11Os112/21m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen ***** P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Juli 2021, GZ 91 Hv 27/21p 43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (I), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II), des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigen Person nach § 205 Abs 1 StGB (III) und des sexuellen Missbrauchs Unmündiger nach § 207 Abs 1 StGB (IV) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach §§ 207a Abs 1 Z 1, 15 StGB (V) und nach § 207a Abs 3 „erster und zweiter Fall“ (erkennbar gemeint: teils erster, teils zweiter Satz) StGB (VI) sowie des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (VII) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
[2] Danach hat er – verkürzt wiedergegeben – in W***** und an anderen Orten
I) am 18. Mai 2015 die ***** 2008 geborene ***** F***** mit Gewalt, indem er ihren Kopf zu seinem Penis drückte und diesen wiederholt mit Kraft in ihren Mund schob, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Oralverkehrs genötigt;
II) durch die zu Punkt I beschriebene Tat mit der unmündigen ***** F***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen;
III) durch die zu Punkt I beschriebene Tat ***** F*****, die aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands missbraucht;
IV) im Zeitraum Sommer 2018 bis Sommer 2020 die ***** 2010 geborene, sohin unmündige ***** G***** dadurch sexuell missbraucht, dass er bei zumindest einer Gelegenheit ihre nackten, sich entwickelnden Brüste und insbesondere ihre Brustwarzen streichelte und bei einer weiteren Gelegenheit seinen Penis zwischen ihre nackten Gesäßbacken legte;
V) am 18. Mai 2015 und zwischen Sommer 2018 und Sommer 2020 zumindest 20 Bilddateien und fünf Videodateien mit im Urteil näher bezeichnetem kinderpornografischen Inhalt betreffend mündige und unmündige Minderjährige auf die im Urteil näher bezeichnete Weise hergestellt und weitere herzustellen versucht;
VI) im Zeitraum 18. Mai 2015 bis 26. Februar 2021 zumindest weitere 131 Bilddateien und 15 Videodateien mit pornographischen Darstellungen unmündiger und mündiger Minderjähriger durch Speicherung auf diversen Datenträgern besessen;
VII) mit ***** F***** durch die zu Punkt I beschriebene Tat und mit ***** G***** durch die zu Punkt IV beschriebene Tat jeweils mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.
[3]
Rechtliche Beurteilung
Gegen die gemäß § 21 Abs 2 StGB erfolgte Einweisung des Angeklagten richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt stellt die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist jedenfalls die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand, dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie deren Mindeststrafdrohung nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.
[5] Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, so kommt auch eine Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht (vgl zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 8 ff mwN). In diesem Fall liegt Nichtigkeit vor, wenn die in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären, als willkürlich erscheinen lässt. Der Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegende Feststellungen können aus Z 11 zweiter Fall – anders als bei Sachverhaltsannahmen zur Beurteilung der Sanktionsbefugnis (Z 11 erster Fall) – mit Verfahrens , Mängel oder Tatsachenrüge nicht bekämpft werden (RIS Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff).
[6] Vorliegend richtet sich das auf eine – als unerörtert kritisierte – Passage im Sachverständigengutachten verweisende Vorbringen (wonach das Eingeständnis seiner Pädophilie durch den Angeklagten erstmals in der Hauptverhandlung zwar kein Erkenntniszuwachs, jedoch ein relevanter Fortschritt sei – ON 42 S 14) nicht gegen die Feststellungen betreffend den auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand der Person, sondern gegen den daraus gezogenen Schluss zu deren Gefährlichkeit und stellt sich solcherart als bloßes Berufungsvorbringen dar.
[7] Inwiefern die Rüge bei Beachtung der dargestellten Anfechtungskriterien mit den bloßen Behauptungen, der Sachverständige habe bei seiner Prognose „willkürlich“ auf eine Situation „auf freiem Fuß“ abgestellt und das Erstgericht habe „übersehen“, dass der Angeklagte „ohnedies eine mehrjährige unbedingte Haftstrafe absitzen muss“, Nichtigkeit begründende Willkür der Feststellungsgrundlage aufzeigen will (vgl im Übrigen die gesetzliche Anordnung des § 21 Abs 2 letzter Satz StGB), bleibt zudem unerfindlich.
[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.