JudikaturOGH

3Ob21/21s – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der Antragstellerin U***** AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen den Antragsgegner M*****, vertreten durch Mag. Dr. Philipp Leitner, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Vollstreckbarerklärung, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 26. November 2020, GZ 4 R 168/20i 6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 24. August 2020, GZ 21 Nc 67/20z 2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin begehrte unter Vorlage beglaubigter Kopien die Vollstreckbarerklärung der Entscheidungen des Tribunale di Trento vom 18. Juli 2014, des Corte di Appello di Trentino II vom 12. Jänner 2016 sowie des Corte Suprema di Cassazione vom 26. Juni 2018.

[2] Das Erstgericht erteilte die Vollstreckbarerklärung.

[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge.

[4] Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass der Antragsgegner eine Beschwerde an den EGMR beigeschlossen habe und es dem Rekursgericht bei derartigen Vorwürfen nicht angebracht erscheine, selbst über das Vorliegen von allfälligen Verfahrensmängeln zu entscheiden. Außerdem stelle sich die Frage, ob es der öffentlichen Ordnung Österreichs widersprechen könne, wenn – wie behauptet – das „rechtliche Gehör einer formell beigezogenen Partei in unerträglicher Weise faktisch verweigert“ werde.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Unstrittig ist, dass die Entscheidungen der italienischen Gerichte, deren Vollstreckbarerklärung Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist, in den sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO 2001 fallen, weil in Anbetracht der Einleitung des Titelverfahrens vor dem 10. Jänner 2015 die Bestimmungen der EuGVVO aF anzuwenden sind (Art 66 Abs 1 EuGVVO 2012).

[7] 2.1 Nach Art 34 Nr 1 EuGVVO 2001 wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Dem Wortlaut nach ist der ordre public des Zweitstaats, also des Anerkennungsstaats entscheidend (RS0121001 [T3]). Ein solcher Verstoß wäre nur dann zu bejahen, wenn die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung mit der österreichischen Rechtsordnung völlig unvereinbar wäre. Dazu müsste – worauf bereits das Rekursgericht zutreffend hinwies – der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung offensichtlich sein. Es handelt sich um eine Ausnahmeregel, von der nur sparsamster Gebrauch gemacht werden darf. Eine Vollstreckung ist nur zu versagen, wenn dem Exekutionstitel mit der inländischen Rechtsordnung vollkommen unvereinbare ausländische Rechtsgedanken zugrunde liegen und daher die Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels mit der inländischen Rechtsordnung völlig unvereinbar ist (RS0002402).

[8] 2.2 Zu bejahen wäre ein Verstoß gegen den ordre public nur dann, wenn die Verfahrensrechte einer Partei in unerträglicher Weise beschnitten worden sind; dafür ist stets das ausländische Verfahren als Ganzes und anhand sämtlicher Umstände zu beurteilen (RS0121001 [T5] = RS0002402 [T4] = RS0110743 [T24]).

[9] 2.3 Auch die Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs nach dem Stadium der Verfahrenseinleitung (vgl Art 34 Nr 2 EuGVVO 2001) kann den prozessualen ordre public auslösen, jedoch ist die Anerkennung nur dann zu versagen, wenn es insgesamt an einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren fehlt. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits ausgesprochen, dass es einer Partei nach Zustellung der in einem anderen Staat eingebrachten Klage zumutbar ist, sich über die für ihre Rechtsverteidigung bedeutsame Rechtslage im anderen Staat auch ohne eine gerichtliche Rechtsbelehrung aus eigenem Antrieb zu informieren (vgl RS0116062).

[10] 3.1 Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Verpflichteten im zunächst einseitigen Vollstreckbarerklärungsverfahren sieht § 411 Abs 2 Z 2 EO idF der EO Novelle 2016 (BGBl I 2016/100; früher § 84 Abs 2 Z 2 EO aF) eine Neuerungserlaubnis für Rekurs und Rekursbeantwortung zu nicht aktenkundigen Versagungsgründen vor, allerdings in Verbindung mit einer Eventualmaxime; diese verlangt, dass alle nicht aktenkundigen Versagungsgründe bei sonstigem Ausschluss gleichzeitig geltend gemacht werden (3 Ob 248/11h [Pkt II.3] zu § 84 Abs 2 Z 2 EO aF).

[11] 3.2 In seinem Rekurs argumentierte der Antragsgegner, er habe sich auf das italienische Verfahren eingelassen und dort vorgebracht, dass ihn am Unfall kein Verschulden treffe; er habe auch die Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen beantragt. Das italienische Erstgericht habe aber diese Beweisanträge abgewiesen und sich darauf beschränkt, ein medizinisches Gutachten zu den Verletzungen des Unfallopfers einzuholen; weder der Antragsgegner noch weitere Zeugen seien gehört worden. Unter „Fortsetzung der Missachtung seiner Verfahrens- und Verteidigungsrechte“ habe weder das Berufungsgericht noch das Revisionsgericht den Rechtsmitteln des Antragsgegners stattgegeben. Letztlich habe das Verfahren mit einer Verurteilung des Antragsgegners „im Sinne einer Schad- und Klagloshaltung der Provinz Bozen für deren Schadenersatzleistung“ geendet.

[12] Gegen die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, der Antragsgegner sei am Verfahren der italienischen Gerichte in allen drei Instanzen beteiligt gewesen und habe seinen Standpunkt darlegen können, wendet sich der Revisionsrekurs nicht. Mit seiner Begründung, es sei auch der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd, Prozessvorbringen oder Beweisanträge als unbeachtlich zu werten, weshalb ein offensichtlicher Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nicht behauptet worden sei, hat das Rekursgericht den im Einzelfall einzuräumenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Nach ständiger Rechtsprechung führt eine Beweisaufnahme ohne Zuziehung der Parteien noch nicht zur Verletzung des rechtlichen Gehörs; es genügt, dass sich eine Partei zu den Tatsachen und Beweisergebnissen vor der Entscheidung äußern kann (RS0074920 [T12]). Dass der Antragsgegner zu einer solchen Äußerung oder Stellungnahme nicht in der Lage gewesen wäre, bringt er selbst nicht vor, sondern er beschränkt sich auf die pauschale Behauptung, seine Verteidigungsrechte seien „de facto außer Kraft gesetzt“ worden.

[13] 3.3 Während der Antragsgegner in seinem Rekurs keine konkreten Verfahrensverstöße im italienischen Berufungsverfahren nannte, behauptet er (erstmals) in seinem Revisionsrekurs, es habe insgesamt ein reines Aktenverfahren stattgefunden. Abgesehen davon, dass er damit eine unzulässige Neuerung geltend macht, geht aus der vom Antragsgegner schon seinem Rekurs beigelegten Beschwerde an den EGMR hervor, dass beim italienischen Berufungsgericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, an der er selbst teilnahm, eine „weitläufige Diskussion“ im Zusammenhang mit einem Aussetzen des Verfahrens stattgefunden habe; es kann daher nicht angenommen werden, dass die italienischen Gerichte tatsächlich ein bloßes Aktenverfahren durchgeführt haben.

[14] 4. Auf die dem Revisionsrekurs angeschlossenen Urkunden ist aufgrund der bereits erwähnten Eventualmaxime nach § 411 Abs 2 Z 2 EO sowie des auch im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung geltenden Neuerungsverbots (vgl 3 Ob 75/14x) nicht einzugehen.

[15] 5. Die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage, ob ein Versagungsgrund für die Vollstreckbarkeitserklärung vorliegen könne, sofern das rechtliche Gehör einer „formell beigezogenen Partei in unerträglicher Weise faktisch verweigert“ werde, stellt sich im Anlassfall nicht. Behauptungen über derart gravierende verfahrensrechtliche Verstöße hat der Antragsgegner nicht konkret aufgestellt. Die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]).

[16] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Antragstellerin hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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