5Ob141/21b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin S***** S*****, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die Antragsgegnerin G***** GmbH, *****, vertreten durch die Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. April 2021, GZ 38 R 13/21z 28, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 13. November 2020, GZ 7 Msch 11/19g 24, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit 335,64 EUR (darin enthalten 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Antragstellerin war vom 1. 3. 2014 bis 28. 2. 2018 Hauptmieterin der Wohnung Top Nr 1b im Erdgeschoß eines Hauses, das in einem Gründerzeitviertel liegt. Die Nutzfläche der Wohnung beträgt – wie im Mietvertrag angeführt – 32,36 m². Die Antragsgegnerin war die Vermieterin.
[2] Mit Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 5. 3. 2010 wurde der damaligen Eigentümerin des Hauses gemäß §§ 18, 18b, 18c und 19 MRG für den Zeitraum 1. 1. 2010 bis 31. 12. 2019 die Einhebung eines erhöhten monatlichen Hauptmietzinses im Ausmaß von 4,20 EUR zuzüglich zum monatlich anrechenbaren Hauptmietzins laut Blatt 3 dieser Entscheidung bewilligt.
[3] Das ca um 1890 errichtete Gebäude wurde im Jahr 2012 generalsaniert, es wurden sämtliche Raumeinteilungen und -widmungen in den einzelnen Geschoßen abgeändert, das Dachgeschoß aus und ein Lift eingebaut. Die von der Antragstellerin gemietete Wohnung Top Nr 1b wurde erst im Rahmen dieser Generalsanierung im Jahr 2012 neu geschaffen. Es kann nicht festgestellt werden, aus welchem (oder welchen) der im Blatt 3 der § 18 Entscheidung der Schlichtungsstelle gelisteten Mietobjekte die Wohnung Top Nr 1b hervorgegangen ist.
[4] Im Mietvertrag der Antragstellerin wurde ein Hauptmietzins von 297,39 EUR sowie ein Entgelt für mitvermietete Einrichtungsgegenstände zuzüglich Betriebskosten und Umsatzsteuer vereinbart. Im Vertrag ist aber zugleich festgehalten, dass anstelle des vereinbarten Hauptmietzinses „der gemäß §§ 18 ff MRG erhöhte Hauptmietzins für die Dauer des Verteilungszeitraums (das heißt voraussichtlich bis 31. 12. 2019) von 297,39 EUR zu entrichten“ ist.
[5] Die Antragstellerin begehrte die Überprüfung der Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses.
[6] Das Erstgericht sprach aus, dass die Antragsgegnerin durch Vorschreibung eines monatlichen Hauptmietzinses von netto 297,39 EUR im Zeitraum von 1. 3. 2014 bis 28. 2. 2019 gegenüber der Antragstellerin das gesetzlich zulässige Zinsausmaß um jeweils monatlich netto 123,62 EUR überschritten habe und die Gesamtüberschreitung netto 7.417,20 EUR betrage. Die Anträge auf Feststellung des zulässigen Hauptmietzinses zum Zeitpunkt des Beginns des Mietverhältnisses sowie auf Feststellung, dass die vertragliche Hauptmietzinsvereinbarung hinsichtlich des überhöhten Betrags unwirksam sei, wies das Erstgericht mangels eines rechtliche n Interesses ab. Der höchstzulässige Hauptmietzins sei nach § 16 Abs 2 MRG zu beurteilen. U nter Berücksichtigung werterhöhender oder wertmindernder Abweichungen vom Standard der mietrechtlichen Normwohnung und unter Berücksichtigung des 25%igen Befristungsabschlags betrage er zum Stichtag 24. 1. 2014 (Mietvertragsabschluss) 173,77 EUR. Eine Überwälzung des gemäß der Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 5. 3. 2010 nach § 18 MRG erhöhten Mietzinses komme nicht in Betracht. Die Wohnung Top Nr 1b sei erst nach dieser Entscheidung entstanden und es stehe nicht fest, aus welchen der in Frage kommenden Mietobjek te die Wohnung hervorgegangen sei. Damit liege keine Bewilligung zur Einhebung eines erhöhten Hauptmietzinses für diese Wohnung vor.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Vorschreibung eines den nach § 16 Abs 2 MRG zulässigen Hauptmietzins überschreitenden Betrags unter Berufung auf die im Jahr 2010 ergangene Entscheidung über die Erhöhung der Hauptmietzinse sei nicht zulässig. Die Erhöhung der Hauptmietzinse nach den §§ 18 ff MRG besteh e in einem – auf den Verteilungszeitraum befristeten – rechtsgestaltenden Eingriff der Schlichtungsstelle (bzw des Außerstreitgerichts) in den Mietvertrag. Mit der Entscheidung w ü rden die erhöhten Mietzinse für die einzelnen Mietobjekte für die Dauer des Verteilungszeitraums, ausgehend von den Verhältnissen zum Entscheidungszeitpunkt, endgültig festgelegt. Die Entscheidung nach §§ 18 ff MRG binde zwar nicht nur die am Verfahren Beteiligten, sondern auch die während des Verteilungszeitraums nachfolgenden Mieter und Vermieter der betroffenen Liegenschaft. Das Miet verhältnis geh e diesfalls in seiner konkreten Ausgestaltung und damit auch mit der rechtskräftigen Entscheidung nach §§ 18 ff MRG auf den Rechtsnachfolger des Eigentümers über. Ein derartiger Fall lieg e hier aber nicht vor. Die Wohnung sei erst nach Vorliegen der § 18 MRG-Entscheidung im Rahmen der Generalsanierung des Gebäudes im Jahr 2012 neu geschaffen worden und es steh e nicht fest, aus welchen Bestandobjekten die Wohnung Top Nr 1b hervorgegangen sei . Damit sei also nicht bloß der Eintritt in ein bestehendes, durch die Entscheidung nach §§ 18 ff MRG gestaltetes Mietverhältnis erfolgt , sondern es sei ein neu geschaffenes Objekt vermietet worden. Die ursprünglich vorhandenen Objekte seien durch die grundlegenden Umbauarbeiten untergegangen. Die Entscheidung aus dem Jahr 2010 k önne für den Mietvertrag über das nunmehrige Bestandobjekt – unabhängig davon, ob die der Wohnung zugeordnete Nutzfläche zur Gänze dem Altbestand entspricht – keine Wirkung entfalten.
[8] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob und in wie weit eine Entscheidung nach den §§ 18 ff MRG auch für einen Mietgegenstand gelten kann, der nach zwischenzeitlichem Umbau der Liegenschaft und Begründung von Wohnungseigentum neu vermietet wird.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der von de r Antragstellerin beantwortete Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 AußStrG) :
[10] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RIS Justiz RS0112921; RS0112769). Eine in der Zulassungsbegründung des Gerichts zweiter Instanz aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine nachfolgende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112921 [T5]).
[11] 2.1. In der dasselbe Gebäude betreffenden Entscheidung zu 5 Ob 56/21b vom 20. 5. 2021 hat der Fachsenat zu der vom Rekursgericht als relevant erachteten Rechtsfrage unter Rückgriff auf die zur Rechtskraftwirkung einer Entscheidung nach den §§ 18 ff MRG bestehenden Judikatur ausgesprochen, dass die Bindungswirkung einer solchen Erhöhungsentscheidung einem nachfolgenden Mieter gegenüber nur unter der Voraussetzung eintritt, dass er auch tatsächlich das den Gegenstand der Erhöhung bildende Bestandobjekt gemietet hat. Da das im Jahr 2017 auf fünf Jahre befristet vermietete Objekt nicht nur baulich umgestaltet, sondern durch einen „Anbau“ im Gesamtausmaß von 12 m ² deutlich erweitert worden war, kam der Senat zum Ergebnis, dass tatsächlich nicht mehr das in der Schlichtungsstellenentscheidung vom 5. 3. 2010 genannte Objekt vorlag , für das ein zulässiger erhöhter Hauptmietzins festgelegt worden war. Über eine Erhöhung des Hauptmietzinses nach §§ 18, 19 MRG für das 2017 vermietete Objekt habe die Schlichtungsstellenentscheidung nicht abgesprochen. Diese habe auf die tatsächlichen Verhältnisse, nämlich ein konkret bezeichnetes Mietobjekt abgestellt, das nun nach Wohnungseigentumsbegründung und Umbau/Zubau nicht mehr existiere.
[12] 2.2. In tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich der zu 5 O b 56/21b entschiedene Fall von dem hier vorliegenden Fall (nur) dadurch, dass dort ein „Anbau“ und die dadurch bedingte Erweiterung des Bestandobjekts und nicht die Neukonfiguration einer Wohnung durch einen nicht mehr nachvollziehbaren Umbau eines oder mehrerer anderer Objekte zu beurteilen ist. Das kann aber zu keinem anderen Ergebnis führen. Wie in der Entscheidung zu 5 Ob 56/21b ist auch im vorliegenden Fall die von der Antragstellerin tatsächlich angemietete Wohnung von der Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht erfasst; über die Erhöhung des Hauptmietzinses für dieses Mietobjekt hat die Schlichtungsstelle in ihrer Entscheidung vom 5. 3. 2010 nicht abgesprochen (vgl dasselbe Gebäude betreffend 5 Ob 142/21z [Änderung von Geschäftslokal in Wohnung mit deutlich geringerer Nutzfläche]).
[13] 3. Mit ihrem Argument, das gesamte Gebäude sei umfassend thermisch saniert worden, was zu einer Gebäude- und Energieeffizienzerhöhung im Sinn der Richtlinien 2010/31/EU (Gebäudeenergieeffizienz) und 2012/27/EU (Energieeffizienz) geführt habe, verstößt die Antragsgegnerin gegen das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot (RS0070485). Vorbringen zu thermischen Sanierungen hat sie im Verfahren erster Instanz nicht erstattet. Ob die ihr verwehrte Möglichkeit, den erhöhten Mietzins (gemeint offenbar: zur Deckung derartiger Energieeinsparungsmaßnahmen) einzuheben, eine Verletzung der Richtlinien bedeutete, ist daher nicht zu erörtern.
[14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Da die Antragstellerin in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit de s Revisionsrekurses nicht ausreichend hinweisen konnte , weil zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung zu 5 Ob 56/21b noch nicht publik war , entspricht es der Billigkeit, ihr die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zuzuerkennen ( RS0112921 [T6]).