JudikaturOGH

8Ob119/21i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* T*, vertreten durch Breitenecker Kolbitsch Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. A* S*, vertreten durch Dr. Eric Heinke, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung (hier: wegen internationaler Zuständigkeit), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. August 2021, GZ 44 R 123/21w 46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 17. Februar 2021, GZ 2 C 20/20z 39, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es existiere noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, „ ob in Hinblick darauf dass im Gegensatz zu Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich fünf und sechs bei Spiegelstrich drei Brüssel IIa VO keine Mindestaufenthaltsdauer beim Antragsgegner vorgesehen ist, die Dauer des Aufenthalts auch unter sechs Monaten bzw wie im vorliegenden Fall auch nur vier Monate betragen kann “.

Rechtliche Beurteilung

[2] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen wird. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO):

[3] Die Bestimmung des Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa VO ist eindeutig, weshalb sich der Revisionsrekurs trotz Fehlens von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als nicht zulässig erweist (vgl RS0042656) und auch keine Notwendigkeit zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens besteht (vgl RIS Justiz RS0082949). Ihr Wortlaut lässt – anders als Art 3 Abs 1 lit a 5. und 6. Spiegelstrich Brüssel IIa-VO, die zusätzlich eine Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers im betreffenden Mitgliedstaat fordern – den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners im betreffenden Mitgliedstaat für die internationale Zuständigkeit von dessen Gerichten genügen. Aufgrund des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs ergibt die Auslegung der Bestimmung eindeutig, dass hier ein gewöhnlicher Aufenthalt ohne weiteres ausreicht. Auch die Literatur vertritt dies einheitlich ( Rauscher , Europäisches Zivilprozess und Kollisionsrecht 4 IV [2015] Art 3 Brüssel IIa VO Rz 34; Hausmann , Internationales und Europäisches Familienrecht 2 [2018] Kap A Rz 47, 70; Garber in Gitschthaler , Internationales Familienrecht [2019] Art 3 Brüssel IIa-VO Rz 56; Geimer in Zöller , ZPO 33 [2020] Art 3 EuEheVO Rz 4; Hüßtege in Thomas/Putzo , ZPO 42 [2021] Art 3 EuEheVO Rz 6 uva). Die Entscheidung des Rekursgerichts befindet sich damit im Einklang.

[4] Warum es – wie von der Revisionsrekurswerberin vertreten – „gleichheitswidrig“ sein soll, dass zur Begründung der internationalen Zuständigkeit nach Art 3 Abs 1 lit a 3. Spiegelstrich Brüssel IIa VO anders als in den Fällen des 5. und 6. Spiegelstrichs keine Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts vorliegen muss, erschließt sich dem Senat nicht. Die unterschiedliche Behandlung durch den Unionsgesetzgeber erklärt sich daraus, dass der Antragsteller – anders als der Antragsgegner – den Zeitpunkt der Antragstellung beeinflussen kann. Durch das Zusatzerfordernis einer Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts wird ein „forum shopping“ des Antragstellers zumindest erschwert, muss er sich, will er in einem bestimmten Mitgliedstaat zB Scheidungsklage erheben, hier doch unmittelbar davor bereits zumindest ein Jahr (5. Spiegelstrich) oder (ist er Staatsbürger dieses Landes) zumindest sechs Monate gewöhnlich aufgehalten haben (vgl Neumayr in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer , Internationales Zivilverfahrensrecht [Lfg Mai 2001] Art 2 EheGVVO Rz 11; Simotta in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 2 V/2 [2010] Art 3 EuEheKindVO Rz 140; Gottwald in Münchener Kommentar zum FamFG 3 II [2019] Art 3 Brüssel IIa VO Rz 19).

Rückverweise