JudikaturOGH

11Os69/21p – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Manuel L***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 25. März 2021, GZ 72 Hv 134/20s 70, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manuel L***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in der Zeit von Anfang 2020 bis Ende August 2020 in K***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich insgesamt zumindest 930 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von mindestens 296,67 Gramm Cokainbase (angenommener Reinsubstanzgehalt von 31,9 %, 19,78 fache Grenzmenge) durch wiederholte entgeltliche und gewinnbringende Einzelverkäufe dem abgesondert verfolgten Christof F***** überlassen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde.

[4] Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 3 StPO liegt nur vor, wenn in der dem Urteil vorangegangenen Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorsieht (RIS-Justiz RS0099128); eine analoge Anwendung auf andere, nicht in der taxativen Aufzählung enthaltene Bestimmungen ist ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0099118). Die vorliegende Rüge bezeichnet die „einzige“ und „nur rund 1 stündige“ Vernehmung des Angeklagten vor den Polizeibeamten sowie die Vernehmung zweier Belastungszeugen in (vermeintlich) durch Suchtgift beeinträchtigtem Zustand (s dazu US 9) – verbunden mit Spekulationen über möglicherweise durchgeführte Drogentests und Beweismittelunterdrückung durch die Beamten, gegen die „dem Vernehmen nach“ staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in einem anderen Verfahren eingeleitet worden seien – als nichtigkeitsbegründend. Sie lässt solcherart nicht erkennen, welche der in Z 3 genannten Gesetzesstellen in der Hauptverhandlung verletzt worden sein sollen, und geht damit ins Leere (RIS Justiz RS0116879) .

[5] Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 4 StPO einwendet, verfehlt sie den Bezugspunkt des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes, weil sie sich insoweit nicht auf einen in der Hauptverhandlung hiezu gestellten Antrag stützt (RIS Justiz RS0099244).

[6] Mit der gleichzeitig aufgestellten Behauptung, das Erstgericht habe es unterlassen, die erforderlichen Beweise von Amts wegen aufzunehmen, erhebt sie inhaltlich eine (überdies gegenüber Z 4 subsidiäre) Aufklärungsrüge (Z 5a), legt dabei jedoch nicht dar , wodurch der Angeklagte an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823).

[7] D er weiters angesprochene Antrag auf „Beischaffung und Verlesung der Parallelakten“ wurde – nach den jeweils unbeanstandet gebliebenen Protokollen (vgl ON 53, 62 und 69) – vom Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht gestellt. Insoweit entzieht sich die Verfahrensrüge damit einer inhaltlichen Erwiderung.

[8] Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen kann unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt der Anfechtung besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaub haftigkeit oder Unglaubhaftigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende – für die Schuld- oder Subsumtionsfrage bedeutsame – Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T2, T4]).

[9] Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht habe sich mit Widersprüchen in den Angaben des Zeugen F***** einerseits und den Angaben der Zeugen H*****, K***** und P***** andererseits zur Frage, ob F***** die Rolle des Angeklagten als seine Suchtgift-Bezugsquelle gegenüber diesen Zeugen offengelegt hat, nicht auseinandergesetzt, beschränkt sich hingegen allein auf das Referat der betreffenden Aussageninhalte. Er lässt jedoch offen, weshalb und in welcher Hinsicht diese Differenzen die Glaub haftigkeit von F***** und H***** in Bezug auf entscheidende Tatsachen (dazu RIS-Justiz RS0117264, RS0117499) – insbesondere auf die (vo n F***** gar nicht bestrittene) Tatsache, dass er vom Angeklagten Suchtgift bezog, und die Frage, um welche Mengen es sich dabei handelte – betreffen sollte.

[10] Weshalb die Tatrichter einzelnen von mehreren widersprechenden Angaben des Zeugen F***** Glauben schenkten, haben diese ausführlich erörtert (US 6). Der hiezu erhobene Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) ist daher unberechtigt.

[11] Soweit die Rüge sich mit den Angaben der Zeugen P*****, H*****, K*****, R***** und A***** auseinandersetzt, darlegt, weshalb F***** vom Angeklagten drei Tage vor seiner Verhaftung keinesfalls 40 Gramm Kokain übernommen haben könne, einwendet, es sei insbesondere im Hinblick auf das Fehlen spezieller Utensilien wie Reibe, Keil oder einer Waage unklar, in welcher Form der Angeklagte das verfahrensgegenständliche Suchtgift vertrieben haben soll und woher er diese großen Mengen selbst bezogen haben könnte, und weiters zur Schlussfolgerung gelangt, dass auch die unzureichenden Ergebnisse der Telefonüberwachung „abermals für die Schuldlosigkeit des Angeklagten“ sprächen, stellt sie ausschließlich eigene beweiswürdigende Erwägungen an und verfehlt solcherart den Bezugspunkt der – mangels gesonderter Ausführung im Übrigen prozessordnungswidrig (vgl RIS-Justiz RS0115902) – angesprochenen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 5a (RIS-Justiz RS0098471 [T1], RS0100555).

[12] Gleiches gilt für die aus einer isolierten Betrachtung einzelner Verfahrensergebnisse sowie mittels einer „mathematischen Prüfung“ eigenständig abgeleitete Berechnung der gegenständlichen Suchtgiftmengen; das hiezu erstattete Vorbringen verkennt zudem, dass der Zweifelsgrundsatz niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein kann (RIS-Justiz RS0102162).

[13] Die von der Beschwerde behaupteten Widersprüche zwischen den Angaben der Zeugen D*****, F***** und Ha***** zur wiederholten Zwischenlagerung von Suchtgift in der Wohnung des D***** und zur Beobachtung einer Suchtgiftübergabe des Angeklagten an F***** durch den Zeugen Ha***** betreffen keine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0106268, RS0117264); der diesbezüglich ersichtlich erhobene Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) geht damit ins Leere. Dies gilt ebenso für die Angaben der Zeugin R***** zum Ort einer Suchtgiftübergabe durch den Zeugen F*****.

[14] Auch die abschließende Kritik, das Erstgericht habe „kurzerhand von jeder der vorliegenden Aussagen nur den de[n] Angeklagten belastenden Teil herausgefiltert“, in unvertretbarer Weise dem schwer drogensüchtigen F***** bzw den belastenden, kein einheitliches Bild ergebenden und teilweise bloß auf Hören-Sagen beruhenden Angaben weiterer Zeugen Glaubwürdigkeit zugebilligt und in Bezug auf die Mengenberechnung „im Zweifel zu Lasten des Angeklagten“ eine auf einer „Milchmädchenrechnung der ermittelnden Polizeibeamten“ aufbauende Durchschnittsberechnung angestellt, statt F***** die Glaubwürdigkeit abzuerkennen, dient im Ergebnis erneut allein der unzulässigen Bekämpfung des Schuldspruchs nach Art einer – im schöffengerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen – Schuldberufung. Solcherart vermag sie auch nicht, erhebliche Bedenken im Sinn einer lediglich gegen unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung zu richtenden Tatsachenrüge (Z 5a) aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0118780).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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