JudikaturOGH

8ObA55/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. T*, vertreten durch Krall Kühnl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 23. Juni 2021, GZ 13 Ra 24/21h 22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin ist seit 1. 4. 2010 bei der b eklagten Universität beschäftigt, zuletzt als Fachärztin für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie. Nach der Geburt ihres Kindes am 7. 10. 2017 befand sie sich ab 11. 10. 2018 in einer Teilzeitbeschäftigung gemäß § 15h MSchG. Mit Schreiben vom 27. 6. 2019, bei der Klägerin eingelangt am 28. 6. 2019, kündigte die Beklagte d as Dienstverhältnis zum 30. 9. 2019 auf.

[2] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren auf Feststellung, dass das Dienst verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten über den 30. 9. 2019 hinaus unverändert aufrecht besteht, übereinstimmend statt .

[3] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage i m Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Wird während der Teilzeitbeschäftigung ohne Zustimmung des Dienstgebers eine weitere Erwerbstätigkeit aufgenommen, kann der Dienstgeber nach § 15n Abs 3 MSchG binnen acht Wochen ab Kenntnis entgegen § 15n Abs 1 und 2 MSchG eine Kündigung wegen dieser Erwerbstätigkeit aussprechen.

[5] Innerhalb des sogenannten Kündigungsfensters von acht Wochen ab Kenntnis von der ohne seine Zustimmung aufgenommenen Erwerbstätigkeit kann der Dienstgeber daher ohne Einschränkungen durch den besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz, also ohne die vorherige Zustimmung des Gerichts einholen zu müssen oder insoweit der Gefahr einer Kündigungsanfechtung ausgesetzt zu sein, eine Kündigung der Dienstnehmerin aussprechen ( Wolfsgruber Ecker in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 15n MSchG Rz 6 ff).

[6] 2.1 Nach den Feststellung en wussten sowohl der Rektor der Beklagten als auch der Leiter der Organisationseinheit, der die Klägerin zugewiesen ist, bereits seit Dezember 2018, dass die Klägerin zumindest seit 13. 11. 2018 eine selbständige Nebentätigkeit in Form von plastisch-chirurgischen und ästhetischen Behandlungen ausübte und nicht nur eine diesbezügliche Absicht hatte.

[7] 2.2 Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass damit (auch) dem Rektor die Aufnahme der weiteren Erwerbstätigkeit der Klägerin ohne Zustimmung der Beklagten so zeitgerecht bekannt war, dass das achtwöchige Kündigungsfenster des § 15n MSchG zum Zeitpunkt der tatsächlichen Kündigung am 27./28. 6. 2019 bereits (wegen Zeitablaufs) „geschlossen“ und die Kündigung daher ohne Zustimmung des Gerichts unzulässig war, setzt die Beklagte nichts Stichhältiges entgegen.

[8] 2.3 Es kommt, wie die Revisionswerberin selbst erkennt, nicht darauf an, welche Nebenbeschäftigung die Klägerin vor Beginn ihres Mutterschutzes im Jahr 2017 der Beklagten gemeldet hat. Am 8. 11. 2018 gab sie – wie festgestellt – der Personalabteilung jedenfalls die Nebenbeschäftigung „plastisch chirurgisch und ästhetische Behandlungen“ als „selbständige Tätigkeit“ mit „Beginndatum 13. 11. 2018“ bekannt. Damit hat die Klägerin die gemeldete Nebenbeschäftigung aber gerade nicht auf eine Tätigkeit in ihrer eigenen (am 1. 11. 2018 eröffneten) Ordination eingeschränkt. Die selbständige Tätigkeit einer praktizierenden Chirurgin umfasst ja gerade auch Operationen, die nicht im niedergelassenen Bereich, sondern nur in stationären Einrichtungen (Krankenhäusern) durchgeführt werden können. Dass das zum vollen Spektrum der privaten Tätigkeit als Fachärztin für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie gehört, zeigt sich nicht zuletzt an den Protokollen über die vom Klinikleiter mit der Klägerin zum Thema „Untersagung der beantragten Nebenbeschäftigung durch das Rektorat“ geführten Mitarbeitergespräche vom 21. 2. 2019 und 21. 3. 2019. Darin wird festgehalten, dass „durch operative Tätigkeiten als Belegärztin in privaten Spitalseinrichtungen … die Konkurrenzklausel verletzt“ wird.

[9] Von einer wesentlichen Änderung der bekanntgegebenen Nebentätigkeit wegen der „Führung von Belegsbetten“ kann daher entgegen der Meinung der Beklagten nicht die Rede sein.

[10] 2.4 Da nach den Feststellungen der Rektor selbst seit Dezember 2018 Kenntnis von der weiteren Erwerbstätigkeit der Klägerin hatte, kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagten auch – wovon das Berufungsgericht ausgeht – die Kenntnis des Klinikleiters zuzurechnen ist. Das Berufungsgericht stützte sich zu dieser Frage in erster Linie auf eine Bestimmung im Organisationsplan der Beklagten, der die Ausübung der unmittelbaren Dienst- und Fachaufsicht über das der Organisationseinheit zugewiesene Personal den Klinikleitern überantwortet. Dass das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung zusätzlich auf eine damit korrespondierende Regelung in einem – in erster Instanz nicht weiter thematisierten – Zusammenarbeitsvertrag zwischen der Beklagten und der T* GmbH verwiesen hat, begründet jedenfalls keine Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.

[11] 2.5 Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe sich nach Abgabe der Absichtsmeldung verschwiegen, sich später aber auf Kenntnis der Beklagten und Verfristung der Kündigung berufen, ihr Verhalten verstoße somit gegen das Verbot des „venire contra factum proprium“ (vgl zu diesem Missbrauchstatbestand: RS0128483), ist nicht nachvollziehbar. Vor allem erschließt sich nicht, durch welches Verhalten die Klägerin den Eindruck erweckt haben soll, die Rechtsunwirksamkeit bzw Verspätung der Kündigung nach MSchG nicht (mehr) geltend machen zu wollen. Ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin liegt nicht vor. Immerhin war die Untersagung der durch die Klägerin ausgeübten Nebenbeschäftigung seit der Stellungnahme des Klinikleiters vom 19. 11. 2018 (die insbesondere auf die zu diesem Zeitpunkt bereits „vollzogen[e]“ Praxiseröffnung samt dem dazugehörigen Internetauftritt der Klägerin Bezug nimmt) sowie der sich den Inhalt dieser Stellungnahme explizit zu eigen machenden Stellungnahme des Rektors vom 21. 12. 2018 bis zum Ausspruch der Kündigung am 27./28. 6. 2019 bzw der Klagseinbringung am 3. 7. 2019 zwischen den Parteien durchgehend umstritten.

[12] 3.1 Im Übrigen versucht die Beklagte, sich noch im Revisionsverfahren der sie belastenden Feststellungen zu entledigen, wonach ihr Rektor bereits seit Dezember 2018 Kenntnis von der Ausübung der Nebenbeschäftigung durch die Klägerin hatte, indem sie die Nichtigkeit, in eventu die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen nicht ordnungsgemäßer Erledigung ihrer Beweis- und Verfahrensrüge geltend macht.

[13] 3.2 Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mängelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043150).

[14] Hier hat sich das Berufungsgericht – neben formalen Argumenten – ausführlich damit auseinandergesetzt, warum es an den von der Beklagten bekämpften Feststellungen keine Bedenken hegt. Ob die dabei angestellten Überlegungen richtig oder fehlerhaft sind, fällt in den Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung (RS0043371 [T12 und T15]).

[15] 3.3 Bereits vom Gericht zweiter Instanz verneinte Verfahrensmängel können in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963), außer das Berufungsgericht hat infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen (RS0042963 [T52]). Das ist hier nicht der Fall.

[16] Das Berufungsgericht hat der wegen des Unterbleibens der Einvernahme des Rektors erhobenen Verfahrensrüge der Beklagten entgegengehalten, dass sie nicht ausgeführt hat, welche für sie günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (vgl RS0043039). Auf diese Beurteilung geht die Beklagte in ihrer Revision aber gar nicht ein.

[17] 4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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