1Ob90/21y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch die Maybach Görg Lenneis Geréd Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei M***** T*****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.385,38 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 25. März 2021, GZ 4 R 192/20t 33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. September 2020, GZ 25 Cg 170/05x 29, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Nach § 234 ZPO hat die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung während des Verfahrens auf den Prozess keinen Einfluss. Diese Bestimmung stellt nach der herrschenden Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme gegenüber § 406 ZPO dar, als für die Frage der Aktiv- und Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit entscheidet (RIS Justiz RS0109183 [T 6 ]). Veräußerung im Sinn des § 234 ZPO ist nach Judikatur und Lehre jeder Wechsel in der Rechtszuständigkeit an der vom Klagebegehren betroffenen Sache oder Forderung außerhalb einer Gesamtrechtsnachfolge (RS0039302; vgl Klicka in Fasching / Konecny ³ § 234 ZPO Rz 18 und 21). § 234 ZPO erfasst daher jede Art der Einzelrechtsnachfolge (RS0039231).
[2] 1.2 Die Bestimmung des § 234 ZPO ist eine Schutzvorschrift zugunsten effektiver Rechtsdurchsetzung ( Klicka in Fasching / Konecny ³ § 234 ZPO Rz 1) und soll vor allem verhindern, dass sich eine Partei durch Veräußerung des Streitgegenstands ihrer Sachlegitimation entledigt . Sie bezieht sich aber nur auf die Veräußerung von Sachen oder Forderungen in einem bereits streitanhängigen Verfahren, nicht auch auf bereits vor der Streitanhängigkeit übertragene Ansprüche (RS0039340).
[3] 2.1 Die Rechtsanhängigkeit einer Streitsache (Streitanhängigkeit) wird gemäß § 232 Abs 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet (vgl RS0039482) . Bis dahin liegt (nur) die Gerichtsanhängigkeit als (vorläufig) zweiseitiges Prozessrechtsverhältnis zwischen Kläger und Gericht vor ( Geroldinger in Fasching / Konecny , Zivilprozessgesetze³ III/1 § 226 ZPO Rz 8). Bereits in der Entscheidung zu 1 Ob 638/95 (SZ 69/57) hat der Oberste Gerichtshof daher ausgesprochen, dass eine Prozesspartei die Sachlegitimation und damit auch die Prozessführungsbefugnis verliert, wenn die Forderungsabtretung zwar nach Klageeinbringung aber vor Streitanhängigkeit (Zustellung der Klage) erfolgt.
[4] 2.2 Über die von der Klägerin am 12. 9. 2005 eingebrachte Klage erging mangels Erstattung einer Klagebeantwortung ein Versäumungsurteil, dessen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit das Erstgericht am 24. 5. 2006 bestätigte. Aus dem Umstand, dass sie die der Klage zugrunde liegenden Forderungen aus den Geschäftsbeziehungen mit dem Beklagten erst mit Vertrag vom 14. 12. 2007 abgetreten (veräußert) hat, leitet die Klägerin ab, dass ihre Sachlegitimation für den Prozess im Sinn des § 234 ZPO (durch Erlassung des Urteils und die Bestätigung seiner Rechtskraft) perpetuiert worden sei und die Veräußerung (Abtretung) des Streitgegenstands (hier der Forderungen) außer Betracht zu bleiben habe, sodass – die auch aus ihrer Sicht unstrittige – Änderung der Rechtszuständigkeit für die materiell rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs irrelevant wäre.
[5] 2.3 Das Erstgericht hat über Antrag des Beklagten die Vollstreckbarkeitsbestätigung mit rechtskräftigem Beschluss vom 25. 10. 2019 aufgehoben und dabei festgehalten, dass der Beklagte nicht nur bei Zustellung des Urteils, sondern auch schon bei Hinterlegung der Klage dauerhaft von der Zustelladresse abwesend gewesen und damit keine rechtswirksame Zustellung der Klage vorgelegen sei, was die Revisionswerberin auch nicht in Zweifel zieht. Damit wurden aber weder die „Rechtskraft und Vollstreckbarkeit“ des Urteils noch die Streitanhängigkeit „nachträglich aufgehoben“, wie die Revisionswerberin meint, sondern bloß den neuen Erkenntnissen über den (unwirksamen) Zustellvorgang Rechnung getragen. Die von der Klägerin offensichtlich zugrunde gelegte Prämisse, schon die irrtümliche Annahme einer wirksamen Zustellung der Klage führe die Streitanhängigkeit herbei, findet im Gesetz keine Deckung. Für ihre Überlegungen zu deren nachträglichen Wegfall verbleibt daher kein Raum. Damit ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen das Klagebegehren abgewiesen haben, weil die Klägerin die der Klage zugrunde liegenden Forderungen mit Vertrag vom 14. 12. 2007 übertragen und damit die zur erfolgreichen Prozessführung erforderliche Sachlegitimation schon lange vor der erstmaligen wirksamen Klagezustellung am 19. 11. 2019 verloren hatte. Auf die in erster Instanz noch behauptete Rückzession der Forderungen kommt die Klägerin nicht mehr zurück.
[6] 3. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die gewillkürte Prozessstandschaft, also die auf einer Vereinbarung beruhende Trennung zwischen materiell er Be rechtigung und formell rechtlicher Prozessführungsbefugnis, dem österreichischen Recht fremd ist (RS0032788 [T10; T11]; RS0053157 ua; Nunner Krautgasser in Fasching / Konecny ³ II/1 Vor § 1 ZPO Rz 126). Dass sie die Forderungen mit Vertrag vom 14. 12. 2007 „verkauft und abgetreten“ hat, legt die Klägerin ihrem Rechtsmittel selbst zugrunde.
[7] Worauf sie abzielt, wenn sie meint, der Überweisungsgläubiger sei nicht (Einzel )Rechtsnachfolger, sondern habe nur die Stellung eines „Mandatars“ inne, kann nicht nachvollzogen werden. Der von ihr in diesem Zusammenhang genannten Belegstelle ( Klauser / Kodek , JN ZPO 18 § 234 ZPO E 31) liegt die Entscheidung zu 7 Ob 685/87 zugrunde, die den Sonderfall des Überweisungsgläubigers im Drittschuldnerprozess betraf und keine Rückschlüsse auf die vorliegende Konstellation einer rechtsgeschäftlichen Forderungsübertragung erlaubt.
[8] Inwieweit ihre „Prozessrechte im Sinn des Grundrechts auf ein faires Verfahren“ verletzt worden sein sollten, ist bei der gegebenen Sachlage nicht zu erkennen.
[9] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).