4Ob92/21i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin mj A***** T*****, vertreten durch die Mutter R***** T*****, vertreten durch Mag. Michael Seeber, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Überprüfung der Zulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung nach § 7 Abs 1 EpiG, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 2. März 2021, GZ 2 R 38/21v 12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 15. Jänner 2021, GZ 16 Ub 1/21b 4, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die 2004 geborene Antragstellerin lebt bei ihrer Mutter in Völkermarkt und besuchte über die Weihnachtsfeiertage 2020 ihren Vater in Mürzzuschlag. Am 29. Dezember 2020 hatte sie Kontakt zu einem bestätigten COVID 19 Fall und zeigte grippeähnliche Symptome. Mit Bescheid vom 31. 12. 2020 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Bruck Mürzzuschlag die Absonderung der Antragstellerin im Haushalt ihres Vaters bis zum Erlass eines Aufhebungsbescheids an. Mit Bescheid vom 2. 1. 2021 hob die Bezirkshauptmannschaft die mit dem Vorbescheid wegen Krankheitsverdachts angeordnete Absonderung der Antragstellerin auf und ordnete ihre Absonderung wegen Krankheit – wiederum im Haushalt ihres Vaters – bis zur Anordnung der Aufhebung an.
[2] Mit Bescheid vom 6. 1. 2021 hob die Bezirkshauptmannschaft die mit Bescheid vom 2. 1. 2021 angeordnete Absonderung auf.
[3] Am 8. 1. 2021 – somit nach bereits erfolgter Aufhebung der Bescheide – begehrte die Antragstellerin , ihre mit den Bescheiden vom 31. 12. 2020 und vom 2. 1. 2021 ausgesprochene Absonderung für unzulässig, jedenfalls für unverhältnismäßig zu erklären, sie sofort aufzuheben und die Behörde zum Ersatz der Kosten zu verpflichten.
[4] Nach einer mündlichen Verhandlung erklärte das Erstgericht die Absonderung für unzulässig. Die Behörde habe sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Absonderung der minderjährigen Antragstellerin an ihrem Wohnort (und nicht rund 200 km davon entfernt) anzuordnen gewesen wäre.
[5] Das von der Bezirkshauptmannschaft angerufene Rekursgericht sprach aus, dass die mit den genannten Bescheiden verfügte Absonderung der Antragstellerin zulässig gewesen sei. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig, weil die Frage, unter welchen Umständen eine Absonderung iSd § 7 Abs 1a EpiG bei einem bloßen Krankheits- oder Ansteckungsverdacht zulässig sei, eine erhebliche Rechtsfrage bilde.
[6] Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die Antragstellerin die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts. Weiters regt sie an, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 7 Abs 1 EpiG sowie der VO „Anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020“ zu beantragten.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig , weil die im Rechtsmittel angesprochenen Rechtsfragen für die Entscheidung nicht präjudiziell sind.
[8] 1. § 7 Abs 1a des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG), BGBl 1950/186, lautete in der bis einschließlich 8. 4. 2021 geltenden Fassung gemäß BGBl I 2016/63:
[9] (1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des TuberkuloseGes beantragen. Jede Anhaltung, die länger als zehn Tage aufrecht ist, ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des § 17 des TuberkuloseGes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.‟
[10] 2. Mit auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B VG gestütztem Antrag an den Verfassungsgerichtshof begehrte der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 139/20x, § 7 Abs 1a Satz 2 EpiG idF BGBl I 2016/63, in eventu § 7 Abs 1a Satz 2 bis 4 EpiG idF BGBl I 2016/63, in eventu § 7 Abs 1a Satz 2 bis 4 EpiG idF BGBl I 2020/104 als verfassungswidrig aufzuheben.
[11] 3.1. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 10. 3. 2021, G 380/2020 ua, § 7 Abs 1a zweiter Satz des EpiG idF BGBl I 2016/63 wegen Verstoßes gegen Art 18 Abs 1 iVm Art 83 Abs 2 B VG als verfassungswidrig auf und beschloss gleichzeitig, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und die Anlassfallwirkung (nur) auf die bei ihm zu K I 13/2020, E 2375/2020 anhängige Rechtssache auszudehnen. Die Kundmachung dieses Erkenntnisses in BGBl I 2021/64 erfolgte am 8. 4. 2021; mit Ablauf dieses Tages ist die Aufhebung des § 7 Abs 1a zweiter Satz EpiG in Kraft getreten (§ 140 Abs 5 B VG).
[12] Gerichte und Verwaltungsbehörden sind grundsätzlich verpflichtet, ein durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenes Gesetz oder eine aufgehobene Verordnung weiterhin auf Tatbestände anzuwenden, die sich vor dem Außerkrafttreten des aufgehobenen Gesetzes oder der aufgehobenen Verordnung konkretisiert haben, sofern der Verfassungsgerichtshof nichts anderes ausgesprochen hat; soweit nach diesen Grundsätzen ein Gesetz (eine Verordnung) weiterhin anzuwenden ist, ist eine neuerliche Überprüfung dieses Gesetzes (der Verordnung) durch den Verfassungsgerichtshof ausgeschlossen (vgl 7 Ob 45/21z, Pkt 2.2. mwN).
[13] 3.2. Da im vorliegenden Fall die Antragstellung am 8. 1. 2021 vor Fassung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs über die Aufhebung des § 7 Abs 1a Satz 2 EpiG und vor deren Kundmachung erfolgte, ist hier § 7 Abs 1a EpiG einschließlich der nunmehr aufgehobenen Bestimmung seines zweiten Satzes anzuwenden.
[14] 4.1. Der Wortlaut des § 7 Abs 1a EpiG gewährt der angehaltenen Person ein Antragsrecht auf Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung. Einerseits wird das Antragsrecht nur der angehaltenen und nicht etwa der von einer Maßnahme nach dem EpiG betroffenen Person eingeräumt, andererseits ist der Antrag auch auf die Aufhebung der Freiheitsbeschränkung gerichtet. Daraus lässt sich ableiten, dass ein erfolgreiches Rechtsschutzbegehren die aufrechte Anhaltung voraussetzt, wäre doch sonst ein Antrag auf Aufhebung der Freiheitsbeschränkung sinnwidrig.
[15] 4.2. § 7 Abs 1a EpiG räumt den Antrag nach Maßgabe des 2. Abschnittes des TuberkuloseG ein. Die darin befindliche – hier relevante – Bestimmung des § 17 TuberkuloseG regelt die Beendigung der Anhaltung und sieht dafür in Abs 4 unter anderem vor, dass die angehaltene Person jederzeit bei Gericht beantragen kann, die Unzulässigkeit der Anhaltung auszusprechen. Aus § 17 Abs 6 TuberkuloseG lässt sich ableiten, dass die Rechtsfolge der Unzulässigerklärung die Beendigung der Anhaltung ist, wie sich dies auch aus der Überschrift zu § 17 TuberkuloseG „Beendigung der Anhaltung“ ergibt. Das erschließt sich auch aus dem letzten Satz des § 7 Abs 1a EpiG (arg „zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde“), der auf § 17 TuberkuloseG Bezug nimmt. Auch aufgrund des in § 7 Abs 1a EpiG enthaltenen Verweises auf das TuberkuloseG ergibt sich daher, dass der Rechtsschutz die aufrechte Anhaltung voraussetzt.
[16] 4.3. Der Umstand, dass andere Gesetze auch die nachträgliche Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen vorsehen (vgl § 19a HeimAufG, § 38a UbG), ändert nichts an diesem Ergebnis, zumal das EpiG eine derartige Regelung gerade nicht enthält und diesbezüglich auch keine planwidrige Lücke vorliegt.
[17] 4.4. Zusammenfassend ergibt sich daher, dass nach Beendigung der Absonderung der gerichtliche Rechtsschutz nach § 7 Abs 1a EpiG nicht möglich ist. Der gegenständliche Antrag auf (nachträgliche) Unzulässigerklärung der Anhaltung kann daher die im Rechtsmittel angestrebte stattgebende Entscheidung jedenfalls nicht tragen.
[18] 5. Die im Revisionsrekurs angesprochenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Anhaltung sind daher für die Entscheidung nicht präjudiziell. Fehlende Relevanz für die Entscheidung des zu beurteilenden Falls schließt aber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus (vgl 2 Ob 51/14k [Pkt 4]). Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.