9Ob18/21v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch die Sluka Hammerer Tevini Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei E***** F*****, vertreten durch Berlin Partner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Duldung (Streitwert: 21.800 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. Februar 2021, GZ 6 R 157/20f 43, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die in der außerordentlichen Revision des Klägers geltend gemachten Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Das Erstgericht stellte fest, dass auf der Liegenschaft der Beklagten zumindest seit 1964 zunächst private und später auch gewerbliche Veranstaltungen (zB Hochzeiten) stattfanden, die entweder durch die Beklagte und deren Angehörige oder durch externe Veranstalter abgehalten wurden. Die rechtliche Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, manche dieser Veranstaltungen würden sich an einen unbestimmten Personenkreis richten, stellt weder eine Aktenwidrigkeit dar (RS0043256), noch wurde damit gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen (RS0043093). Dass sich alle Veranstaltungen nur an einen geschlossenen und dem Veranstalter bekannten Personenkreis richten, hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren ohnehin nicht behauptet (§ 504 Abs 2 ZPO). Die Frage, ob verlässliche Sachverhaltsfeststellungen ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen werden können, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RS0043320 [T9, T11]). Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Dies ist hier nicht der Fall.
[2] 2. W erden im Servitutsbestellungsvertrag – wie hier – Ausmaß und Umfang des eingeräumten Geh- und Fahrtrechts nicht näher festgelegt, so liegt eine ungemessene Servitut vor (RS0011741 [T6]; RS0011752 [T2]). Deren Umfang richtet sich, ebenso wie die Art der Ausübung, nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist (RS0011720). Maßgebend ist dabei das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Guts unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bewirtschaftungsart sowie der vorhersehbaren Art der Ausübung (RS0016368; RS0097856). Die Auslegung eines Dienstbarkeitsbestellungsvertrags ist stets eine Frage des Einzelfalls (RS0011720 [T7]), die im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage begründet. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen der Grundsätze dieser Rechtsprechung.
[3] 3. Im schriftlichen Dienstbarkeitsbestellungsvertrag aus dem Jahr 1963 wird das der Beklagten auf dem Grundstück des Klägers umfassend eingeräumte Geh- und Fahrtrecht nicht durch die Pflicht, das Verschließen des Einfahrtstores zu dulden, eingeschränkt. Ausreichende Feststellungen, die den Schluss zuließen, dass die Beklagte im Laufe der Jahre konkludent (RS0013947) einer Einschränkung ihres Geh- und Fahrtrechts durch diese Verpflichtung zugestimmt hätte, liegen nicht vor.
[4] 4. Da jedenfalls seit dem Jahre 1964 auf den Grundstücken der Beklagten private und später auch (vom Kläger geduldete) gewerbliche Veranstaltungen abgehalten werden, kann von einer einseitigen unzulässigen Ausweitung der Servitut durch die Beklagte nicht die Rede sein.
[5] 5. Die Beschränkung der Rechtsausübung des Dienstbarkeitsberechtigten durch eine vom Eigentümer des belasteten Grundstücks vorgenommene Änderung in der Ausübung der dem Berechtigten zustehenden Dienstbarkeit ist ohne zumindest schlüssige Zustimmung des Berechtigten nur dann zulässig, wenn die Ausübung des Rechts dadurch nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird (RS0011733 [T7]). Erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse müssen nicht hingenommen werden (RS0011733 [T5]; 8 Ob 25/21s Rn 12). Nach der Rechtsprechung ist selbst die Errichtung eines unversperrten Schrankens, Gatters oder Tores dem Berechtigten nicht ohne weiteres zuzumuten (10 Ob 83/16b Pkt. 3.2 mwN). Jede durch den Eigentümer des belasteten Grundstückes vorgenommene Änderung in der Ausübung der dem Berechtigten zustehenden Dienstbarkeit ist an den Grundwertungen des § 484 ABGB zu prüfen (3 Ob 2338/96m ua). Die nach dieser Bestimmung vorzunehmende Interessensabwägung ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt daher im Allgemeinen ebenfalls keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RS0011733 [T11]; RS0016369 [T10]; 10 Ob 83/16b Pkt 3.1). Dies ist auch hier der Fall.
[6] 6. Das Berufungsgericht stellte das Interesse der Beklagten an der Abhaltung von Veranstaltungen und am ungehinderten Zutritt ihrer Besucher den Interessen des Klägers auf Schutz seines Eigentums vor Einbruchsdiebstählen und Vandalismus gegenüber. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das verpflichtende Versperren des Einfahrtstores durch die Beklagte als Dienstbarkeitsberechtigte (darauf beharrt der Kläger auch im Revisionsverfahren), wenn auch nur zu bestimmten Zeiten, würde im konkreten Fall zu einer unzumutbaren Belastung der Beklagten führen, bewegt sich noch innerhalb der Rechtsprechung, die ganz allgemein einen strengen Maßstab zur Einschränkung des Geh- und Fahrtrechts heranzieht (vgl 3 Ob 2338/96m; 4 Ob 161/01g; 1 Ob 304/01i; 10 Ob 83/16b; RS0011744).
[7] Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.