13Ns45/21b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Finanzstrafsache gegen ***** F***** wegen des Finanzvergehens des Abgabenbetrugs nach §§ 35 Abs 2, 39 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2015/118 sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 121 Hv 4/21a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Wien, AZ 31 Bs 113/21a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift übermittelt.
Text
Gründe:
[1] Mit Anklageschrift vom 10. März 2021 (ON 76) legt die Staatsanwaltschaft Wien ***** F***** als (richtig [ Lässig in WK 2 FinStrG Vor FinStrG Rz 11]) mehrere Finanzvergehen der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach § 35 Abs 2 FinStrG (1) und (richtig [RIS Justiz RS0130035, Lässig in WK 2 FinStrG § 38a Rz 3]) ein Finanzvergehen des Abgabenbetrugs nach §§ 35 Abs 2, 39 Abs 1 lit a, 11 dritter Fall FinStrG idF vor BGBl I 2015/118 (2 und 3) zu beurteilende Taten zur Last.
[2] Danach habe er durch in der Anklageschrift detailliert bezeichnete Verhaltensweisen in zahlreichen Angriffen, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung von Eingangsabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) durch falsche Angaben über den Warenwert in Zollanmeldungen bewirkt und in drei Fällen zu solchen Finanzvergehen anderer beigetragen, und zwar
(1) vom Oktober 2009 bis zum Dezember 2010 um 7.557,27 Euro sowie
(2 und 3) vom Jänner 2011 bis zum Juli 2015 um 64.164,21 Euro unter Verwendung (§ 11 erster Fall FinStrG) und in drei Fällen durch Erstellung (§ 11 dritter Fall FinStrG) falscher Beweismittel, wobei er die Hinterziehung von Eingangsabgaben zudem als Mitglied einer Bande (§ 38a Abs 1 lit a FinStrG) beging.
[3] Die Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien begründete die Staatsanwaltschaft nicht.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen die Anklageschrift erhob der Angeklagte am 31. März 2021 Einspruch (ON 78).
[5] Mit Beschluss vom 28. Mai 2021, AZ 31 Bs 113/21a, legte das Oberlandesgericht Wien – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4 und 7 StPO genannten Gründe – die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.
[6] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[7] Gemäß § 195 Abs 1 FinStrG gelten für das Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen die Bestimmungen der StPO, soweit in §§ 195 bis 247 FinStrG nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist.
[8] Mit dem 2. FORG BGBl I 2020/99 wurde betreffend die örtliche Zuständigkeit für das Hauptverfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen die am 1. Jänner 2021 in Kraft getretene Sondernorm des § 198 FinStrG eingeführt. Nach der Übergangsbestimmung des § 265 Abs 2f FinStrG tritt hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit (hier) des Gerichts für zum 31. Dezember 2020 bei diesem bereits anhängige Strafverfahren durch das Inkrafttreten des § 198 FinStrG keine Änderung ein.
[9] Nach § 198 Abs 1 erster Satz FinStrG ist für das Hauptverfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen primär jenes Gericht örtlich zuständig (§ 36 StPO), in dessen Sprengel der Beschuldigte (§ 48 Abs 1 Z 2 StPO) zum Zeitpunkt des Beginns des Strafverfahrens (§ 1 Abs 2 StPO) seinen Wohnsitz (§ 1 Abs 7 MeldeG) hatte oder davor zuletzt gehabt hatte.
[10] Maßgebender Zeitpunkt für die Zuständigkeitsbegründung durch (hier) Wohnsitz des Beschuldigten ist somit jener des Beginns des Strafverfahrens im Sinn des § 1 Abs 2 StPO. Nach dieser Norm beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) nach den Bestimmungen des zweiten Teils (§§ 91 bis 189) der StPO ermitteln. Im gerichtlichen Finanzstrafverfahren stehen dem Ermittlungen der Finanzstrafbehörde nach § 196 Abs 1 FinStrG gleich ( Lässig in WK 2 FinStrG § 198 Rz 1).
[11] Vorliegend begann das Hauptverfahren – im Sinn des § 36 Abs 3 StPO die Gerichtsanhängigkeit auslösend – am 12. März 2021 (§ 210 Abs 2 StPO, ON 1 S 31). Somit kommt die Neuregelung des § 198 FinStrG zur Anwendung.
[12] Die finanzstrafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Sinn des § 1 Abs 2 StPO begannen im Frühjahr 2018 (ON 1 S 1). Nach der Aktenlage ist der Angeklagte seit 2. Dezember 2016 in Innsbruck gemeldet (ON 2 S 135).
[13] Demnach hat – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das Oberlandesgericht Innsbruck über den Einspruch zu entscheiden (dazu RIS Justiz RS0124585).