung, dass den Obliegenheiten des § 112 Abs 2 erster Satz StPO ohnehin entsprochen worden sei (vgl dazu aber ON 1183 S 12 f).
[22] Das selbe gilt für die Behauptungen, es sei eine „grundrechtlich bedenkliche Aushöhlung des Berufsgeheimnisses, wenn wegen (angeblicher, tatsächlich aber nicht bestehender!) Formalverstöße gegen die Bezeichnungspflicht das Anwaltsgeheimnis ignoriert“ werde, und die bei einem nicht tatverdächtigen Rechtsanwalt rechtswidrig vorgenommene Hausdurchsuchung und Sicherstellung würden bei sonstiger Nichtigkeit einem Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot unterliegen (vgl dazu aber die obigen Ausführungen), weshalb es diesfalls keines gesonderten Widerspruchsverfahrens bedürfe.
[23] Hinsichtlich des Vorbringens zur Rechtswidrigkeit der Hausdurchsuchung vom 27. Juni 2019 und den aus Sicht der Antragsteller wünschenswerten Konsequenzen daraus wird zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen. Zusätzlich bleibt anzumerken, dass die Prüfung der Voraussetzungen der Durchsuchung oder Sicherstellung nicht Gegenstand des Sichtungsverfahrens ist (vgl RIS Justiz RS0131837).
[24] Unter dem Aspekt einer Verletzung von Art 8 MRK („selbst bei [hypothetisch] unterlassener Bezeichnung“) lassen die Antragsteller offen, weshalb bereits durch die (bei Nichterfüllung der Bezeichnungspflicht gesetzeskonforme; § 112 Abs 2 erster und zweiter Satz StPO) Ablehnung der Durchführung eines Sichtungsverfahrens und Anordnung einer Vorgangsweise nach (ersichtlich gemeint) § 112 Abs 2 zweiter Satz StPO (vgl erneut ON 628 S 1 und 6) eine – vom Oberlandesgericht aufzugreifende – Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens bewirkt worden sein sollte. Unterlässt der Betroffene eine Bezeichnung iSd § 112 Abs 1 erster Satz StPO, hat nämlich erst die Staatsanwaltschaft die von der Sicherstellung umfassten Aufzeichnungen und Datenträger (im Rahmen deren Auswertung) auf ihre Verfahrensrelevanz zu prüfen und nur solche Unterlagen zum Akt zu nehmen, welche im weiteren Verfahren als relevante Beweismittel in Frage kommen und nicht dem Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 (§ 144 Abs 1) StPO unterliegen ( Tipold/Zerbes , WK StPO § 112 Rz 13, vgl auch § 113 Rz 5, 8, 19 ff; § 115 Abs 2 StPO). Gegen eine (erst dabei denkbare) Verletzung von Art 8 MRK kann gerichtlicher Rechtsschutz wiederum durch Erhebung eines Einspruchs nach § 106 Abs 1 StPO gegen rechtswidrige Entscheidungen oder Anordnungen der Anklagebehörde und – im Fall ablehnenden Gerichtsbeschlusses – einer Beschwerde an das Oberlandesgericht erlangt werden (vgl auch 11 Os 56/20z).
[25] Die ausführliche Kritik am Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Oktober 2019 verfehlt den Bezugspunkt von Erneuerungsanträgen (vgl Rebisant , WK-StPO §§ 363a–363c Rz 36; RIS-Justiz RS0122737 [T41]) .
[26] Das (den Interessen von Geheimnisträgern zuwider laufende) Argument, das Beschwerde gericht sei nicht darauf eingegangen, dass das Erstgericht keine Feststellungen zum Inhalt der vom Widerspruchsverfahren umfassten Unterlagen getroffen hat, ist nicht nachvollziehbar.
[27] Mit dem Vorbringen, die „Selbstbelastungsfreiheit als zentrales Element eines fairen Verfahrens“ erfordere, dass die Umgehungsverbote nach § 157 Abs 2 und § 144 Abs 2 StPO „nicht beweismäßig zu Lasten des Beschuldigten (bzw seines Rechtsbeistandes) verschoben“ werden, und das Recht auf ungehinderte und vertrauliche Kommunikation mit einem Rechtsbeistand dürfe nicht sinnwidrig eingeschränkt werden, wird die behauptete Verletzung des Art 6 MRK a uf Basis der E ntscheidung des Beschwerdegerichts und (jeweils) in Betreff beider Erneuerungswerber ebenfalls nicht aufgezeigt.
3./ Zu beiden Beschlüssen:
[28] Weil nur die Verletzung eines Rechts der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle Gegenstand eines Antrags auf Verfahrenserneuerung (auch) im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO sein kann (erneut RIS Justiz RS0132365), haben die in den Erneuerungsanträgen ebenfalls reklamierten Verletzungen der Art 83 B VG, Art 9 StGG, Art 47 GRC und der Richtlinie 2013/48/EU vom 22. Oktober 2013 von vornherein auf sich zu beruhen.
[29] Die solcherart unzulässigen Erneuerungsanträge waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).