JudikaturOGH

12Os106/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin AAss. Schaffhauser in der Strafsache gegen ***** J***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Angeklagten ***** D***** gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 6. August 2021, GZ 46 Hv 9/21b 85, die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Genannten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 4. Mai 2021, GZ 46 Hv 9/21b 65, die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit und dessen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das vorangeführte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (ON 85) wird nicht Folge gegeben.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

Die Berufung und die Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit (ON 65) werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten ***** D***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 4. Mai 2021 (ON 65) wurde – soweit hier von Bedeutung – ***** D***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 3 SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG schuldig erkannt.

[2] Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung gab der – durch eine Verteidigerin vertretene – Angeklagte D***** keine Rechtsmittelerklärung ab (ON 64 S 34).

[3] Am 8. Mai 2021 meldete der Genannte „volle Berufung“ an (ON 69), führte aber nach Urteilszustellung am 23. Juni 2021 (ON 1 S 26) a m 20. Juli 2021 nur die Berufung wegen Strafe aus (ON 80).

[4] Mit Beschluss vom 6. August 2021 (ON 85), D***** zugestellt am 10. August 2021 (ON 85 S 2), wies das Landesgericht Wiener Neustadt die angemeldete und nicht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 1 und 2 StPO zurück. Begründend verwies es darauf, dass der Rechtsmittelwerber die Nichtigkeitsbeschwerde nicht binnen der gemäß § 284 Abs 1 StPO vorgesehenen Frist von drei Tagen nach Urteilsverkündung angemeldet und die Nichtigkeitsgründe weder in der Anmeldung noch in der Ausführung bezeichnet habe.

[5] Mit (unjournalisierter) Eingabe vom 12. August 2021 erhob ***** D***** Beschwerde gegen den Beschluss vom (ersichtlich gemeint:) 6 . August 2021 und stellte überdies einen Antrag auf Wiedereinsetzung „zur Anmeldung der vollen Berufung“, die er unter einem nachholte. Weiters führte er die Berufung wegen Strafe aus.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde gegen den Beschluss (ON 85) auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde:

[6] Gemäß § 284 Abs 1 erster Satz StPO ist die Nichtigkeitsbeschwerde binnen drei Tagen nach Verkündung des Urteils anzumelden. Die Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde endete daher in Ansehung des am 4. Mai 2021 verkündeten Urteils mit Ablauf des 7. Mai 2021.

[7] Die Zurückweisung der (erst) am 8. Mai 2021 und solcherart verspätet angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde durch die Vorsitzende des Schöffengerichts erfolgte daher – entgegen der kein inhaltliches Vorbringen erstatte nden Beschwerde des Rechtsmittelwerbers – schon aus diesem Grund zu Recht.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung:

[8] Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur (hier) Anmeldung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (neben weiteren Voraussetzungen) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

[9] Die Strafprozessordnung macht keinen Unterschied, ob ein zur Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt, unterlaufen ist. Bei allen eigenen Fehlern des Verteidigers in der Handha b ung des Fristenwesens ist e ine Wiedereinsetzung in der Regel ausgeschlossen (RIS Justiz RS0101272 [T11]; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 28).

[10] Zur Wiedereinsetzung bedarf es einer Bescheinigung des Wiedereinsetzungsgrundes, bloße Behauptungen sind unzureichend (11 Os 17/97).

[11] A m letztgenannten Erfordernis mangelt es dem Antrag in Ansehung der Behauptung , die Anmeldung sei „wegen technischer Probleme“ erst am Samstag, den 8. Mai 2021, übermittelt worden.

[12] Soweit der Antrag überdies auf das Vorbringen gestützt wird, es sei nicht völlig ausgeschlossen, dass seitens der Verteidigerin „irrtümlich“ als letzter Tag der Frist der 8. Mai 2021 kalendiert wurde, ist die begehrte Wiedereinsetzung schon mangels Vorliegens eines Versehens bloß minderen Grades zu verweigern (erneut RIS Justiz RS0101272 [insbesondere T10 und T11]).

Zur Berufung und zur Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit (ON 65):

[13] Da die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits – rechtsrichtig, weil noch vor Einbringung des Wiedereinsetzungsantrags – durch das Erstgericht erfolgt e , war vom Obersten Gerichtshof nur mehr die ebenfalls nicht innerhalb von drei Tagen nach Urteilsverkündung und somit verspätet (§ 294 Abs 1 erster Satz iVm § 284 Abs 1 erster Satz StPO) angemeldete Berufung wegen Strafe sowie die solcherart ebenfalls verspätet eingebrachte (implizite) Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit zurückzuweisen (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2, 498 Abs 3 StPO; RIS Justiz RS0100229 [T3]).

[14] Gleichermaßen war d ie im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[15] Der Angeklagte trägt auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (§ 390a Abs 1 StPO).

Rückverweise