JudikaturOGH

3Ob32/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M*****, vertreten durch Rudeck – Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, gegen die verpflichtete Partei V*****, vertreten durch Dr. Klaus Schimik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, über den Rekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. Jänner 2021, GZ 47 R 237/20f 35, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 25. August 2020, GZ 11 E 1524/19m 30, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Aufgrund eines vollstreckbaren gerichtlichen Vergleichs vom 16. Oktober 2018 hat der Verpflichtete konkret formulierte Behauptungen betreffend eine angeblich von ihm mit der Betreibenden geführte Liebesbeziehung zu unterlassen. Über Antrag der Betreibenden bewilligte das Erstgericht am 26. Juli 2019 wegen behaupteter Verstöße gegen diese Unterlassungspflicht die Exekution gemäß § 355 EO und verhängte eine Geldstrafe von 150 EUR. Aufgrund eines weiteren Strafantrags der Betreibenden verhängte das Erstgericht am 20. Mai 2020 eine weitere Geldstrafe von 150 EUR. Das Erstgericht hatte dem Verpflichteten vor Strafverhängung jeweils Gelegenheit gegeben, „sich binnen 8 Tagen zu den Strafzumessungsgründen zu äußern“, widrigenfalls „die Höhe der Geldstrafe nach dem bisherigen Akteninhalt ausgemessen“ werde. Der Verpflichtete nahm diese Äußerungsmöglichkeit jeweils nicht wahr.

[2] Die Betreibende stellte am 28. Juni 2020 einen weiteren Strafantrag, in dem diese konkrete weitere Verstöße des Verpflichteten gegen die Unterlassungspflicht behauptete, Vorbringen zur „subjektiven Tatseite“ erstattete sowie „die Anberaumung einer mündlichen Strafverhandlung“ und die Verhängung einer Haftstrafe begehrte.

[3] Das Erstgericht räumte daraufhin dem Verpflichteten wiederum die Möglichkeit ein, „sich binnen 8 Tagen zu den Strafzumessungsgründen zu äußern“, widrigenfalls „die Höhe der Geldstrafe nach dem bisherigen Akteninhalt ausgemessen“ werde. Der Verpflichtete äußerte sich nicht.

[4] Das Erstgericht verhängte daraufhin aufgrund der weiteren von der Betreibenden behaupteten Verstöße über den Verpflichteten eine Haftstrafe in der Dauer von einer Woche. Es führte aus, dass der Verpflichtete erneut gegen die titulierte Unterlassungspflicht verstoßen habe, indem er neuerlich am 28. April 2020, am 8. und 15. Mai 2020 sowie am 3. Juni 2020 bei Befragungen durch Sachverständige im Rahmen eines im gegebenen Zusammenhang gegen ihn geführten Strafverfahrens näher bezeichnete Behauptungen über die angeblich intime Beziehung mit der Betreibenden getätigt habe; diese seien aufgrund der von der Betreibenden vorgelegten Urkunden erwiesen. Der Verpflichtete verstoße damit nicht nur beharrlich gegen die titulierte Unterlassungspflicht, sondern auch gegen alle – durch einstweilige Verfügungen und Urteile – gegen ihn ausgesprochenen Verbote, mit der Familie der Betreibenden in Kontakt zu treten. Ein Fahrnisvollzug beim Verpflichteten sei mangels pfändbarer Gegenstände erfolglos geblieben und auch das Vermögensverzeichnis habe keine verwertbaren Gegenstände zu Tage gefördert. Eine weitere Geldstrafe sei daher voraussichtlich uneinbringlich, weshalb die Verhängung einer Haftstrafe notwendig sei, um die Einhaltung der Unterlassungspflicht zu erzwingen.

[5] Der Verpflichtete erhob gegen diese Entscheidung Rekurs, in dem er (nur) begehrte, „dass anstelle einer Haftstrafe eine geringfügige Geldstrafe verhängt werde“. Er bestritt in seinem Rechtsmittel die von der Betreibenden in ihrem Strafantrag behaupteten Äußerungen nicht, sondern machte nur zur Strafbemessung geltend, dass seine Äußerungen allein aufgrund besonderer Umstände, nämlich im Rahmen von Befragungen zur Erstattung psychiatrischer Gutachten in dem gegen ihn geführten Strafverfahren erfolgt seien, der Vollzug der Haft ihn aus seinem beruflichen Umfeld reißen würde und er im Strafverfahren schon Untersuchungshaft erlitten habe. Es bedürfe daher keines neuerlichen Haftvollzugs, um ihn von weiteren Übertretungen seiner Unterlassungspflicht abzuhalten.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verpflichteten dahin Folge, dass es den Beschluss des Erstgerichts aufhob und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug. Es vertrat die Rechtsansicht, dass das Erstgericht die dem Verpflichteten eingeräumte Äußerungsmöglichkeit so formuliert habe, als ob wiederum nur eine Geldstrafe beabsichtigt sei. Der Verpflichtete sei dadurch gehindert gewesen, in erster Instanz allfällige, einer Haftverhängung entgegenstehende Umstände geltend zu machen. Dies begründe eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO.

[7] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Rekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob und zu welchen Zwecken (Verschulden, Angemessenheit und Auswirkungen der Strafe) sowie in welcher Form vor Verhängung einer Haft bei der Unterlassungsexekution die Einvernahme des Verpflichteten geboten sei, ob zum „maßgeblichen Sachverhalt“ im Sinn des § 361 EO auch subjektive Umstände auf Seiten des Verpflichteten gehörten und daher vom Erstgericht zu prüfen seien, und ob durch die inhaltliche Einschränkung der Aufforderung zur Äußerung zum Strafantrag das rechtliche Gehör des Verpflichteten im Sinn einer Nichtigkeit verletzt worden sei.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Betreibenden wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[10] 1.1 Nur ein Verhalten des Verpflichteten, das eindeutig gegen das im Exekutionstitel ausgesprochene Duldungs- oder Unterlassungsgebot verstößt, rechtfertigt die Exekution gemäß § 355 EO (RS0000595; vgl auch RS0000709 [T2]; RS0004808 [T12]).

[11] 1.2 Als erste Strafe darf nach § 355 Abs 1 Satz 1 EO nur eine Geldstrafe verhängt werden. Sofern nicht Gefahr im Verzug ist, oder bereits eine Äußerung zu einem im Wesentlichen gleichen Antrag vorliegt, hat das Gericht vor der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 358 Abs 2 EO dem Verpflichteten Gelegenheit zu einer Äußerung zu den Strafzumessungsgründen zu geben.

[12] 1.3 Nach § 355 Abs 1 Satz 2 EO hat das Exekutionsgericht wegen eines neuerlichen, weiteren Verstoßes gegen eine titulierte Duldungs- oder Unterlassungspflicht auf Antrag eine weitere Geldstrafe oder eine Haft zu verhängen. Die Haft darf jedoch gemäß § 361 EO nur verhängt werden, wenn „der maßgebliche Sachverhalt bewiesen“ ist.

[13] 2. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht die von der Betreibenden im Strafantrag behaupteten Äußerungen des Verpflichteten aufgrund vorgelegter Urkunden als erwiesen angenommen. Der Verpflichtete hat in seinem Rekurs lediglich Strafzumessungsgründe geltend gemacht, also weder die ihm angelasteten Äußerungen noch deren Qualität als Titelverstoß bestritten, sodass insofern „der maßgebliche Sachverhalt bewiesen ist“ und keiner weiteren Klärung bedarf.

[14] 3.1 Die in § 358 Abs 2 Satz 1 EO vorgesehene Regelung betrifft die „Gelegenheit zu einer Äußerung zu den Strafzumessungsgründen“, die „vor der Verhängung von Geldstrafen dem Verpflichteten“ gewährt werden soll. Die Verhängung der Haft über den Verpflichteten bedeutet aber einen noch viel schwerwiegenderen Eingriff, weshalb diese umso mehr eine vorherige Äußerungsmöglichkeit des Verpflichteten voraussetzt. Dieses Erfordernis ist bereits aus den Gesetzesmaterialien zu § 361 EO (idF BGBl 1980/120) ableitbar, nach denen ohne die seinerzeitige Neufassung die Bestimmung nach Ansicht des Gesetzgebers die Gefahr bestanden hätte, dass eine Haft verhängt werden könnte, „ohne dass der Verhaftete gehört oder sonst eine Berechtigung der Haft geprüft worden“ wäre, „ohne dass also ein der (E)MRK entsprechendes Verfahren über die Freiheitsbeschränkung stattgefunden“ hätte (ErläutRV 249 BlgNR 15. GP 9). Die Anordnung des § 361 EO, nach der vor der Haftverhängung der maßgebliche Sachverhalt bewiesen sein muss, ist daher so zu verstehen, dass auch zu den Strafzumessungsgründen, namentlich dann, wenn zu klären ist, ob überhaupt eine Haftstrafe zu verhängen ist, oder doch noch mit einer Geldstrafe das Auslangen gefunden werden kann, der Verpflichtete dazu gehört werden muss und das Gericht nach Maßgabe des § 55 Abs 2 und 3 EO den dafür maßgeblichen Sachverhalt zu klären hat.

[15] 3.2 Das Erstgericht hat im vorliegenden Fall die zuvor beschriebene Klärung nicht nur nicht veranlasst, sondern dem Verpflichteten zu dem die Verhängung einer Haftstrafe anstrebenden Strafantrag der Betreibenden (nur) die Möglichkeit eingeräumt, „sich binnen 8 Tagen zu den Strafzumessungsgründen zu äußern“, widrigenfalls „die Höhe der Geldstrafe nach dem bisherigen Akteninhalt ausgemessen“ werde. Damit musste für den Verpflichteten der Eindruck entstehen, dass – ebenso wie beim zweiten Strafantrag, der ebenfalls bereits den Antrag auf Verhängung einer Haftstrafe enthalten hatte – wieder nur eine Geldstrafe verhängt werden würde. Der Verpflichtete wurde mit dieser Vorgangsweise im Sinn des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (iVm § 78 EO; vgl RS0016150) daran gehindert, die für die Strafzumessung, nämlich konkret hier die dann vom Verpflichteten im Rekurs gegen die Verhängung einer Haftstrafe und für die Verhängung einer bloßen Geldstrafe aufgezeigten Umstände geltend zu machen. Das Rekursgericht ist daher zutreffend mit einem Aufhebungsbeschluss vorgegangen.

[16] 3.3 Der Verpflichtete hat in seinem Rekurs zusammengefasst geltend gemacht, dass seine Äußerungen nur aufgrund seiner Befragungen zur Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens in dem gegen ihn geführten Strafverfahren erfolgt seien, der Vollzug der Haft ihn aus seinem beruflichen Umfeld reißen würde, und er im Strafverfahren schon Untersuchungshaft erlitten habe. Es bedürfe daher keines weiteren Haftvollzugs, um ihn von neuerlichen Übertretungen seiner Unterlassungspflicht abzuhalten. Zu diesen Ausführungen des Verpflichteten wird das Erstgericht nach einem Vorgehen gemäß § 55 Abs 2 und 3 EO aussagekräftige Feststellungen zu treffen und auf deren Basis neuerlich über die zu verhängende Strafe zu entscheiden haben.

[17] 3.4 Die weiteren vom Rekursgericht angesprochenen Zulassungsfragen stellen sich nicht; auf diese ist daher nicht einzugehen.

[18] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO iVm § 78 EO. Das Rechtsmittel der Betreibenden hat zur Klarstellung der Rechtsfrage beigetragen (3 Ob 2/21x; RS0035976).

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