JudikaturOGH

11Os118/21v – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen * F* wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB, AZ 32 U 237/19k des Bezirksgerichts Favoriten, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 16. Dezember 2020 (ON 20) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter Longitsch LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 32 U 237/19k des Bezirksgerichts Favoriten verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils am 16. Dezember 2020 in Abwesenheit des Angeklagten § 427 Abs 1 StPO.

Das Abwesenheitsurteil vom 16. Dezember 2020 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Favoriten verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit beim Bezirksgericht Favoriten zu AZ 32 U 237/19k eingebrachtem Strafantrag vom 9. Oktober 2019, AZ 132 BAZ 228/19v, legte die Staatsanwaltschaft Wien * F* als Vergehen des Betruges nach § 146 StGB zur Last, er habe (verkürzt) am 29. Dezember 2018 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz * Z* durch die Vorgabe seiner Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zu einer Taxifahrt nach Bruck an der Leitha verleitet und diesen dadurch am Vermögen geschädigt (ON 9).

[2] Zu diesem Vorwurf wurde * F* am 29. Dezember 2018 von einschreitenden Polizeibeamten informell befragt (ON 2 S 2). Eine förmliche Vernehmung des Genannten als Beschuldigter fand nach der Aktenlage nicht statt (ON 2 S 5, ON 7 S 1 f).

[3] Die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Favoriten am 16. Dezember 2020 wurde in Abwesenheit des Angeklagten, der trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung (ON 21 S 3 iVm ON 15 S 3, ON 1 S 6; RIS-Justiz RS0120038) nicht erschienen war, durchgeführt (ON 19 S 2).

[4] Mit Abwesenheitsurteil vom selben Tag (ON 20) wurde * F* des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[6] Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung unter anderem nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und in dieser das Urteil gefällt werden, wenn der Angeklagte zuvor gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde. Nur eine dem Abwesenheitsverfahren vorangegangene, den gesamten Anklagevorwurf erfassende förmliche Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigter trägt dem durch Art 6 MRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des beiderseitigen Gehörs hinreichend Rechnung ( Bauer , WK StPO § 427 Rz 8; RIS-Justiz RS0130532).

[7] Da eine förmliche Vernehmung des * F* zum Anklagevorwurf unterblieben war, verstießen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in seiner Abwesenheit gegen § 427 Abs 1 StPO.

[8] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, das Abwesenheitsurteil aufzuheben und dem Bezirksgericht Favoriten die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).

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