3Ob54/21v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei V*****GmbH, *****, vertreten durch Mag. Gerold Schwarzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei D*****, wegen 286.300,47 EUR sA und 41.219,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Februar 2021, GZ 1 R 168/20m 26, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die klagende und widerbeklagte Baugesellschaft (fortan: Klägerin) hat den beklagten und widerklagenden Rechtsanwalt (fortan: Beklagter) in den Jahren 2012 bis 2017 in mehreren Gerichtsverfahren mit ihrer Vertretung beauftragt, wobei diese Aufträge – fast ausschließlich Passivprozesse – jeweils einzeln erteilt wurden und kein Gesamtauftrag vorlag.
[2] Im Mai 2009 hatte die Klägerin als Generalunternehmerin die Errichtung eines Doppelwohnhauses in Österreich für eine – deutsche – Bauherrschaft übernommen. Im Jahr 2012 beauftragte die Klägerin den Beklagten mit ihrer Vertretung in einem Verfahren gegen einen bei diesem Projekt tätig gewesenen Subunternehmer, der von der Klägerin den Werklohn einforderte. Der Beklagte wies die Klägerin von Anfang an darauf hin, dass Bauherrn bei erheblichen Mängeln einen Teil des Werklohns zurückbehalten können und dann die Gefahr eines Verjährungseinwands bestehe. Auch bei einer Besprechung im Oktober 2016 wies der Beklagte auf das Problem der möglichen Verjährung der Werklohnforderung der Klägerin gegen die Bauherrschaft hin.
[3] Die vom Beklagten entsprechend dem Wunsch und über ausdrücklichen Auftrag der Klägerin im Mai 2017 beim Landesgericht Salzburg eingebrachte Werklohnklage gegen die in Deutschland ansässige Bauherrschaft wurde wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen. Der Klägerin war bei Klagseinbringung bewusst, dass die Werklohnforderung gegenüber der Bauherrschaft bereits verjährt und das Landesgericht Salzburg unzuständig sein könnte.
[4] Die Klägerin begehrte vom Beklagten Schadenersatz wegen fehlerhafter Vertretungs- und Beratungsleistungen in Höhe ihrer restlich offenen Werklohnforderung sowie der Kosten der zurückgewiesenen Klage.
[5] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, er sei zunächst über die Einzelheiten zur offenen Werklohnforderung der Klägerin nicht informiert gewesen. Er habe die Problematik der Verjährung mit der Klägerin mehrfach erörtert und insoweit keine Sorgfaltspflichten verletzt. Mit seiner Widerklage begehrte der Beklagte von der Klägerin sein Honorar für auftragsgemäß erbrachte Leistungen.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und gab der Widerklage statt. Der Schaden der Klägerin sei nicht Folge von Vertretungsfehlern des Beklagten. Seine Honorarforderungen seien berechtigt.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Beklagte sei im Rahmen des ihm erteilten Mandats für den Passivprozess des Subunternehmers nicht verpflichtet gewesen, Fragen des Aktivanspruchs der Klägerin gegenüber ihrer Auftraggeberin zu prüfen. Mit der mehrfachen Thematisierung des Zurückbehaltungsrechts und der Verjährungsproblematik sei der Beklagte allfälligen nebenvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten hinreichend nachgekommen. Die Frage der Verjährung der Werklohnforderung der Klägerin sei im Übrigen infolge umfangreicher Mängel und der Behebungsarbeiten schwierig zu klären gewesen.
[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[10] 1. Die Frage, wie weit die Aufklärungs- und Belehrungspflicht eines berufsmäßigen Parteienvertreters reicht und ob er die gebotene Sorgfalt eingehalten hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (vgl RS0023549 [T16], RS0023526 [T16], RS0026584 [T17, T21]). Bei der Beurteilung dieser Frage müssen auch der Auftrag und das im Einzelfall davon betroffene Geschäft berücksichtigt werden. Welche konkreten Pflichten aus den von der Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich daher immer nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalls (2 Ob 196/19s mwN).
[11] 2. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Anwalts nicht überspannt und von ihm nur der Fleiß und die Kenntnis verlangt werden, die seine Fachkollegen gewöhnlich haben (RS0026584 [T1 und T4]); dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber selbst rechtskundig ist (RS0026584 [T6]). Das Ausmaß der Belehrung richtet sich dabei unter anderem nach den offenbaren Kenntnissen der Parteien sowie einer allfälligen rechtskundigen Vertretung und hängt demnach ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, weshalb auch insoweit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RS0026584 [T19]).
[12] 3. Der Auftrag an den Beklagten betraf zunächst nur die Vertretung in dem vom Subunternehmer gegen die Klägerin angestrengten Passivprozess. Dabei hat der Beklagte die Klägerin ohnehin von Anfang an und mehrfach darauf hingewiesen, dass Bauherrn bei erheblichen Mängeln einen Teil des Werklohns zurückbehalten können und dann die Gefahr eines Verjährungseinwands bestehe. Schließlich verfügte die Klägerin in ihrer Sphäre mit dem Vertragsjuristen ihrer Muttergesellschaft auch über juristische Expertise. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage keine weitergehende Verpflichtung des Beklagten zur noch eindringlicheren Warnung vor einer drohenden Verjährung angenommen hat, dann ist es – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht von den wiedergegebenen Judikatur grundsätzen zur anwaltlichen Belehrungs- und Sorgfaltspflicht abgewichen. Die von der Klägerin dagegen ins Treffen geführte Entscheidung 2 Ob 224/97y betraf einen in entscheidungswesentlichen Punkten anders gelagerten Sachverhalt und eine allgemeine Aussage dahin, dass ein Hinweis auf die drohende Verjährung jedenfalls schriftlich erfolgen müsse, ist dieser Entscheidung ebenfalls nicht zu entnehmen.
[13] 4. Auch eine fehlende oder falsche Belehrung des Beklagten über die mögliche internationale (Un )Zuständigkeit für die Werklohnklage gegen die deutsche Bauherrschaft ist den – bindenden – erstgerichtlichen Feststellungen nicht zu entnehmen. Vielmehr war der Klägerin bei Klagseinbringung bewusst, dass die Werklohnforderung gegenüber der Bauherrschaft bereits verjährt und das Landesgericht Salzburg unzuständig sein könnte. Die trotz der vom Beklagten thematisierten Problematik der Verjährung und der Zuständigkeit vorgenommene Klagseinbringung erfolgte entsprechend dem Wunsch und dem Auftrag der Klägerin in der Hoffnung auf einen Vergleichsabschluss.
[14] 5. Die Berechtigung der Widerklage (Honorarforderungen des Beklagten gegen die Klägerin) wird in der außerordentlichen Revision nicht mehr in Zweifel gezogen.
[15] 6. Die Klägerin zeigt damit insgesamt das Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf; dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichartigen oder hinreichend ähnlichen Fall fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0107773 [T4]; RS0110702 [T2]).