1Ob146/21h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers W*, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH, Wien, gegen die Antragsgegnerin Wassergenossenschaft L*, wegen Aufhebung eines Rückstandsausweises und Feststellung, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 30. Juni 2021, GZ 2 R 88/21f 5, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 7. Juni 2021, GZ 4 Nc 5/21s 2, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsteller hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Der Antragsteller ist Mitglied einer Wassergenossenschaft (Antragsgegnerin). Er brachte in seinem Antrag vor, die Wassergenossenschaft habe ihm mit dem Rückstandsausweis vom 31. 3. 2021 den Preis für Trinkwasser berechnet. Er habe aber aufgrund des Übereinkommens vom 1. 3. 1951 sowie der Satzung vom 18. 6. 1964 einen Rechtsanspruch auf den Bezug von Nutzwasser zu einem angemessenen Preis. Die Wassergenossenschaft dürfe ihm daher auch nur den Preis für Nutzwasser verrechnen. Sie verstoße mit der Verrechnung von Trinkwasser gegen die Vereinbarung und die Satzung. Der angefochtene Bescheid vom 28. 4. 2021 und der dort angeführte Beitrag seien rechtswidrig, weil der Bescheid nicht den „vereinbarten Nutzwasserpreis“ enthalte. Unter Berufung darauf, dass er die gerichtliche Entscheidung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Bescheids beantragt habe, weswegen die in § 117 Abs 4 WRG 1959 eingerichtete sukzessive Kompetenz des (ordentlichen) Gerichts gegeben sei, stellte er den Antrag, den Rückstandsausweis der Antragsgegnerin aufzuheben und festzustellen, dass diese ihm „nur Nutzwasser zu einem Preis gemäß [der Satzung der Wassergenossenschaft] verrechnen darf“.
[2] Das Erstgericht wies den Antrag wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs a limine zurück. Bei dem „Bescheid“ der zuständigen Bezirkshauptmannschaft handle es sich nicht um eine Entscheidung nach § 117 Abs 1 WRG. Es werde darin (bloß) der Rückstandsausweis abgebildet und dessen Vollstreckbarkeit unter Nennung des § 84 WRG als Rechtsgrundlage genannt. Es handle sich damit um eine Vollstreckbarkeitsbestätigung, gegen die eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen sei, woran auch die im Bescheid erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung nichts ändern könne.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Es könne dem Rekurswerber nicht darin beigepflichtet werden, dass im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft eine Entscheidung iSd § 117 Abs 1 WRG liege. Der Antragsgegnerin komme das Recht der „politischen Exekution“ gemäß § 84 WRG zu. Ihr vom Antragsteller als zu Unrecht erlassen beurteilter Rückstandsausweis sei nur eine Art Kontoauszug. Er verpflichte nicht zur „Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Beiträgen und Kosten, die entweder in diesem Bundesgesetz [WRG] oder in dem für die Pflege und Abwehr bestimmter Gewässer geltenden Sondervorschriften vorgesehen sind“ iSd § 117 Abs 1 WRG, sondern diene vielmehr der Eintreibung ausständiger Genossenschaftsbeiträge. Zur Bekämpfung von Rückstandsausweisen der Wassergenossenschaften sei, weil den Wassergenossenschaften keine Behördenqualität zukomme, zuerst ein genossenschaftsinternes Schlichtungsverfahren (§ 77 Abs 3 lit i WRG) durchzuführen. Erst danach könne die mit Bescheid erkennende Wasserrechtsbehörde angerufen werden. Gestützt auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. 7. 2013, 2010/07/0204, vertrat das Rekursgericht die Auffassung, dass eine derartige Streitigkeit (aus dem Verbandsverhältnis) ausschließlich im Administrativverfahren auszutragen sei. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und – im Hinblick auf die zu 1 Ob 1/95 ergangene insoweit gegenteilige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs – der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
[5] 1. Der Antragsteller behauptet darin zuerst, dass die Leistung von Wasserzins nicht als „Beitrag eines Genossenschaftsmitglieds“ zu qualifizieren sei, sondern als „Entschädigung für die Inanspruchnahme von Wasser“. Der Verwaltungsgerichtshof qualifiziere nach seiner Entscheidung zu 2010/07/0104 „Anträge aller Art, welche die Inanspruchnahme von Wasser betreffen“, als Anträge über eine Entschädigung im Sinne des § 117 Abs 1 WRG. Es könne dementsprechend „das gegenständliche Begehren keine Leistung aus dem Verbandsverhältnis darstellen“ und die vom Rekursgericht angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (2010/07/0204) nicht einschlägig sein.
[6] Tatsächlich ist aber die von ihm zitierte Entscheidung nicht einschlägig. Sie betraf, worauf schon das Rekursgericht zutreffend hinwies, die Abweisung eines Begehrens einer Agrargemeinschaft als (vermeintliche) Eigentümerin von Quellen anlässlich der wasserrechtlichen Bewilligung eines Projekts (ua die Fassung und Nutzung dieser Quellen) einer Wassergenossenschaft durch die Wasserrechtsbehörde. Dieser Fall eines Begehrens auf Leistung einer Entschädigung durch die Wassergenossenschaft für die Inanspruchnahme von Quellen gegenüber deren vermeintlichen Eigentümer lässt sich mit dem vom Genossenschaftsmitglied der Wassergenossenschaft zu leistenden Beitrag für bezogenes Wasser nicht vergleichen.
[7] 2. Der Revisionsrekurswerber führt seine Argumentation – insofern nicht ganz verständlich im Hinblick auf seine vorstehenden Ausführungen (dass eine „Entschädigung“ begehrt werde und die Leistung von Wasserzins nicht als „Beitrag eines Genossenschaftsmitglieds“ zu beurteilen sei) – mit der Behauptung fort, dass ein „Streitfall im Genossenschaftsverhältnis nach § 85 Abs 1 WRG zwischen dem Antragsteller und der Wassergenossenschaft“ und damit – nach dem zu 1 Ob 1/95 gefällten Beschluss – eine Entscheidung im Sinne des § 117 Abs 1 WRG vorliege.
3. Dazu ist Folgendes zu erwägen:
[8] 3.1. Nach § 117 Abs 1 WRG hat über die Pflicht zur Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Beiträgen und Kosten, die entweder in diesem Bundesgesetz oder in den für die Pflege und Abwehr bestimmter Gewässer geltenden Sondervorschriften vorgesehen sind, sofern dieses oder die betreffende Sondervorschrift nichts anderes bestimmt, die Wasserrechtsbehörde zu entscheiden.
[9] Deren Entscheidung tritt außer Kraft, soweit vor Ablauf von zwei Monaten nach Zustellung des Bescheids die gerichtliche Entscheidung beantragt wird (§ 117 Abs 4 WRG).
[10] Die Inanspruchnahme dieser sukzessiven Kompetenz setzt eine Sachentscheidung der Wasserrechtsbehörde über die Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Beiträgen und Kosten voraus ( Berger in Oberleitner/Berger , WRG ON 4.01 § 117 Rz 10 f mwN zur Voraussetzung einer „materiellen Entschädigungsentscheidung“ unter Hinweis darauf, dass bei Formal- und Nicht Entscheidungen der Behörde keine sukzessive Kompetenz besteht). Erst nach einer Sachentscheidung über die in § 117 Abs 1 WRG genannten Leistungen in bestimmter Höhe kann die gerichtliche Entscheidung darüber, also (wiederum) über die Leistungspflicht in bestimmter Höhe, begehrt werden. Dies ist schon dem Wortlaut des § 117 Abs 1 WRG zu entnehmen und leuchtet auch aus der Anordnung in § 117 Abs 4 WRG hervor, wonach bei Zurücknahme des Antrags mangels anderweitiger Vereinbarungen die wasserbehördlich festgelegte Leistung als vereinbart gilt und das Gericht die Entschädigung nicht höher festsetzen darf, als sie im Bescheid festgesetzt war, wenn nur der durch die Einräumung eines Zwangsrechts Begünstigte das Gericht angerufen hat, während eine niedrigere Festsetzung zu unterbleiben hat, wenn nur der Enteignete das Gericht angerufen hat, was sinngemäß auch für die Festsetzung von Ersätzen, Beiträgen und Kosten gilt. Mit einem Antrag nach § 117 Abs 4 WRG kann daher nur die Festsetzung einer vom „Begünstigten“ zu leistenden Entschädigung in bestimmter Höhe samt der damit verbundenen Zahlungspflicht verfolgt werden.
[11] Demgegenüber strebt der Antragsteller aber vom angerufenen Erstgericht die „Aufhebung des Rückstandsausweises“ und eine Feststellung an (nicht aber den Ausspruch über seine Leistungspflicht in bestimmter [geringerer] Höhe), womit schon die Zielrichtung seines Begehrens nicht zu einer Entscheidung iSd § 117 WRG führen kann.
[12] 3.2. Für die Inanspruchnahme der sukzessiven Kompetenz fehlt es aber auch an der Voraussetzung der zuvor genannten Sachentscheidung der Behörde. Ein „Entschädigungsbegehren“ iSd § 117 Abs 1 WRG ist – nach dem Inhalt des „Bescheids“ – von der Wassergenossenschaft gar nicht an die Behörde herangetragen worden. Es wurde von der Wassergenossenschaft bei der Behörde vielmehr der Antrag gestellt, die offene Forderung in bestimmter Höhe „nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz einzutreiben“.
[13] Das Erstgericht hat den dem Antrag (samt dem Rückstandsausweis) beigelegten „Bescheid“ vom 28. 4. 2021 zutreffend als Vollstreckbarkeitsbestätigung zum Rückstandsausweis der Wassergenossenschaft vom 31. 3. 2021 beurteilt. Im „Spruch“ des „Bescheids“ wird (bloß) referiert, dass der Antragsteller „nach dem Rückstandsausweis der Wassergenossenschaft“ „folgende Abgaben“ (wobei die tabellarische Aufschlüsselung des „Gesamtrückstands“ aus dem Rückstandsausweis übernommen [kopiert] wurde) zu bezahlen habe, und in der Folge ausgesprochen, dass „die Bezirkshauptmannschaft [...] bestätigt, dass die genannte Forderung der Wassergenossenschaft […] nach dem Rückstandsausweis vom 31. 3. 2021 einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegt“. Unter dem Titel „Zahlungsfrist“ wird der Hinweis erteilt, dass der bezifferte Gesamtbetrag binnen zwei Wochen auf ein bestimmtes Konto der Bezirkshauptmannschaft zu überweisen und ansonsten mit der Hereinbringung durch Exekution zu rechnen sei. Als Rechtsgrundlage führt die Behörde § 84 WRG iVm §§ 19 und 24 der Satzung an. Sie verweist in der „Begründung“ auf den Antrag der Wassergenossenschaft, die Forderung nach dem VVG einzutreiben, stellt danach die Behauptungen der Wassergenossenschaft dar und schließt daran die Erläuterung an, dass rückständige Genossenschaftsbeiträge, wenn die Einmahnung durch den Obmann [der Wassergenossenschaft] fruchtlos geblieben sei, gemäß § 84 WRG auf Ansuchen der Genossenschaft nach den Bestimmungen des VVG eingetrieben würden, nachdem die Wasserrechtsbehörde den Rückstandsausweis mit der Bestätigung versehen habe, dass er einem die Vollstreckung hemmenden Rechtszug nicht unterliege. Da die Vorschreibung des Wasserzinses nicht beeinsprucht worden sei, sei eine weitere Entscheidung durch die Wasserrechtsbehörde nicht erforderlich. Es sei „davon auszugehen“, dass die im Rückstandsausweis festgelegte Forderung einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliege.
[14] Einwendungen werden im „Bescheid“ nicht abgehandelt (vgl zur Erhebung von Einwendungen im Exekutionsverfahren gemäß § 3 Abs 2 VVG bei der Stelle, von der der Rückstandsausweis stammt, hier also der Wassergenossenschaft: Höllwerth in Deixler-Hübner EO [28. Lfg] § 1 Rz 103 mwN; Larcher, Verwaltungsvollstreckungsrecht, Rz 17 ff; Berger aaO § 84 Rz 2/1 u 3; insbes zur Zuständigkeit der Wasserrechtsbehörde erst nach ergebnislosem Verlauf der genossenschaftsinternen Schlichtungsverhandlungen über die Einwendungen: VwGH 2000/07/0262; 2003/07/0124; 2007/07/0168; 1 Ob 1/95).
[15] 3.3. Rückständige Genossenschaftsbeiträge sind gemäß § 84 WRG auf „Ansuchen der Genossenschaft“ nach den Bestimmungen des VVG einzutreiben. Nach dessen § 3 Abs 2 muss der Vollstreckungstitel mit einer Bestätigung der Stelle, von der er ausgegangen ist, oder der Vollstreckungsbehörde versehen sein, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht mehr unterliegt (Vollstreckbarkeitsbestätigung).
[16] Weder der Rückstandsausweis selbst (bei dem es sich um einen „Auszug aus den Rechnungsbehelfen“ handelt RS0053380 [T3]), noch die verwaltungsbehördliche Vollstreckbarkeitsbestätigung ist ein Bescheid (1 Ob 1/95 = RS0080117; VwGH 93/07/0116). Die Vollstreckbarkeitsbestätigung ist vielmehr (nur) eine Beurkundung (vgl 3 Ob 1/93 [zu einem Rückstandsausweis der Bundesingenieurkammer]; Höllwerth in Deixler Hübner EO [28. Lfg] § 7 Rz 154 mwN), wobei generelle Vorschriften, wie diese zu erfolgen hat, nicht bestehen (vgl Höllwerth aaO Rz 161).
[17] Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass im vorliegenden Fall von der Wasserrechtsbehörde (bloß) die Vollstreckbarkeit des Rückstandsausweises der Wassergenossenschaft (als Vollstreckungsbehörde) bestätigt, aber keine Entscheidung über „die Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Beiträge und Kosten“ nach § 117 Abs 1 WRG erlassen wurde, die der sukzessiven Kompetenz nach § 117 Abs 4 WRG unterläge. Es mangelt daher schon aus diesem Grund an einer (Sach-)Entscheidung iSd § 117 Abs 1 WRG als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der sukzessiven Kompetenz, ohne dass auf die vom Rekursgericht angesprochene Judikaturdivergenz eingegangen werden muss.
[18] 4. Dem Antragsteller steht für sein erfolgloses Rechtsmittel kein Kostenersatz zu. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG e contrario.