9Ob34/21x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des P*****, vertreten durch Dr. Helmut Heiger, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. Jänner 2021, GZ 45 R 551/20t, 45 R 552/20i 181, mit dem dem Rekurs des Betroffenen gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. November 2020, GZ 25 P 5/20z 159, und vom 20. November 2020, GZ 25 P 5/20z 161, nicht Folge gegeben wurde, dem Rekurs des gerichtlichen Erwachsenenvertreters dagegen Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts über die Rekurse des Betroffenen und des gerichtlichen Erwachsenenvertreters gegen die Entscheidung des Erstgerichts vom 12. November 2020 (ON 159) und der Beschluss des Erstgerichts vom 12. November 2020 (ON 159) werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
[1] Nachdem bereits zuvor mehrfach von Behörden angeregte Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für den Betroffenen eingestellt worden waren, regte 2019 die Magistratsabteilung für Soziales, Gesundheits- und Sozialrecht (MA 40) die Einleitung eines Erwachsenenschutzverfahrens für den Betroffenen an, weil es immer wieder zu Mietzinsrückständen komme, der Betroffene jede Beratung verweigere und der Verlust der Wohnung drohe.
[2] Mit Beschluss vom 5. 5. 2019 (ON 84) bestellte das Erstgericht, nachdem der Betroffene die Teilnahme an einem Clearing und die Erstanhörung verweigert hatte, einen einstweiligen Erwachsenenvertreter für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie für die Einkommens und Vermögensverwaltung.
[3] Mit Beschluss vom 12. 11. 2020 (ON 159) bestellte das Erstgericht d en einstweiligen Erwachsenenvertreter zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter gemäß § 271 ABGB für folgende Angelegenheiten: Vertretung in Angelegenheiten der Wohnungssicherung (insbesondere durch Zahlung des Mietzinses, der Fixkosten, der Haushaltsversicherung und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Verfügung über das Girokonto). Mit Beschluss vom 20. 11. 2020 (ON 161) wies das Erstgericht den Antrag des Erwachsenenvertreters ab, seinen Wirkungskreis dahingehend zu er weitern , dass er auch berechtigt sei, über die Pension des Betroffenen zu verfügen.
[4] Es stellte da zu fest, dass sich beim Betroffenen im Langzeitverlauf Auffälligkeiten im Denken, im Verhalten, der Beziehungsgestaltung und in den Problemlösestrategien fänden. In den Unterlagen werde eine akzentuierte Persönlichkeit, andererseits auch der Verdacht auf einen Alkoholmissbrauch angeführt. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens zeigten sich psychopathologische Hinweise auf eine spezifische Persönlichkeit bzw einer psychiatrischen Störung mit Krankheitswert. Die psychopathologischen Auffälligkeiten seien fachbezogen rezidivierend oder chronisch verlaufend. Es lägen Symptome einer akzentuierten Persönlichkeit vor, Kritik und Urteilsfähigkeit seien inhaltsbezogen schwankend. Eine Einkommensverwaltung sei lediglich zur Sicherung der Bezahlung der Wohnung notwendig.
[5] Es könne nicht festgestellt werden, aus welchem Grund der Betroffene seine Miete immer wieder nicht bezahle. Selbst durch die Einrichtung eines Dauer bzw Einziehungsauftrags könne nicht sichergestellt werden, dass er die Mieten weiterhin regelmäßig bediene und sohin der Gefahr der Obdachlosigkeit entgehe.
[6] Rechtlich führt das Erstgericht aus, dass aufgrund der beschriebenen Erkrankung, die einer psychischen Krankheit nach § 271 ABGB entspreche, der Betroffene nicht in der Lage sei, die genannten Tätigkeiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen.
[7] Das Erstgericht ging weiters davon aus, dass durch den beschriebenen Aufgabenkreis es dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter möglich sei, über alle auf dem Girokonto des Betroffenen einlangenden Zahlungen im erforderlichen Ausmaß zu verfügen. Daher wies es den Antrag des Erwachsenenvertreters ab, seinen Wirkungsbereich dahingehend zu ergänzen, dass er auch über das Girokonto des Betroffenen verfügen könne.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen gegen diese Beschlüsse nicht, dem Rekurs des Erwachsenenvertreters gegen die Abweisung seines Antrags jedoch Folge und erweiterte bzw präzisierte die Befugnisse des Erwachsenenvertreters auf die Vertretung in Angelegenheiten der Wohnungssicherung, insbesondere durch Zahlung des Mietzinses, der Fixkosten, der Haushaltsversicherung und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Verfügung über das Girokonto, über die Pensionseinnahmen und über die Mietbeihilfe, sowie durch Stellung von Anträgen zur Verlängerung der Mietbeihilfe. Der Beschluss ON 161 wurde ersatzlos aufgehoben. Der Betroffene habe aufgrund von psychischen Beeinträchtigungen wiederholt über einen längeren Zeitraum keinen Mietzins bezahlt, weshalb ein Wohnungsverlust unmittelbar bevorgestanden sei. Hinsichtlich dieses Problems weise er eine Realitätsverweigerung und fehlende Kooperation auf. Damit seien die Voraussetzungen nach § 271 ABGB erfüllt. Um dem Erwachsenenvertreter die Bezahlung der Miete zu ermöglichen, müsse er aber auch über das Pensionseinkommen des Betroffenen verfügen können. Der Wirkungsbereich sei daher entsprechend zu erweitern und zu verdeutlichen.
[9] Der Revisionsrekurs wurde vom Rekursgericht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zugelassen.
[10] Gegen diesen Beschluss, soweit damit der Beschluss ON 159 im Wesentlichen bestätigt wurde, richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen mit dem Antrag, die Beschlüsse aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des d iesem Antrag immanten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] Nach § 239 Abs 1 ABGB idF 2. ErwSchG ist im rechtlichen Verkehr dafür Sorge zu tragen, dass volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, möglichst selbständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, ihre Angelegenheiten selbst besorgen können. Nach § 240 Abs 1 ABGB idF 2. ErwSchG kommt eine Teilnahme dieser Personen am Rechtsverkehr durch einen Vertreter nur dann in Betracht, wenn dies zur Wahrung ihrer Rechte und Interessen unvermeidlich ist.
[13] § 271 ABGB idF 2. ErwSchG setzt für die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters – soweit hier interessierend – nach Z 1 voraus, dass eine volljährige Person bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann.
[14] Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters müssen konkret und begründet sein und müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder die vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Schutzbedürftigkeit – also die Gefahr eines Nachteils – beziehen ( Barth/Ganner in Barth/Ganner [Hrsg], Handbuch des Erwachsenenschutzrechts 3 [2019], 764 mwN). Das Vorliegen einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung reicht für sich allein nicht als Grund für eine Bestellung eines Erwachsenenvertreters. Es kommt vielmehr darauf an, ob die psychisch kranke oder vergleichbar in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigte Person bestimmte Angelegenheiten „nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen“ vermag.
[15] Um dies im vorliegenden Fall beurteilen zu können, reichen die erstgerichtlichen Feststellungen jedoch nicht aus. Einerseits steht fest, dass beim Betroffenen Symptome einer akzentuierten Persönlichkeit vorliegen und Kritik und Urteilsfähigkeit inhaltsbezogen schwankend sind. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, inwieweit aus diesen Defiziten die Gefahr eines Nachteils für den Betroffenen resultiert.
[16] Zwar ergibt sich aus dem Verfahrensablauf, dass der Betroffene immer wieder Mieten nicht bezahlt hat, wodurch ihm auch wiederholt die Delogierung drohte. Dass dieses Verhalten des Betroffenen aus seiner Erkrankung resultiert, lässt sich den Feststellungen aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Richtig verweist der Revisionsrekurs darauf, dass allein der Umstand, dass Schulden vom Betroffenen nicht abgedeckt werden, nicht die Schlussfolgerung zul ässt , dass er nicht in der Lage ist, die Konsequenzen seines Handelns zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Tatsächlich ist es dem Betroffenen auch in der Vergangenheit immer wieder gelungen, durch Ratenzahlung bzw Mietbeihilfen eine Räumung abzuwenden, dies auch schon vor Bestellung eines Erwachsenenvertreters. Auch hält das Erstgericht ausdrücklich fest, dass nicht festgestellt werden könne, warum der Betroffene keine Miete bezahlt. Es ist daher im fortgesetzten Verfahren festzustellen , ob und inwieweit ein Zusammenhang zwischen allfälligen psychischen Beeinträchtigungen und dem drohenden Wohnungsverlust des Betroffenen besteht.
[17] Auch wenn durch das unkooperative Verhalten des Beklagten die zur Klärung erforderlichen Erhebungen erschwert sind, ist es nicht Sache des Beklagten „zu beweisen, dass er kooperiert“, sondern kann die Bestellung eines Erwachsenenvertreters nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erfolgen.
[18] Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im bekämpften Umfang zur Ergänzung der entsprechenden Tatsachengrundlage aufzuheben.