11Os117/21x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen * K* und * Ki* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagter sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 22. Juni 2021, GZ 23 Hv 25/21f 89, weiters über Beschwerden des Angeklagten Ki* und der Staatsanwaltschaft gegen Beschlüsse gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Ki* sowie aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung dieses Angeklagten i m Schuldspruch zu A./II./, A./III./ und A./IV./2./, demgemäß im Straf- (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und Verfallsausspruch sowie das Konfiskationserkenntnis, weiters die ihn betreffenden Beschlüsse auf gehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landes gericht Linz verw iesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Ki* im Übrigen wird ebenso wie jene des K* zurückgewiesen.
Ki* und die Staatsanwalts chaft werden mit den Berufungen und Beschwerden auf die Aufhebung verwiesen .
Das Landesgericht Linz wird entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Linz zur Erledigung der Berufungen des K* und der Staatsanwaltschaft (in Ansehung dieses Angeklagten) sowie deren Beschwerde zuzumitteln haben.
Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden
der Angeklagte * K* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./I./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./II./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A./IV./1./), des Verbrechens (richtig) der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 1 erster und sechster Fall StGB (B./) sowie der Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2, Z 3 WaffG (C./) und
der Angeklagte * Ki* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./II./ und A./III./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A./IV./2./) sowie der Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2, Z 3 WaffG (C./)
schuldig erkannt.
[2] Danach haben – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Relevanz verkürzt wiedergegeben – in T* und an dernorts
A./ K* und Ki* im Zeitraum von zumindest November 2018 bis zum 18. Dezember 2020 vorschriftswidrig Suchtgift
I./ K* von Tschechien aus- und nach Österreich in einer das 25 fache der Grenzmenge übersteigenden Menge eingeführt, indem er in regelmäßigen Schmuggelfahrten jeweils zumindest 50 Gramm Methamphetamin, gesamt zumindest 1.800 Gramm (Reinheit zumindest 35 %, sohin 63 fache Grenzmenge), das er in Tschechien erworben hatte, nach Österreich brachte;
II./ anderen in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, teils durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar:
1./ K* dem Ki* in zahlreichen Fällen in überwiegend unentgeltlichen Teilüberlassungen sowie im Zeitraum Ende 2019 bis etwa März 2020 entgeltlich zum Grammpreis von 100 Euro, insgesamt ca 350 Gramm Methamphetamin;
2./ K* und Ki* in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken den im Urteil konkret angeführten (a./ bis g./) sowie zahlreichen unbekannten Abnehmern (h./) zumindest 1.130 Gramm Methamphetamin;
III./ Ki* geringe Mengen Cannabiskraut den im Urteil konkret angeführten Abnehmern (1./ und 2./);
IV./ erworben und bis zum ausschließlichen Eigenkonsum besessen, und zwar:
1./ K* 320 Gramm Methamphetamin, überwiegend aus den zu A./I./ geschilderten Schmuggelfahrten sowie am 18. Dezember 2020 0,8 Gramm Methamphetamin;
2./ Ki* 350 Gramm Methamphetamin, eine unbekannte Menge Cannabiskraut sowie am 18. Dezember 2020 1,5 Gramm Methamphetamin;
B./ ...
C./ ...
Rechtliche Beurteilung
[3] Der Sache nach gegen die Schuldspruchpunkte A./I./ und A./II./ richten sich die weitgehend wortgleich (nominell) auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, wobei Ki* überdies § 281 Abs 1 Z 5a StPO geltend macht.
[4] Soweit die uneingeschränkten Aufhebungsanträge auch die vom Vorbringen inhaltlich nicht angesprochenen Schuldsprüche A./III./ und A./IV./ sowie B./ und C./ erfassen, werden die Beschwerden mangels der gebotenen Konkretisierung Nichtigkeit bewirkender Umstände (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) nicht gesetzmäßig ausgeführt.
[5] Nichtigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen § 250 StPO (Z 3) liegt vor, wenn vor Schluss des Beweisverfahrens die Information des Angeklagten darüber unterbleibt, was in seiner Abwesenheit in der Hauptverhandlung vorgenommen wurde (§ 250 Abs 1, Abs 2 StPO). Demgegenüber spricht der von beiden Beschwerden eingangs erhobene Vorwurf, die von den Angeklagten abgesonderte Vernehmung der Zeugin * G* sei ohne Begründung des erkennenden Senats beschlossen worden und zudem nicht im Interesse der Zeugin gestanden, keinen unter Nichtigkeitssanktion stehenden Umstand an und geht damit ins Leere (vgl RIS Justiz RS0098271).
[6] Unberechtigt ist auch der Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall). Die von den Beschwerden hiebei übereinstimmend vermisste Auseinandersetzung mit den Abweichungen zwischen den Angaben des Angeklagten Ki* vor der Polizei einerseits und in der Hauptverhandlung andererseits findet sich in US 14 f. Soweit das Vorbringen des K* in diesem Zusammenhang hinterfragt, weshalb im Urteil „der Aussage unter dem Einfluss von Benzodiazepinen mehr Glauben geschenkt wird als der nüchternen Einvernahme in der Hauptverhandlung“, und es weiters beanstandet, „dass das Erstgericht offenbar lediglich die belastenden Passagen der Einvernahmen der beiden Angeklagten als glaubhaft titulierte“, beschränkt es sich im Ergebnis lediglich auf eine – im schöffengerichtlichen Verfahren in dieser Form unzulässige – Beweiswürdigungskritik und verfehlt solcherart den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0098471 [T1]).
[7] An sich zutreffend zeigen die Beschwerden auf, dass die Tatrichter die in der der Hauptverhandlung nicht verlesenen (vgl ON 88 S 8) Angaben der Zeugin * G* im Ermittlungsverfahren in Bezug auf Schuldspruch A./ – trotz einer ausdrücklich gegenteiligen Behauptung (US 15) – im Urteil mehrfach verwerteten (US 6 ff).
[8] Bezogen auf den Angeklagten K* geht dieser Einwand zu Schuldspruch A./I./ ins Leere, weil das Schöffengericht die hiezu getroffenen Sachverhaltsannahmen aus einer Mehrzahl von Beweisergebnissen ableitete (US 6) und die diesbezüglichen Angaben der Zeugin G* insoweit somit keine notwendige Bedingung für die Feststellung entscheidender Tatsachen darstellen (RIS-Justiz RS0099507). Zu A./II./ spricht die Beschwerde keinen für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsamen Aspekt an, weil selbst bei Entfall der Mengen laut A./II./2./ angesichts der festgestellten Handlungseinheit (US 10 f) das 35-fache der Grenzmenge Methamphetamin (A./II./1./) verbleibt. Der Entfall einzelner (jeweils auf Teilmengen bezogener) Ausführungshandlungen einer tatbestandlichen Handlungseinheit oder eine Reduktion (des Reinheitsgrades) der Teilmengen wäre für die Subsumtionsfrage nämlich nur insoweit bedeutsam, als dadurch das insgesamt tatverfangene Suchtgiftquantum nicht einmal mehr – wie zur Tatbestandsverwirklichung nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG erforderlich – das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge überschreiten würde (RIS-Justiz RS0127374).
[9] Genau Letzteres trifft jedoch – bei Wegfall der Suchtgiftquanten A./II./2./ – in Ansehung des Ki* zu: Insoweit bewirkt die aufgezeigte Verwendung von in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenen Beweisergebnissen Nichtigkeit iSd Z 5 vierter Fall (RIS-Justiz RS0098481), weil das Erstgericht die Annahme einer Tatbegehung dieses Angeklagten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit K* aus den nicht verlesenen Angaben der Zeugin G* ableitete (US 6), während die hiezu im Zusammenhang mit einzelnen Teilhandlungen weiters angeführten, kommentarlosen Hinweise auf einzelne Beweisergebnisse deren inhaltliche Würdigung nicht offenlegen und somit auch einen Bezug zur Frage der jeweiligen Zurechnung der Tat nicht erkennen lassen (US 7 f). Der solcherart vorliegende Begründungsmangel betrifft damit die subsumtionsrelevante Zuordnung sämtlicher vo n A./II./ und – mit Blick auf die tatbestandliche Handlungseinheit – A./III./ umfassten Teilfakten und macht deren Aufhebung in Ansehung des Angeklagten Ki* somit unumgänglich.
[10] Insgesamt erübrigt sich ein Eingehen auf die gegen A./II./ gerichtete Tatsachenrüge (Z 5a) des Angeklagten Ki*.
[11] Bei diesem erfordert die Kassation des Schuldspruchs A./ II./ und A./III./ mit Blick auf §§ 35 Abs 1, 37 Abs 1 SMG gemäß § 289 StPO auch jene des Schuldspruchs A./IV./2./ (RIS-Justiz RS0119278).
[12] In partieller Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Ki* sowie aus deren Anlass (§§ 289, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) das Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, und die diesen betreffenden Beschlüsse wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landes gericht Linz zu verweisen. Hierauf waren dieser Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren ihn betreffenden Rechtsmitteln zu verweisen.
[13] D ie Nichtigkeitsbeschwerde des Ki* war im Übrigen, jene des K* zur Gänze bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[14] Daraus folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO) die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des K* und der Staatsanwaltschaft (zu deren angemeldeter Beschwerde: ON 88 S 12), wozu das Landesgericht Linz diesem die erforderlichen Aktenbestandteile zu übermitteln haben wird (§ 9 StPO).
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.