JudikaturOGH

13Os70/21z – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** K***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. März 2021, GZ 42 Hv 5/21t 41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** K***** je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I) und der kriminellen Organisation nach § 278a (zu ergänzen) zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich in W*****

(I) als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB) Islamischer Staat (IS), bei der es sich um einen auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen handelt (US 4), der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), insbesondere Morde (§ 75 StGB), ausgeführt werden und dessen Ziel die Errichtung eines nach radikalislamischen Grundsätzen ausgerichteten Gottesstaats (Kalifat) ist, in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, wobei er sich als Anhänger des IS deklarierte und seine Chatpartner über einen Messaging-Dienst für diese terroristische Vereinigung anzuwerben oder sie in ihrem Entschluss, diese zu unterstützen, zu bestärken beabsichtigte, indem er

a) am 13. Oktober 2020 an ***** Ka***** ein 28 Sekunden langes Video verschickte, auf dem Kampfszenen mit teils schwerer Kriegsbewaffnung und drei Reitern mit einer wehenden schwarzen Fahne zu sehen waren und das mit einem im Urteil beschriebenen (US 5) Koranvers aus der vierten Sure in arabischen und englischen Schriftzügen versehen bzw gesanglich untermalt war, und

b) am 9. November 2020 an vier im Urteil namentlich genannte Personen (US 5) im Zuge von Einzelchats zwei jeweils 48 Sekunden lange Videos verschickte, die den Angeklagten beim Boxen sowie beim Bogenschießen zeigten und mit einem im Urteil beschriebenen Nasheed mit dem Titel Jundullah (Die Krieger Allahs) untermalt waren, sowie

(II) durch die zu I genannten Handlungen an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS), die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, in dem Wissen (US 5) als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (US 5).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Indem die Mängelrüge (Z 5) zu I und II – unter Wiedergabe einzelner Begründungspassagen (US 11) und durch Hervorhebung einer Formulierung („offenbar“) – behauptet, dem Urteil sei nicht deutlich zu entnehmen (Z 5 erster Fall), „aus welchen Gründen die Feststellung zur subjektiven Tatseite erfolgt“ sei, orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit der – im Übrigen keineswegs unklar gebliebenen – diesbezüglichen Entscheidungsgründe (US 11 f, siehe aber RIS-Justiz RS0119370).

[5] Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter bei den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite mit der Aussage des Zeugen ***** D***** zur Betreuung des Angeklagten im Rahmen eines Deradikalisierungsprogramms (ON 40 S 47 ff) sehr wohl auseinandergesetzt (US 10 iVm US 11 letzter Absatz). Indem sie aus dieser Zeugenaussage für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, bekämpft die Rüge die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[6] Die Feststellung, wonach es sich bei den vom Angeklagten versendeten Videos (I a und b) um Propagandamaterial des Islamischen Staates gehandelt hat (US 5), blieb – entgegen dem Rügevorbringen – keineswegs unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurde (insbesondere) auf die Aussage des Zeugen ***** H*****, die „martialische[n] Aufmachung“ der Videos und die Verwendung von spezifischen Texten gestützt (US 7 ff). Diese Ableitung ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Dass sie den Angeklagten nicht überzeugt, stellt den Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS-Justiz RS0098362).

[7] Soweit die Rüge in der isolierten Betrachtung der Textpassage, es bestehe „kein Zweifel daran, dass es sich um Propagandamaterial für den IS“ gehandelt habe (US 7), eine Scheinbegründung erblickt, übergeht sie die dargestellte Gesamtheit der dazu erfolgten Erwägungen der Tatrichter (erneut RIS-Justiz RS0119370, vgl im Übrigen RS0099494 [T7]).

[8] Mit ihren Mutmaßungen zu sportlichen Aktivitäten junger Menschen sowie zur Wirkung von Liedtexten im Allgemeinen erschöpft sich die Rüge abermals in einem unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung.

[9] Selbiges gilt für die Behauptung offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite, die zudem ein weiteres Mal die Gesamtheit der darauf Bezug nehmenden Entscheidungsgründe (US 6 ff [11 f]) außer Acht lässt.

[10] Entgegen dem Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) haben die Tatrichter die Angaben des Zeugen ***** H***** (ON 40 S 31 ff [32 f]) keineswegs in ihren wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben (US 9). Dass aus dem Beweisergebnis andere als die im Urteil gezogenen Schlüsse abzuleiten gewesen wären, kann unter dem Aspekt dieses Nichtigkeitsgrundes nicht geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0099431 [T13]).

[11] Das auf Z 5 vierter Fall gestützte Vorbringen, durch die Aussage des Zeugen H***** zur Übersetzung des Textes des Nasheeds Jundullah durch eine Dolmetscherin habe „eine namentlich nicht bekannte Dolmetscherin […] als Beweismittel in die Entscheidungsgründe Eingang gefunden“, ist unverständlich.

[12] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet zum Schuldspruch I und II, dass der „abgeurteilte Tatbestand […] weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht erfüllt“ sei, weil es sich bei den inkriminierten Videos nicht um IS Propaganda handle. Weiters releviert sie – unter Zitierung einer Passage der erstgerichtlichen Beweiswürdigung (US 12) – dass das Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) des Angeklagten, den IS durch seine Handlungen zu fördern, nicht „hinreichend deutlich“ festgestellt worden sei. Diese Vorbringen übergehen die diesbezüglichen Urteilskonstatierungen (US 4 ff, siehe aber RIS-Justiz RS0099810).

[13] Soweit die Rüge zu II das Fehlen von „ausreichenden Feststellungen zu den kriminellen Zielsetzungen der Organisation (insbesondere § 278a Z 2 und 3 StGB)“ moniert, orientiert sie sich ebenfalls nicht am Urteilssachverhalt, nämlich an den diesbezüglich konstatierten verba legalia samt deren Konkretisierung (vgl RIS-Justiz RS0119090 [T3]; zur objektiven Tatseite siehe US 4 – [insbesondere] terroristisch agierende salafistische Miliz mit tausenden Mitgliedern, Ziel der Errichtung eines „Gottesstaates“ [Kalifat], jahrelange Kontrolle von Teilen des irakischen und des syrischen Staates, Ausrichtung auf terroristische Straftaten [vor allem Morde], Verübung von Terroranschlägen in Europa, Asien und Afrika, Kampf gegen die Regierung im syrischen Bürgerkrieg; zur subjektiven Tatseite siehe US 3 und 5).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[15] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise